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Familienplanung: Wann, wenn nicht jetzt?

Zwei Freundinnen, ein Jugendtraum: Einmal als Anwältin vor Gericht zu stehen. Zuerst die Karriere, dann die Kinder – so sah der Plan aus. Es kam anders, zum Glück für beide.

Als Wiebke und Kerstin sich kennenlernen, sind sie 17, stecken in der Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin und haben die gleichen Lebenspläne: Abitur nachholen, Jura studieren, Rechtsanwältin werden – und irgendwann eine Familie gründen. Doch während sich die beiden auf das Abitur vorbereiten, wird Kerstin schwanger. Da ist sie 22. Plötzlich sieht es so aus, als würden sich die Lebenswege weit voneinander entfernen, als müsse Kerstin sich von ihren Berufsplänen verabschieden und nur Wiebke Karriere machen. Heute, 16 Jahre später, haben beide das Gleiche erreicht: Sie sind erfolgreiche Rechtsanwältinnen – und Mütter. Der einzige Unterschied: das Alter ihrer Kinder.

KERSTIN, 38, WILDAU, VIER KINDER, DIE ÄLTESTE TOCHTER IST 16

Wäre ich nicht aus Versehen schwanger geworden – die Pille wollte ich nie nehmen –, ich hätte vielleicht immer noch kein Kind. Es wäre mir damals schwergefallen zu sagen: Jetzt ist der Moment für ein Baby.

Damals war ich erst mal völlig fertig. Für ein Kind fühlte ich mich nicht bereit. Ich steckte mitten in den Abiturprüfungen und wollte danach gleich Jura studieren! Ich hatte Angst, dass ich mich in ein Muttchen verwandeln würde und nicht das Leben führen könnte, das ich möchte. Außerdem war mir klar, dass ein Kind einen Anspruch auf Vater und Mutter hat. Ob aber die Beziehung mit dem Papa für „die Ewigkeit“ sein sollte, darüber hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie nachgedacht. Lange zweifelte ich deshalb, ob ich das Kind bekommen sollte. Mein Freund überzeugte mich schließlich, er wollte unbedingt mit mir eine Familie gründen. Unsere Beziehung hat lange gehalten, wir haben geheiratet – vor ein paar Jahren erst haben wir uns getrennt.

Sieben Tage nach der letzten Abiturprüfung kam meine Tochter Cleo auf die Welt, da war ich gerade 23 geworden. Die Angst vor dem Kind und vor dem neuen Leben war ein paar Monate nach der Geburt weg. Es blieb überhaupt keine Zeit dafür! Natürlich veränderte sich alles: Ich konnte nicht mehr durchschlafen, nicht mehr auf Partys gehen. Aber das vermisste ich gar nicht. Dafür fand ich meinen Alltag viel schöner. Außerdem merkte ich, dass ich meine Karriere auch mit Kind durchziehen kann.

Mein Wunsch, Anwältin zu werden, war immer noch da. Verwandte und Freunde redeten auf mich ein, ich solle nach der Babypause lieber als Rechtsanwaltsgehilfin arbeiten und das Studium sausen lassen, um Geld für die Familie zu verdienen. Mein Freund fing tatsächlich gerade erst an zu arbeiten und brachte nicht viel nach Hause. Doch darauf hätte ich mich nicht eingelassen, denn man wird auch stärker mit den Kindern – und der einmal gefasste Wille lässt sich bei mir nicht so leicht erschüttern.

Natürlich hatte ich viel Glück: Meine Mutter ist Notarin, verdiente also gut und unterstützte uns finanziell. Wir konnten in mein Elternhaus ziehen – meine Eltern bauten sich auf dem Hof in Wildau ein neues Haus – und mussten keine Miete bezahlen. Am Wochenende verdiente ich außerdem bei meiner Mutter in der Kanzlei etwas dazu. Ohne diese Hilfe wäre wahrscheinlich alles anders gelaufen.

Eigentlich wollte ich nach der Geburt meiner ersten Tochter Cleo ein Jahr zu Hause bleiben und dann mit dem Studium anfangen. Doch ich wurde wieder schwanger, wieder ungeplant, aber dieses Mal freute ich mich von Anfang an auf Lea.

Mit 25 begann ich endlich mein Jurastudium. Vormittags waren die Kinder sechs Stunden in der Kita, ich ging bis nachmittags in die Vorlesungen. Abends, wenn die Mädchen schliefen, lernte ich. Mein Mann war erst zu Hause und arbeitete dann sehr flexibel. Wir teilten uns das Kinderhüten auf. Das klappte – auch immer mit dem Rückhalt unserer Eltern – super.

Heute glaube ich sogar, dass ich das Studium ohne die Kinder gar nicht durchgezogen hätte: Der Jurastoff ist sehr trocken und weltfremd, eigentlich gar nicht meins. Doch ich war intellektuell ausgehungert und verschlang die Bücher. Schließlich hatte ich mich da schon mehr als zwei Jahre fast ausschließlich um die Kinder gekümmert. Außerdem holen einen die Kinder immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück – für einen Juristen eine sehr gute Übung.

Nach dem Grundstudium wollte ich unbedingt einen Sohn. Das klappte dann auch, und ich dachte überhaupt nicht mehr darüber nach, ob das jetzt passt oder besser nach hinten verschoben wird. Es war einfach so. Ich nahm wieder ein Jahr Auszeit. 2006, nach zehn Semestern, hatte ich schließlich das erste Staatsexamen geschafft.

Natürlich haben meine Freundinnen die Studentenzeit ganz anders als ich erlebt, aber ich würde nicht sagen, dass ihr Leben unbeschwerter war. Oft kamen sie mir sogar gefangener vor als ich, sie machten sich große Sorgen über Dinge, die für mich Nebensächlichkeiten waren. Nur als Wiebke für ein Auslandssemester nach Australien ging, dachte ich: Ich würde auch gerne länger ins Ausland. Und ich sagte mir: Das mache ich, wenn die Kinder groß sind. In ein paar Jahren sollte es so weit sein…

Ich habe mich nie gefragt, ob ich im Beruf weiter gekommen wäre ohne die Kinder. In einer großen Kanzlei wollte ich nie arbeiten. Vielleicht hätte ich mich im Studium anders orientiert und mich auf politische Rechtsfragen konzentriert anstatt auf Sozial- und Arbeitsrecht. Dann würde ich in einer NGO arbeiten anstatt wie jetzt Frauen zu vertreten, die ihren Job wegen der Kinder verloren haben.

Eigentlich dachte ich immer, dass ich es genau richtig gemacht habe: Während des Studiums hatte ich viel Zeit für die Kinder, man ist terminlich ja flexibel, und die Kleinen waren aus dem Gröbsten raus, als ich ins Berufsleben startete. Aber jetzt bin ich in der gleichen Situation wie viele Frauen. Im April habe ich mein viertes Kind bekommen, einen Jungen, Lou, von meinem neuen Freund. Beruf und Muttersein versuche ich seit Mai zu vereinbaren. Denn dieses Mal kann ich nicht ein Jahr Auszeit nehmen. Meine Verträge für die Kanzlei laufen, ich habe viele Mandate angenommen. Aber ich habe keine Zweifel: Das klappt.

WIEBKE, 37, BERLIN, IHRE TOCHTER IST FÜNF

Das Thema Kinderkriegen lag für mich während Ausbildung und Studium immer weit in der Zukunft. Ich hatte eine klare Vorstellung, wie mein Leben ablaufen sollte: Bevor ich eine Familie gründete, wollte ich mein Jurastudium abschließen und eine Zeit lang als Anwältin arbeiten. Etwas anderes hätte ich mir nicht vorstellen können. Als Kerstin während des Abis schwanger wurde, dachte ich: Was für eine Katastrophe!

Wenn ich damals mit ihr redete und mich in ihre Situation versetzte, wurde ich panisch. Ich hätte ständig Angst gehabt, den Anschluss zu verpassen, meine Berufspläne nicht auf die Reihe zu bekommen, nicht reif genug zu sein. Außerdem hätte ich kein gutes Gefühl gehabt, mich so früh auf einen Mann festzulegen. Die Situation hätte mich einfach überfordert. Doch Kerstin erstaunte mich: Sie blieb total ruhig – und wurde sogar gelassener.

Rückblickend denke ich heute: Sie hat es richtig gemacht. Früh Kinder zu bekommen, ist eine gute Idee. Erstens: Muttersein ist wahnsinnig anstrengend. Mit 32 ist man nicht mehr so belastbar wie mit Anfang 20. Wenn meine Tochter die ganze Nacht schreit, bin ich am nächsten Morgen völlig fertig. Außerdem stecke ich mich mit so gut wie allen Krankheiten an, die in der Kita kursieren. Bei Kerstin war das anders, sie hat die Belastung damals besser gemeistert.

Zweitens: Muttersein stabilisiert, man besinnt sich auf die wichtigen Dinge im Leben. Das Kind hat oberste Priorität, alles andere muss sich unterordnen. Vieles wäre einfacher gewesen. Ich hätte mir nicht so viele Gedanken über Kleinigkeiten gemacht.

Aber während des Studiums dachte ich anders. Mein Beruf war mir immer wahnsinnig wichtig, heute würde ich sagen, ein bisschen zu wichtig. Die Vorstellung, ein eigenes Mandat zu haben und in der Robe vor dem Richter ein Plädoyer zu halten, ihn mit meinen Argumenten zu überzeugen – das war für mich das Größte. Seit der Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin lebte ich für diesen Moment, in dem ich selbst die Entscheidungen treffen und im Gerichtssaal die Anträge stellen würde. Die Anwälte bewunderte ich immer. Sehr lange dachte ich: Wenn ich selbst als Anwältin im Gerichtssaal stehe, dann bin ich glücklich.

Als es so weit war, und ich endlich mein erstes Plädoyer hielt, war das ein Glücksmoment. Aber leider merkte ich ziemlich bald, dass ich meinen Beruf völlig überhöht hatte. Nach kurzer Zeit war die Arbeit Alltag, ich lernte, dass ein Anwalt nicht viel Spielraum hat, wenn es um Verteidigungsstrategien geht. Sondern, dass das nach ziemlich starren Regeln abläuft. Das Bild von mir in Robe und mit dem Plädoyer auf den Lippen verblasste.

Auch wenn ich manchmal denke, dass es gut gewesen wäre, früher ein Kind zu bekommen, glaube ich: Für mich wäre es wahrscheinlich schwierig geworden, neben der Uni eines großzuziehen. Aus zwei Gründen: Meine Familie hätte mich finanziell nicht unterstützen können. Außerdem lebte ich während des Studiums bei meinem Großvater und kümmerte mich um ihn.

Als ich mit 32 schwanger wurde, passte der Zeitpunkt eigentlich auch nicht gerade. Vielleicht war es sogar der unpassendste Moment überhaupt. Ich hatte gerade erst das Referendariat abgeschlossen und bewarb mich um eine Stelle. Wer sollte mich jetzt anstellen? Notgedrungen musste ich mich selbstständig machen, obwohl ich immer geplant hatte, über eine Kanzlei in den Beruf einzusteigen.

Trotzdem hatte ich nie Zweifel daran, dass ich das Kind will. Ich war innerlich bereit für das Muttersein. Mein Freund und ich beschlossen: Wir wollen Eltern werden.

Meine Tochter hat mein Leben absolut bereichert. Der Beruf ist schon lange nicht mehr alles für mich, er ist vor allem fürs Geldverdienen da. Das Leben außerhalb des Jobs spielt jetzt eine viel größere Rolle. Meine Tochter bringt mich dazu, ehrlicher über mich nachzudenken – und ich habe festgestellt, dass ich eigentlich sehr gerne trockene Rechtsgebiete bearbeite. Deshalb habe ich jetzt sogar beschlossen, als Notarin zu arbeiten. Die Plädoyers überlasse ich gerne anderen. Dass ich mal so denken würde, hätte ich früher nie gedacht.

Veronica Frenzel

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