Palästina: Warum ein verlobtes Paar nicht zusammenziehen kann
Ein palästinensisches Paar versucht, vier Jahre nach der Verlobung endlich zusammenzuziehen. Aber das geht nicht, weil sie im Gazastreifen und er im Westjordanland lebt. Nun rufen sie ihren Präsidenten Abbas zur Hilfe auf.
Nach dem ersten Jahr des Wartens hatte Dalia aufgehört zu träumen: von dem schlichten weißen Kleid, das sie sich bereits angesehen hatte, von den weißen Rosen, die sie in der Hand halten wollte, Von dem Lied „I am your angel“ von Celine Dion und R. Kelly, zu dem sie mit Rashed auf ihrer Hochzeit tanzen wollte.
Heute, vier Jahre nach der Verlobung mit Rashed, ist Dalias Hoffnung gesunken, dass sie dieses Hochzeitsfest erleben und mit Rashed zusammenziehen wird. Statt Vorfreude: Frust über die Ungerechtigkeit und die aussichtslose politische Lage der Palästinenser im Nahostkonflikt. Verzweiflung darüber, dass sie zwar beide Palästinenser sind und gerade mal rund 130 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt leben, sich aber trotzdem nicht sehen können, weil sie festsitzen hinter Mauern und Checkpoints: Rashed, 35, in Nablus im Westjordanland, dem von Israel besetzten Gebiet zwischen Israel und Jordanien. Dalia, 32, in Khan Younis im Gazastreifen, dem von Israel 2005 evakuierten Küstenstreifen zwischen Mittelmeer, Israel und Ägypten.
Dalia und Rashed haben sich vor vier Jahren auf einer Konferenz für junge Palästinenser in Jordanien kennengelernt und wenige Wochen später verlobt. Seither warten sie darauf, dass Dalia eine Genehmigung bekommt, um zu Rashed in Nablus zu ziehen, wo er als Techniker arbeitet und wo sein Haus steht, dass er für sich und seine zukünftige Frau gebaut hat. Eine Genehmigung, die Israel aber generell nicht mehr ausstellt.
Facebook-Kampagne
Die beiden sind kein Einzelfall. Und doch findet ihre Geschichte derzeit besondere Beachtung. Denn die beiden haben mit der Facebook-Seite „Bringen Sie die Braut zum Bräutigam, Präsident Abbas!“ auf ihre missliche Lage aufmerksam gemacht. Sie fordern damit den Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas auf, etwas gegen ihre Trennung zu unternehmen.
„Er ist der Präsident aller Palästinenser“, sagt Dalia. „Er ist für uns verantwortlich. Die Israelis haben kein Interesse daran. Sie machen uns das Leben so schwer wie möglich.“ Es sind israelische Gesetze, die verhindern, dass das Paar zusammenziehen kann. Israel sieht den Gazastreifen, aus dem es vor zehn Jahren abgezogen ist, heute als fremdes und – aufgrund der Hamas-Regierung – als feindliches Territorium. Die Bewohner des Streifens dürfen deshalb genauso wenig wie beispielsweise Syrer oder Libanesen nach Israel einreisen. Und das heißt auch: nicht in das Westjordanland, das weiterhin von Israel besetzt ist.
„Heiraten könnten die beiden zwar schon, aber zusammenziehen eben nicht“, erklärt Dalia Kerstein, Geschäftsführerin der israelischen Nicht-Regierungsorganisation HaMoked, die sich um die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten kümmert. „Die einzige Möglichkeit ist, dass er in den Gazastreifen zieht. Aber dafür muss er ein Formular unterzeichnen, dass er danach nie wieder in das Westjordanland zurückziehen wird.“
Für Rashed würde das nicht nur bedeuten, für immer seine Familie und Freunde hinter sich zu lassen, seine Arbeit und sein Haus, sondern auch, in ein völlig abgeschnittenes, von den letzten Kriegen noch immer zerstörtes Gebiet zu ziehen – ohne jegliche Aussichten auf einen einigermaßen bezahlten Job.
„Israel sagt offiziell, dass es die Palästinenser aus Gaza aus Sicherheitsgründen nicht einreisen lässt. Tatsächlich versucht es dadurch aber, das palästinensische Volk zu spalten“, sagt Dalia Kerstein von HaMoked.
„Manchmal bin ich sehr traurig und verliere die Hoffnung. Ich habe Rashed schon gesagt, er soll nicht auf mich warten, soll sich doch lieber eine andere Frau nehmen. Doch das kommt für ihn nicht infrage. In solchen Momenten muntert er mich wieder auf. Er gibt mir Kraft und Hoffnung“, sagt Dalia.
Und Rashed sagt: „Auch Freunde haben schon gesagt, ich soll doch eine Frau hier im Westjordanland heiraten. Aber das kommt nicht infrage. Ich will nur Dalia heiraten“, sagt Rashed.
Die beiden lernten sich in Jordanien kennen
Wenn die beiden von ihrer Beziehung erzählen, klingt es nicht nach einer von den Familien eingefädelten Ehe, wie sie in der arabischen Welt auch heutzutage nicht unüblich ist. Es klingt auch nicht nach einer Zweckehe, um Dalia aus dem Gazastreifen zu holen. Dafür ist die Lage zu kompliziert. Und dafür sprechen sie zu liebevoll voneinander.
Dalia erzählt, wie sie sich damals auf der mehrtägigen Konferenz in Jordanien kennengelernt haben. Sie sollte dort fotografieren und kam so mit Rashed – ebenfalls ein Hobbyfotograf – ins Gespräch. „Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten. Wir mögen die gleiche Musik, die Lieder von Westlife. Wir lieben das gleiche Essen. Und wir wie ergänzen uns in vielen Dingen“, erzählt Dalia. Auch Rashed hatte keine Zweifel: „Ich habe sie gesehen und gedacht: Das ist die Frau meiner Träume. Acht Wochen später bin ich mit meinem Vater nach Gaza gefahren und habe bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten“, erzählt er. Dafür hatten die beiden eine Einreisegenehmigung für wenige Tage erhalten.
Die Familie stimmte der Eheschließung zu. Doch seit diesem Treffen vor knapp vier Jahren haben sich die beiden nur noch per Skype gesehen und am Telefon gesprochen. „Als ich nach vier Tagen mit meinem Vater zurückgefahren bin, war das ein sehr trauriger Abschied“, erzählt Rashed. „Wir wussten, dass es schwierig werden würde. Aber wir hatten so sehr gehofft, dass wir eher wieder zusammen sein können.“