Kolumbiens Hauptstadt wandelt sich: Vorfahrt für Radfahrer in Bogota
Kolumbiens Hauptstadt wird für Pkw immer unattraktiver gemacht – nicht nur durch den autofreien Sonntag. Das verändert die Millionen-City schon jetzt.
Einen halben Meter hoch sind die orangefarbenen Begrenzungsblöcke, die mitten in Chapinero die Machtverhältnisse neu geordnet haben. Chapinero, das ist das Studentenviertel in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota und zugleich eine jener Ecken in dieser Metropole mit ihren acht Millionen Einwohnern, in der besonders viele Fahrradfahrer unterwegs sind. Die Stadtverwaltung hat ihnen eine eigene Fahrspur geschenkt und sie den Autofahrern weggenommen.
„Nur Radfahrer“ steht auf Bannern über der ehemaligen zweispurigen Autostraße. Für die Autos, Busse und Lastwagen bleibt hier inmitten einer der bevölkerungsreichsten Gegenden der Stadt nur noch eine Spur übrig. Und die ist – besonders in Spitzenzeiten – total überlastet.
„Das ist eine Enteignung“, sagt Uber-Fahrer Felipe. „Wir haben inzwischen so viele Beschränkungen für Autofahrer. Sie halbieren den Wert unseres Fahrzeugs. Ich kann das Auto ja gar nicht mehr voll nutzen, muss es aber weiter voll bezahlen“, kritisiert der 36-Jährige.
In der Tat ist der schrittweise Machtwechsel in Bogota nicht mehr zu übersehen. Schon länger gibt das sogenannte „Pico y Placa“, das mehrstündige Fahrverbote vorgibt. Morgens und nachmittags in der Rush-Hour dürfen nur Fahrzeuge fahren, deren Nummernschild auf eine bestimmte Nummer endet.
Hintergrund dieser Entwicklungen ist die hohe Luftverschmutzung in der Stadt sowie eine fehlende Metro, die dafür sorgt, dass Bogota Statistiken zufolge die Stadt mit den meisten Staus weltweit sein soll. Nur die reichen Einwohner Bogotas können diese Fahrverbotsregel umgehen, indem sie sich ein Zweitfahrzeug zulegen, dessen Nummernschild auf eine andere Nummer endet.
Und es gibt den „autofreien Sonntag“, der sich allerdings im Gegensatz zu den Fahrspurübertragungen und dem Fahrverbot einer großen Beliebtheit erfreut. Viele tausend Helferinnen des Bürgermeisteramtes sorgen dafür, dass jeden Sonn- und Feiertag in ganz Kolumbien Millionen Menschen auf Inline-Skates, Fahrräder oder auf Jogging-Schuhe umsteigen: „Ciclovia“ (Radweg) nennen die Kolumbianer dieses wöchentlich wiederkehrende gigantische Sportfest.
120 Kilometer Straße für Autos gesperrt
Allein in Bogota verwandelt sich dann ein 120 Kilometer langes Straßennetz, das von 7.30 bis 14 Uhr für Autofahrer gesperrt ist, in eine riesige Open-Air-Sportanlage. Dort, wo sich werktags hunderttausende Fahrzeuge durch die Staus quälen, haben die Autos dann nichts mehr zu suchen. Morgens ist die Menge noch überschaubar, ab 10 Uhr aber schwillt der Strom an. Vor allem Familien nutzen die Gelegenheit zum gemeinsamen sportlichen Ausflug. Bei gutem Wetter sind Hunderttausende unterwegs.
Der Machtwechsel weg vom Auto verschafft den Fahrradgeschäften einen regelrechten Boom. Es gibt inzwischen immer mehr Reparaturwerkstätten. Wo hochwertige Räder im Einsatz sind, steigt allerdings auch die Gefahr von Überfällen. Allein in Bogota sind in diesem Jahr bei Raubüberfällen, bei dem das hochwertige Bike das Ziel war, mehrere Menschen ermordet worden.
Wirtschaftlich wie kulturell hat der autofreie Sonntag eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Wo hunderttausende Menschen Sport treiben gibt es auch Nachfrage nach frischen Säften, Wasser oder handwerklicher Hilfe. Vor allem die fliegenden Werkstätten, die helfen, platte Fahrradreifen wieder zu flicken, haben ebenso Hochbetrieb wie die Orangensaftpressen.
Ein wenig Marktleben kehrt zurück
Im Stadtzentrum nutzen Künstler und Musikgruppen das lockere Ambiente als Kulisse für ihre Auftritte. Ein klein wenig kommt an diesen Tagen das gute alte Marktleben zurück in die Innenstadt, denn Radfahrer haben gegenüber Autofahrern einen entscheidenden Vorteil: Sie können auch einmal stehen bleiben, wenn ihnen etwas gefällt. Zudem baut Bogota sein Stadtzentrum konsequent in eine Fußgängerzone um.
Und noch etwas verändert sich: Einen regelrechten Boom erleben Fahrrad-Kurierdienste, die inzwischen Einkaufsfahrten übernehmen oder Essen ausliefern. Für sie sind die zusätzlichen Fahrspuren wie eine staatliche Subvention, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Autos einbringen.
Für Pkw bleibt nur die Nebenrolle
„Wie schön Bogota und seine wunderbare Ciclovia sind. Wir werden jeden Tag auf dem Rad verbringen“, schreibt Grünen-Politikerin Claudia Lopez auf Twitter, die sich um das Bürgermeisteramt in Bogota bewirbt. Gelingt ihr ein Wahlerfolg, dürfte der Umbau der Stadt, der schon jetzt vom amtierenden Bürgermeister Enrique Penalosa vorangetrieben wird, noch weiter fortgesetzt werden. Zwar soll die Stadt irgendwann eine Metro bekommen, doch das Versprechen gibt es in Bogota schon seit Jahrzehnten.
Für Autos bleibt angesichts dieser Entwicklung mittelfristig nur noch eine Nebenrolle. Wie am „autofreien Sonntag“, wenn nur noch Nebenstraßen als Ausgleichsrouten übrig bleiben. Von den sechs Spuren der wichtigsten Verkehrsachse, der Carrera 7, sind drei für die Sportler reserviert, die anderen drei für die Autos. Allerdings nur in eine Richtung.
Manchmal müssen die Fahrzeuge die „Jogger-Autobahnen“ überqueren. Dann halten Helfer Stoppschilder in die Luft, um die Sportler aufzuhalten. Für ein paar Sekunden haben dann die Autos doch noch einmal Vorfahrt, ehe die Straße dann wieder den Fitness-Begeisterten gehört.
Tobias Käufer
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