Familientragödie: Walter Kohl und Helmut Kohl: Die Geschichte vom verlorenen Vater
Die Familientragödie um Altbundeskanzler Helmut Kohl nimmt kein Ende. Sein Sohn Walter Kohl hat jetzt ein zweites Buch geschrieben – wie man einseitig Versöhnung finden kann.
Was tut der verlorene Sohn, wenn er zurück will zum Vater? In der Bibel ist das vergleichsweise klar dargestellt. Er macht sich einfach auf und muss nicht mal die vorab zurechtgelegten Worte, „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir ...“ sagen. Der Vater kommt ihm einfach so entgegen gelaufen und umarmt ihn.
Nun ist Bestseller schreiben ein etwas einträglicherer Job als Schweine hüten. Walter Kohl kann sich also etwas mehr Zeit lassen, er muss fern vom Vater nicht Hunger leiden. Wenn es ihn zur Versöhnung drängte, könnte er zum Beispiel einen Brief schreiben. Dass der Vater ihm entgegeneilen würde, ist beim Zustand Helmut Kohls derzeit freilich eher wenig wahrscheinlich. Zumal die physischen Hindernisse in diesem Fall nichts sind gegen die psychischen. So einfach wie an den Vater in der Bibel kommt man an Helmut Kohl nicht heran. Und die Frage, wer hier wem verzeihen muss, wird auch immer verworrener. Nach wie vor wird der Vater wohl von seiner zweiten Frau Maike abgeschottet. Darüber gibt es viele traurige Geschichten, betroffen sind nicht nur die Söhne, sondern auch zahlreiche langjährige Weggefährten.
Die klassische biblische Lösung kann hier also nicht funktionieren, und ein schlichter Brief wäre wohl auch eine Nummer zu klein für diese Familie. Walter Kohl, der mit seinem Buch „Leben und gelebt werden“ vor gut zwei Jahren seine schwierige Kindheit als Kanzlerkind aufarbeitete, wählt eine große Lösung, vielleicht auch weil er bis heute unter Nachwirkungen der Kindheit im übermächtigen Schatten des Vaters leidet.
Anfang des neuen Jahrtausends stand er kurz vor dem Suizid, wollte damals den Weg gehen, den seine Mutter Hannelore gewählt hatte. Nachdem er die Traumata schreibend aufgearbeitet hat in seinem „Leben und gelebt werden“, war er überwältigt von den Reaktionen. Viele Menschen suchten sehr persönlich seinen Rat. Vor allem wollten diese Menschen von ihm wissen, ob und wie man Versöhnung lernen kann.
Walter Kohl plant ein "Zentrum für eigene Lebensgestaltung"
Nun plant Walter Kohl den Aufbau eines „Zentrums für eigene Lebensgestaltung“, in dem er Lebensfreude und Versöhnung lehren will. Das sagte er jetzt der Nachrichtenagentur dpa. Deshalb hat er auch ein zweites Buch geschrieben mit dem Titel „Leben, was du fühlst“. Es handelt sich um ein Arbeits- und Praxisbuch zur Frage, wie Menschen ihren inneren Frieden durch einseitige Versöhnung finden können. Die Aufgaben in seinem Kfz-Zuliefererbetrieb in Königstein in Hessen, den er zusammen mit seiner koreanischen Frau betreibt, hat er reduziert. Erst vor einigen Monaten hat sein jüngerer Bruder Peter das Buch über seine Mutter Hannelore Kohl neu herausgegeben. Auf Bücher folgen Interviews, in denen es immer wieder um dieselbe Frage geht, ob es denn nicht doch endlich wieder Kontakt gebe. Den gibt es wohl nicht. Statt dem Vater zu schreiben, hat Walter Kohl begonnen, Briefe an sich selbst zu schreiben.
Es gibt viele Beispiele, wo Eltern, die Kinder an eine schreckliche Krankheit verloren haben, Stiftungen gründen zur Bekämpfung dieser Krankheit. Damit wollen sie dem Leiden einen Sinn geben. Die Gründung des Zentrums zur Lehre von Versöhnungstechniken und das Buch dazu scheinen ähnlich gelagert. Wo der Weg zur Umkehr verriegelt ist, muss eine größere Lösung her. Der Erfolg wird sich einstellen, denn das Schicksal dieser Familie bewegt viele Menschen.
Der Patriarch Helmut Kohl bleibt unversöhnlich
Ausgerechnet der große alte Patriarch, der Kanzler der Einheit, ist gegen Ende seines Lebens ein Gefangener seiner selbst, seiner Frau oder seiner Unversöhnlichkeit geworden. Die Bücher der Söhne formieren sich zu einer publizistisch aufgearbeiteten Familientragödie von fast biblischem Ausmaß. Ein Aufschrei, den der Vater eigentlich hören müsste, selbst wenn er Besuche sowie die Annahme von Briefen und E-Mails verweigert und den Inhalt der Bücher als Anklage versteht. Außerhalb seiner Festung wird immer deutlicher, dass im Falle der Kohls das Gleichnis vom verlorenen Sohn nicht greift. Es ist dies doch eher die Geschichte vom verlorenen Vater.