Tischkicker: Völlig durchgedreht
Lilly, 24, aus Neukölln hält sich am liebsten in der Kneipe auf Sie ist die beste Tischkickerin Deutschlands – und tritt sogar in den USA an.
Lillys Augen flackern über das Spielfeld. Schnell greifen die Hände nach den Griffen. Der kleine weiße Ball rollt hin und her, wird gestoppt, justiert. Ein kurzes Zögern, dann ein Ruck, ein dumpfer Knall – Tor! „Siehst du“, sagt Lillys Kumpel Daniel. „Da wird man von den Frauen einfach weggeballert. Das ist doch beschissen.“
Ein Vormittag in Moabit, Stromstraße. Lilly Andres, 24, hat ins Landesleistungszentrum geladen, in ein kleines Vereinsheim mit dem Namen „Danny’s Kickerparadies“. Bier und Aschenbecher stehen dort nicht auf den Tischen, die Deckenbeleuchtung flackert nicht mal, in Moabit geht es ziemlich professionell zu. „Kickern ist ja auch kein versoffener und verrauchter Kneipensport mehr“, sagt Lilly. „Wir kämpfen darum, eine anerkannte Sportart zu werden.“ Präzision, Koordination, Konzentration, Technik, darum geht es doch. Und in diesem Sport gehört Lilly zu den zehn Besten der Welt. Sie ist deutsche Nationalspielerin, kickert bei Weltmeisterschaften in Frankreich und Belgien mit. Vor gar nicht so langer Zeit trat sie sogar in den USA an, Las Vegas.
Früher hat sie diesen Sport gehasst
Hätte jemand Lilly – die übrigens mit bürgerlichem Namen Petra heißt, so aber von niemandem genannt wird – vor vier Jahren erzählt, sie würde beim Stichwort Tischfußball ins Schwärmen kommen, sie hätte ihn vermutlich lauthals ausgelacht. „Oh Mann, ich habe Kickern echt gehasst wie die Pest!“, sagt sie. Freunde hätten damals nach einem vierten Mann zum Spielen gesucht, „die mussten mich echt lange überreden“, schließlich fand sie daran Gefallen. Nachdem Lilly von Mainz nach Berlin gezogen ist, wird aus dem spaßigen Kickern so langsam Ernst. Motiviert von Freunden, misst sie sich mit den besten Spielern Berlins.
„Das war erst mal ein Desaster“, erinnert sie sich. „Die standen alle am Tisch wie Roboter und haben mich innerhalb von zwei Minuten weggeknallt.“ Locker gelassen hat Lilly trotzdem nicht, im Gegenteil. Sie trainiert. Woche für Woche lässt sie sich „wegknallen“, dann kommen die ersten Erfolge, sie landet schließlich im Berliner Verband und nimmt erfolgreich an Turnieren teil. „Tja, und dann kam irgendwann eine Mail vom Bundestrainer – und schwups, war ich in der Nationalmannschaft.“
Sie wollte Maskenbilderin werden, aber nicht lange
Ihre Berufung in den Kader kommt für Lilly zu einem günstigen Zeitpunkt. Denn die Ausbildung zur Maskenbildnerin hat sie nach nur eineinhalb Jahren geschmissen. „Ich konnte mit diesen Pseudo-Fernsehpromis und ihren Allüren einfach nichts anfangen“, erzählt sie. Heute wohnt sie in Neukölln, und trotzdem meint sie: „Ich habe es keine Minute bereut.“
Lillys Alltag wird vom Tischfußball bestimmt. Sie ist nicht nur Nationalspielerin, sondern auch Kapitän der Erstligamannschaft „Soccer Monkeys Berlin“ und Sportwart im Berliner Verband. „Wenn ich morgens aufstehe, schalte ich den PC an und fange an, irgendwas zu organisieren. Abends habe ich dann Ligaspiele oder gehe trainieren. Und freitags bis montags bin ich eigentlich immer auf Turnieren.“
Geld verdient Lilly mit ihrem aufwendigen Hobby wenig. Ab und zu fällt mal ein Preisgeld ab, große Sprünge kann sie damit aber nicht machen. Für den ersten Platz im Amateur-Doppel bei den Deutschen Meisterschaften gibt es 200 Euro, „allerdings muss ich ja auch Startgebühren, die Reise und Unterkunft zahlen“. Deshalb hält sich Lilly mit kleinen Jobs über Wasser: Mal kellnert sie in Cafés, mal führt sie Telefonumfragen oder fährt Autos für Händler in andere Städte. Wenn sie Glück hat, wird sie zu Promotion-Zwecken oder für Messen gebucht. Dann muss sie ihre Schnelligkeit zeigen und mit dem kleinen weißen Ball herumtricksen, „dann gibt’s schön viel Geld“.
Und wie finanziert sie das alles?
Finanzspritzen bekommt Lilly manchmal auch von ihrem Vater, zum Beispiel für die Turnier-Reisen. Und das, obwohl er dem Ganzen recht skeptisch gegenüberstand. „Mittlerweile hat er aber gemerkt, wie ausgeglichen ich bin, seitdem ich Tischfußball spiele“, sagt sie, grinst und formuliert es so: „Wie gute Väter nun mal so sind – die sind glücklich, wenn ihr Kind glücklich ist.“
Juliane Eichblatt