Das verschwundene U-Boot: Warum wurde die Öffentlichkeit belogen?
Es gibt keine Hoffnung mehr, Überlebende des verschwundenen argentinischen U-Boots zu finden. Bei den Angehörigen der Besatzung steigt die Wut.
„Sie haben uns angelogen. Sie haben sie in einem Stück Mist auf’s Meer geschickt.“ Drastische Wort wählt Itatí Leguizamón, die Ehefrau des Obergefreiten Germán Suárez an Bord des argentinischen U-Boots „ARA San Juan“. Von dem fehlt seit anderthalb Wochen jede Spur – obwohl fieberhaft nach ihm gesucht wird. Die Operation gilt als die größte maritime Suchaktion der Geschichte, ein Dutzend Nationen sind daran beteiligt, neben den USA nun auch Russland.
Allerdings geht es nur noch darum, den Aufenthaltsort des U-Boots festzustellen. Es besteht keine Hoffnung mehr, die 43 Männer und eine Frau an Bord lebend zu bergen. Zu lange ist das Boot schon verschollen; außerdem hat es eine Explosion an Bord gegeben, wie der Kommandant der Marinebasis Mar del Plata als erstes den Familienangehörigen der Besatzung mitteilt. Viele von ihnen beginnen daraufhin zu weinen, es gibt Nervenzusammenbrüche, Sanitäter eilen herbei.
Bei manchen Angehörigen vermischt sich die Trauer nun mit Wut über die argentinische Marine. „Sie sind alle tot“, schreit ein Mann, „sie haben meinen Bruder umgebracht, diese Hurensöhne.“ Und Itatí Leguizamón erzählt Pressevertretern, dass ihr Ehemann Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der ARA San Juan geäußert habe. „Er hatte das Gefühl, russisches Roulette zu spielen“, sagte sie. „Sie haben ein Boot aufs Meer geschickt, das nur schön angestrichen war.“
Solange die Ursachen für die Havarie der „ARA San Juan“ nicht bekannt sind, ist es zu früh, die Schuld an dem Unglück zu verteilen. Doch Zweifel dürfen geäußert werden, und von denen gibt es reichlich.
Da wäre als erstes die Frage, warum die argentinische Marine zögerte, die Hilfsangebote aus Brasilien, Chile und den USA anzunehmen, Ländern also, mit denen Argentinien um Einfluss konkurriert – die aber besonders im Fall der USA bessere Technik für eine Suchaktion besitzen.
Warum wurde das verschwiegen
Weiterhin fragen sich nicht nur die Angehörigen, wieso die Marine erst mit tagelanger Verzögerung bestätigte, dass es ein Feuer an Bord des U-Boots gegeben habe. Dieses hatte der Kommandant der „ARA San Juan“ in seiner vorletzten Nachricht über Satellitentelefon gemeldet. Ein Batteriemodul sei in Flammen geraten, es habe einen Kurzschluss gegeben und man sei aufgetaucht. In seiner letzten Nachricht sagte er, dass der Schaden behoben worden sei und man die Fahrt Richtung Heimathafen unter Wasser fortsetze. Offenbar wollte die Marine den Unfall mit den Batterien vertuschen. Sie räumte lediglich Kommunikationsprobleme ein. Hatte man gehofft, das Unterwasserboot würde doch noch in Mar del Plata auftauchen?
Die 960 Batterien, mit denen das U-Boot unter Wasser angetrieben wird, gelten nun als wahrscheinliche Unfallursache. Sie waren zuletzt bei einer Generalüberholung zwischen 2008 und 2014 ausgetauscht worden, bei der das U-Boot in der Mitte aufgeschnitten und wieder zusammengeschweißt wurde. Argentiniens damalige Präsidentin Cristina Kirchner versprach zu diesem Anlass, dass die „ARA San Juan“ weitere 30 Jahre im Einsatz bleiben werde. Auch diese Äußerung löst nun Wut und Häme bei vielen Menschen aus. Das U-Boot war im Jahr 1983 in der Nordseewerke-Werft von Thyssen Krupp im ostfriesischen Emden getauft worden und gehört zum Typ TR-1700.
Kam es also beim Wechsel der Batterien zu Fehlern? Anders als es argentinische Medien meldeten, beaufsichtigten Ingenieure von Thyssen Krupp Marine Systems, dem Nachfolgeunternehmen der Herstellerwerft, nicht den Austausch der Batterien. Ein Sprecher von Thyssenkrupp sagte dem Tagesspiegel, dass man seit über zwei Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zur ARA San Juan und der argentinischen U-Boot-Flottille habe.
Argentinische Medien hatten weiterhin berichtet, dass aus Kostengründen nicht die Gehäuse der 960 Batterien getauscht worden seien, sondern lediglich Chemikalien und abgenutzte Teile.
Manche Experten bezeichnen die Batterien als „Achillesferse“ der TR-1700-Reihe. Andere sprechen von „Zeitbomben“. Denn der häufige Ent- und Aufladeprozess erzeugt Wasserstoff. Sollte dessen Konzentration in der Luft zwei Prozent überschreiten, gilt dies als gefährlich. Bei vier Prozent kann es zu einer Explosion kommen.
Verwirrung um Implosion
Lösten demnach die Batterien die Explosion aus, die drei Stunden nach dem letzten Kontakt mit der „ARA San Juan“ im Südatlantik registriert wurde? Die Explosion geschah rund 30 Seemeilen vom letzten Aufenthaltsort des Bootes. Sie wurde von zwei Stationen der Organisation des Vertrags über ein umfassendes Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) aufgezeichnet. Eine davon liegt auf der britischen Insel Ascensión auf halbem Wege zwischen Südamerika und Afrika; die andere auf der französischen Insel Crozet südöstlich vor Südafrika. Die Information über die Explosion wurde erst bekannt, nachdem der argentinische Botschafter bei der in Wien ansässigen Organisation um eine Datenauswertung gebeten hatte.
Für Verwirrung sorgt schließlich der Sprecher der argentinischen Marine, als er sagt, dass es sich bei dem Geräusch auch um eine Implosion gehandelt haben könnte. Dies würde bedeuten, dass das U-Boot, das bis zu einer Tiefe von 600 Metern unbeschadet tauchen kann, vom Meeresdruck zerquetscht worden sei. Es sank offenbar in einer Region, in der der Meeresgrund auf 3000 Meter abfällt.
Auch diese Information hat dazu geführt, dass die Marine den Tod der 44 Besatzungsmitglieder bekannt gegeben hat. Argentiniens Verteidigungsminister ordnete eine Untersuchung an. Es heißt, er sei geschockt über die Nachlässigkeit und die Geheimniskrämerei der Marine. Damit ist er nicht alleine.
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