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Das Bild der für Seismographie zuständigen US-Behörde zeigt die vermutete Ausdehnung des Tsunami im Pazifik sowie den jeweiligen Scheitel der Flutwelle - grün heißt bis zu einem Viertelmeter, weiß-violett über einen Meter.
© dpa

Japan: Warum das Beben einen Tsunami auslöste

Glimpflich davon gekommen, das hatten viele gedacht, nachdem am Mittwoch ein Beben der Magnitude 7,2 vor der Küste Japans den Untergrund erschütterte. Es war aber lediglich der Vorbote für ein viel heftigeres Beben.

Am Freitag um 14:46 Uhr Ortszeit (6:46 Uhr MEZ) brach es los. Mit einer Magnitude von 8,9 ist es rund 300-mal stärker als das vom Mittwoch. Weltweit gesehen ist es das fünftstärkste das je gemessen wurde, wobei die Zeit der Seismometer etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann.

„Das hat uns schon überrascht, normalerweise tritt das stärkste Beben am Anfang einer Serie auf, danach folgende schwächere Erschütterungen“, sagt Gernot Hartmann, Seismologe bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. „Das zeigt einmal mehr, dass man den Zeitpunkt eines Erdbebens nicht vorhersagen kann.“

In seiner Wucht – nicht der Zahl der Opfer – lässt es das Chilebeben vom Februar 2010 hinter sich, das von Haiti im Januar letzten Jahres sowieso. Nur das Seebeben von Weihnachten 2004, das den verheerenden Tsunami im Indischen Ozean lostrat, war noch stärker.

Warum gab es einen Tsunami?

Auch bei dem aktuellen Sendai-Beben wurde ein Tsunami ausgelöst. Solche Flutwellen entstehen, wenn der Meeresboden rasch seine Höhe verändert. Neben Hangrutschen an Unterwasserbergen tritt dieser Effekt vor allem bei sogenannte Aufschiebungsbeben auf. So wird die ruckartige Bewegung von zwei Erdplatten bezeichnet, bei der eine unter die andere abtaucht. Dieser Vorgang ist selten ein gleichmäßiges Gleiten. Die Gesteinspakete verhaken sich oft ineinander. Erst wenn die Spannung sehr groß ist, reißt das Gestein auf und die Schichten werden um wenige Meter gegeneinander versetzt. Dann verharrt die Plattengrenze wieder jahrelang in Ruhe, bis sie erneut plötzlich aufreißt. So war es auch beim Beben vor Sendai, wo der Ozeanboden des Pazifik unter Japan abtaucht. Die plötzliche Höhenänderung des Meersbodens lässt sich auf offener See kaum messen, sie beträgt oft nur wenige Zentimeter. Wenn die Welle flache Gewässer erreicht, türmt sie sich jedoch zu meterhohen Wasserwänden auf. An der japanischen Küste waren erreichten die Tsunamiwellen bis zu zehn Meter Höhe, gewaltige Wasser-Schlamm-Massen wälzten sich tief ins Hinterland, rissen alles mit, was sich ihnen in den Weg stellte.

Wie breitete sich der Tsunami aus?

Neun Minuten nach dem Erdbeben gab das Pazifik-Tsunami-Warnzentrum eine Meldung heraus, die auf eine mögliche Flutwelle hinwies. Ob diese tatsächlich durch den Ozean jagte, war da noch nicht klar. Je mehr Messungen in der Zentrale einliefen, umso genauer wurde die Warnung. Die Länder rund um den Pazifik wurden gewarnt. Selbst im weit entfernten Chile bereiteten sich die Menschen auf eine Flutwelle vor. Sie sollte am Sonnabend gegen vier Uhr (MEZ) eintreffen.

Drohen weitere Erdbeben?

Das Sendai-Beben hat den Untergrund auf einer Länge von 350 bis 400 Kilometern aufgerissen. „Und zwar vom Nordwesten der Insel Honschu in Richtung Tokio“, sagt der BGR-Experte Hartmann. Entlang dieses Bruchs ist die Spannung im Gestein nun ebenfalls verändert. Dort wo sie stark zugenommen hat, treten gewöhnlich Nachbeben auf, die den Untergrund wieder ins „Gleichgewicht“ bringen. Im Laufe des Tages kam es immer wieder zu heftigen Erschütterungen, von denen ein gutes Dutzend eine Magnitude von mindestens 6,0 hatte. „Die Nachbeben kamen dabei auch immer näher an Tokio heran.“ Dass dort nun ebenfalls ein derart starkes Erdebeben wie Freitagmorgen auftritt, hält er für unwahrscheinlich. „Aber es ist sicher, dass die Nachbebeben noch einige Monate lang spürbar sein werden.“

Waren die Japaner vorbereitet?

Die japanischen Inseln befinden sich in unmittelbarer Nähe einer Plattengrenze, dementsprechend oft bebt die Erde. Hinzu kommt, dass Japan ein gut entwickelter Staat ist. Gemeinsam mit Kalifornien gilt das Land daher in Sachen Erdbeben als die bestuntersuchte und vorbereitete Region der Welt. „Bereits im Grundschulalter werden Kinder mit der Gefahr vertraut gemacht“, berichtet Verena Blechinger-Talcott von der Freien Universität Berlin. Die Politologin hat sechs Jahre lang in Tokio über die Auswirkungen des Kobe-Bebens auf das politische System geforscht und dabei selbst einige Erschütterungen erlebt: „Es beginnt mit einem Knacken, dann gehen die Wellen durch das Gebäude und die Regale wackeln, nach 20 bis 30 Sekunden ist es in der Regel vorbei“, erzählt sie. Grundsätzlich gehen die Japaner ziemlich gelassen damit um. Als Blechinger-Talcott mal ein Beben in einem Restaurant erlebte, schienen die Einheimischen weitgehend unbeeindruckt, während Touristen ziemlich aufgeregt reagierten. Jedes Jahr am 1. September, dem Jahrestag des verheerenden Kant?-Bebens von 1923 findet in Japan der Katastrophenschutztag statt. „In Schulen, Firmen und öffentlichen Einrichtungen wird das richtige Verhalten geübt“, sagt Blechinger-Talcott. Also rasch unter den Tisch, um sich vor herabstürzenden Gegenständen zu schützen, und wenn vorhanden: Helm auf. „An einigen Straßenecken werden Container aufgestellt, in denen Erdbeben simuliert werden“, erzählt sie. „In Kaufhäusern gibt es Abteilungen, wo man Notfallrucksäcke kaufen kann, die man im Haus oder am Schreibtisch aufbewahren sollte.“ Darin befindet sich eine Rettungsdecke, Kekse, eine faltbare Wasserflasche, Taschenlampe und Radio. Im Internet gibt es Filme mit zusätzlichen Verhaltenstipps. So soll man beispielsweise im Auto zunächst die Warnblinker anstellen bevor man bremst, damit es nicht zu Karambolagen kommt.

Wie stark ist die Infrastruktur bedroht?

Die nationale Wetterbehörde ist in Japan auch für die Erdbebenwarnung zuständig, sagt Blechinger-Talcott. Sobald Seismometer im weit verzweigten Messnetz Alarm schlagen, gibt die Behörde ein Warnsignal an öffentliche Einrichtungen, Energieversorger und Bahnen. Privatpersonen können ebenfalls ein entsprechendes Empfangsgerät kaufen, sagt die FU-Forscherin. „In der Regel bleiben dann 13 bis 18 Sekunden Zeit.“ Dann werden automatisch die Hochgeschwindigkeitszüge gebremst, die Atomkraftwerke in einen Sicherheitsmodus gefahren und die Gasleitungen gesperrt. „Feuer vermeiden – das war eine der Lehren aus dem Kantobeben von 1923“, sagt Blechinger-Talcott. 140.000 Menschen starben damals, viele von ihnen durch Brände weil in den Häusern um die Mittagszeit zahlreiche Feuer brannten und außer Kontrolle gerieten. Auch gestern gab es zahlreiche Brände im Land. Glücklicherweise gab es nur geringe Schäden an Gebäuden. In Japan gibt es seit langem strenge Bauvorschriften. Diese wurden nach dem Erdbeben von Kobe nochmals verschärft. „In der Universität von Tokio etwa wurde jedes Gebäude erneut geprüft und teilweise nachträglich meterhohe Stützkreuze aus Stahl in die Fensteröffnungen montiert“, berichtet Blechinger-Talcott. Diese diagonalen Streben sollen Gebäude gegen die gefürchteten horizontalen Stöße schützen. Ohne solche fachwerkähnlichen Querverbindungen können die Zwischendecken wie in einem Kartenhaus herabfallen.

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