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Können Patienten der Falle entgehen, die die Krankenversicherungen ihnen stellen? Die erste Versicherung bietet Vergünstigungen an, wenn man seine Fitnessdaten liefert. Kann man sich demnächst nur noch eine Krankenversicherung leisten, wenn man seine Daten abliefert?
© Icedoc

Fitnessdaten für Generali: Versicherung will Lebensweise der Kunden kennen

Generali bietet als erste Krankenversicherung an, dass Kunden Geld sparen können, wenn sie ihre Fitnessdaten angeben. Können sich Ärmere bald nur noch eine Krankenversicherung leisten, wenn sie ihre Daten übermitteln?

Die Botschaft klingt gut und harmlos, und so will der Versicherungskonzern Generali sie natürlich auch verstanden wissen. Man wolle die Kunden besser dabei unterstützen, sich aktiv um ihre Gesundheit zu kümmern, sagt eine Sprecherin des Lebens- und Krankenversicherungsriesen am Freitag.

Die Unterstützung heißt „Vitality“, stammt ursprünglich von dem südafrikanischen Versicherer Discovery und kommt als Smartphone-App daher. Wer sie demnächst herunterlädt und einsetzt, liefert Generali Daten über seine Lebensführung – von Vorsorge-Untersuchungen über die Ernährung bis zur Zahl der täglichen Schritte. Im Gegenzug erhält er Gutscheine, Geschenke, später auch Beitragsrabatte. Dieses Angebot soll bis 2016 auch deutschen Kunden offeriert werden. Und angeblich basteln andere Versicherer wie Allianz und Axa an ähnlichen Projekten.

Damit kommt nun auch ein Trend im sensiblen Gesundheitsbereich an, der bei den empörten Debatten über Geheimdienst-Lauschangriffe oft vernachlässigt wird: Immer mehr Menschen liefern den Konzernen immer mehr Informationen über sich selbst, um in den Genuss diverser und oft kleinster Vorteile zu gelangen.

Die Verführung ist der erste Schritt in die Unfreiheit

Der Weg zur freiwilligen Datenspende ist kurz und verführerisch. Wo nicht Schnäppchen locken, winkt Bequemlichkeit. Dass Internet-Suchmaschinen und Einkaufsportale sammeln, was ihnen unterkommt, hat sich herumgesprochen. Ob sich jeder Smartphone-Nutzer, der die Navigationssoftware seines Taschencomputers zum Zurechtfinden benutzt, über die Konsequenzen im Klaren ist, ist weniger gewiss. Tatsächlich liefert er potenziell ein Bewegungsprofil frei Haus. Frühe Navigationsgeräte hatten ihre Karten auf einem Festspeicher im Gerät. Moderne Software lädt sich die Kartenstücke aus dem Netz, aktuelle Stau-Informationen inklusive. Das ist praktisch, wirft aber als Nebenprodukt Standortdaten ab.

Auch bei Kunden-Rabattkarten bezahlt Otto Normaleinkäufer den Nachlass und die Treuepunkte mit seinen Verhaltensdaten. Was kauft er ein, wie oft, in welchen Mengen – selbst wenn diese Daten nicht einer konkreten Person zugeordnet werden, um sie etwa gezielt mit Reklame zu bombardieren, liefern sie Firmenlogistikern und -einkäufern wertvolles Wissen über ihre Klientel. Die Stiftung Warentest kam schon 2010 zu dem Schluss, dass man nur bei wenigen Karten genau erfährt, wofür die Daten benötigt werden. Dass sich die versprochenen Rabatte in den seltensten Fällen lohnen, hatten die Tester schon früher vorgerechnet.

Geschäft auf Gegenseitigkeit

Trotzdem funktionieren die Modelle, weil sie bequem sind und an bekannte Vorbilder anknüpfen. Die Rabattmarke war gestern, die Zukunft ist Rabattkarte. Oder Smartphone. Mit neuer Technik wie dem Kurzstrecken-Funksystem NFC ausgerüstet, könnte es an der Kasse sogar in der Tasche bleiben. Auch das Generali-Projekt basiert auf Vorgängern aus der analogen Welt. Schon heute können Patienten Zuzahlungen für Zahnersatz verringern, wenn sie sich in Bonus-Heften bescheinigen lassen, regelmäßig zur Vorsorge erschienen zu sein. Für die Kassen ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die preiswerte Früherkennung verhindert, dass frühzeitig teurer Zahnersatz nötig wird.

Und auch die Debatte über Bonustarife für Gesundheitsbewusste und höhere Tarife für Raucher oder Risikosportler ist nicht neu. Bisher wehren sich die meisten Gesundheitspolitiker gegen solch gespaltene Tarife. Einerseits aus prinzipiellen Gründen: Denkt man die Methode zu Ende, zersplittert die Solidargemeinschaft. Und woran soll man Trinker, Raucher und bewegungsarme Couchhänger erkennen?

Generali fängt ganz harmlos an

An diesem Punkt setzt das Generaliprojekt an. Und das fängt ganz harmlos mit der Puls-App an. Den Zeigefinger auf die Kameraleuchte, App anschalten, und in 30 Sekunden spuckt das Gerät den Puls aus. Wer als Jogger wissen will, wie schnell er vom wild pochenden Herzen wieder runterkommt, kann die Daten vom Anbieter in dessen Cloud speichern und auswerten lassen. So kriegt er einen Überblick über seinen Trainingszustand. Der App-Hersteller allerdings auch.

Und es sind nicht nur Nerd-Athleten, die sich freiwillig selbst überwachen. In Deutschland nutzt schon mehr als jeder fünfte irgendwelche Gesundheits-Apps. Zwei von drei Deutschen können sich vorstellen, Smartphone-Anwendungen zur Selbstkontrolle einzusetzen. Einer Erhebung des Branchenverbandes Bitkom zufolge wäre einer von fünf Befragten sogar bereit, sich Chips zur Gesundheitsüberwachung einpflanzen zu lassen.

Kontrolle über Trinkbecher und Kontaktlinse

Kein Wunder, dass Gesundheit-to-go zum Massengeschäft aufwächst. Im vergangenen Jahr wurden auf den führenden Portalen rund 97.000 Gesundheits-Apps angeboten, pro Monat kommen 1000 neue dazu. Die Programme zählen Kalorien, erinnern an einzunehmende Medikamente, messen Puls und Blutdruck, helfen den Blutzucker zu überwachen. Und die technischen Möglichkeiten werden immer ausgefeilter. So hat die Firma Mark one die Entwicklung eines Trinkbechers angekündigt, der registriert, wie viel Flüssigkeit, Kalorien und Koffein sein Besitzer zu sich nimmt. Google arbeitet an einer digitalen Kontaktlinse für Diabetiker, die den Blutzuckerspiegel in der Tränenflüssigkeit misst und dem Smartphone per Funkchip übermittelt.

Doch wie gut und wie sicher sind die Dienste? Vor einem Jahr hat die Stiftung Warentest je zwölf Gesundheits-Apps für die Betriebssysteme Android und iOS unter die Lupe genommen. Als Defizit erwies sich fast immer die Transparenz. Hinter vielen Apps stecken Pharmakonzerne – was oft nicht kenntlich ist. Aus den Gesundheitsdaten könnten sie mühelos Nutzerprofile erstellen. Und jede sechste der getesteten Apps übertrug die Daten unverschlüsselt. Jeder Interessierte mit Know- how könnte sie abfangen.

Dass Versicherungen von diesen Möglichkeiten profitieren wollen, liegt nahe. Eine Untersuchung der Mobilfunkanbieter-Vereinigung GSMA kommt zu dem Ergebnis, dass sich über mobile Health- Dienste in drei Jahren EU-weit Gesundheitskosten in Höhe von 99 Milliarden Euro einsparen ließen. Weltweit, so die Annahmen, werden bis dahin 3,4 Milliarden Menschen ein Smartphone besitzen. Und jeder zweite werde darauf Gesundheits-Apps nutzen. Debatten über Patientendaten und das Foto auf der „Gesundheitskarte“ wirken angesichts des freiwilligen Selbstkontrollverzichts der Bürger da fast schon rührend antiquiert.

Die Bundesärztekammer warnt

Die Bundesärztekammer rät jedenfalls zu äußerster Vorsicht gegenüber Telemonitoring-Offerten von Versicherern. Diese Geschäftsmodelle seien „äußerst fragwürdig“, sagte der Vorsitzende des Telematik-Ausschusses, Franz Joseph Bartmann, dem Tagesspiegel. Er würde allen „dringend davon abraten, ihre Persönlichkeitsrechte zu opfern, bloß um ein paar Euro zu sparen“. Den Anbietern gehe es zuvorderst nicht darum, ihre Versicherten lange gesund zu halten. „Sie wollen an möglichst viele Daten kommen, um ihre Risiken zu minimieren und noch selektiver Verträge abschließen zu können.“

Letztlich bringe das aber die gesamte Versicherungswirtschaft in Schieflage. Denn sobald die einen Rabatte für gesundheitsbewusstes Verhalten bekämen, würden andere, die weniger gesundheitsbewusst lebten oder bloß nicht bereit seien, sich an dieser Offenlegung zu beteiligen, finanziell bestraft. „Krankenversicherungen sind nicht zuständig für Verhaltensbeurteilung und -überwachung“, so Bartmann. Allein der Versuch, so etwas zu tun, sei Grund genug, die Versicherung generell in Frage zu stellen.

...und wer nicht mitmacht, wird bestraft

Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen warnt. Die größte Gefahr solcher Bonusofferten sei die „Entmischung der Versicherten“, sagt Gesundheitsexpertin Ilona Köster-Steinebach. Wer seine Gesundheitsdaten preisgebe, werde mit Preisrabatten gelockt. Im Endeffekt könne das dazu führen, dass Menschen ökonomisch gezwungen seien, ihre Daten preiszugeben, um eine bezahlbare Krankenversicherung zu erhalten. Zudem müssten diejenigen, die sich daran beteiligten, mit Nachteilen bei anderen Versicherungen rechnen. Berufsunfähigkeits- oder Risikolebensversicherer könnten die Angaben auch für ihre Tarife nutzen. Wer nachweislich wenig Sport treibe, komme dort dann womöglich auch nur zu schlechteren Konditionen unter. Und dass die Daten von anderen geknackt würden, sei nicht auszuschließen.

Rechtlich seien Angebote wie das der Generali möglich, stellte die Verbraucherschützerin klar. Schließlich flössen die Daten freiwillig, und es herrsche Vertragsfreiheit. Dennoch sei von der Teilnahme davon abzuraten. Und wer sich partout darauf einlassen wolle, sollte auf zweierlei achten: auf die Garantie, die Datenüberlassung ohne Nachteile wieder beenden zu können. Und eine Zusicherung, dass die persönlichen Angaben nicht direkt beim Versicherer, sondern bei einem vertrauenswürdigen Dienstleister landen.

Ein paar technische Hintergründe

Die technische Entwicklung befördert die Individualisierung von Preisen und Tarifen. An Instrumenten zur automatischen Erfassung von Daten und Gegenständen wir eifrig geforscht, sie könnten in Zukunft auch als automatisierte Schnittstellen zwischen einem Unternehmen und einem Kunden dienen könnten.

Bereits seit über zehn Jahren erobern etwa die RFID-Chips die Logistikketten großer Unternehmen. RFID steht für Radio Frequency Identification. Die Chips können unter einenm Quadratmillimeter klein sein und so leicht auf Paletten, Sendungen, in einzelne Waren aber auch in Handys integriert werden. Auf dem Chips gespeichert ist ein Identifikationscode für das Produkt, doch anders als beim Barcode sendet der Chip den Code, er kann im Vorbeigehen ausgelesen werden. Bislang kommen die Chips vor allem in der Logistik zum Einsatz. Die Metro-Gruppe, einer der Vorreiter, setzt sie seit 2004 im Warenmanagement ein. Sie könnten aber auch für die Interaktion zwischen Kunde und Unternehmen genutzt werden, etwa beim Bezahlen. Auf der diesjährigen Cebit wurden Ideen für den Supermarkt der Zukunft gezeigt. Der Kunde könnte demnach mit seinem Smartphone einen RFID-Chip auslesen und so zusätzliche Informationen über ein Produkt erhalten, etwa über die Inhaltsstoffe.

Zur Identifikation der Kunden, die sich für ein mit RFID bezeichnetes Produkt interessieren, könnte das WLAN dienen. Das Berliner Start-up „42Report“ etwa bietet Händler die Möglichkeit, Kunden im Vorbeigehen anhand der Signale zu identifizieren, die ihre Handys bei der Suche nach WLAN-Netzen aussenden. Die Signale sind zunächst anonym, das Unternehmen verspricht den Händlern lediglich, Kundenströme genauer analysieren zu können und so Nachteile gegenüber Online-Händlern wie Amazon aufzuholen. Zur Identifikation bestimmter Kunden ist es aber nur eine kleiner Schritt.

Dauererfassung von Daten am Menschen bieten auch „Smart Watches“

Eine weitere, vollautomatische Schnittstelle zwischen Kunde und Unternehmen lässt sich über die sogenannte „Near Field Communication“ herstellen. Auch bei dieser Technik können mittels Funk Daten über kurze Distanzen ausgetauscht werden. Die Technik wird bereits für das Bezahlen eingesetzt – eine Berührung zwischen Kasse und Smartphone genügt, ein Betrag wird übertragen. Angeboten wird das System für kleinere Beträge etwa schon von den Sparkassen. Neuere Smartphones großer Hersteller wie Apple, Samsung und Nexus sind für die Near-Field-Technologie gerüstet.

Eine neue Dimension der Dauererfassung von Daten am Menschen bieten aber auch die „Smart Watches“. Die Apple-Uhr zum Beispiel, die im September vorgestellt wurde, kann den Puls messen und Schritte zählen – und natürlich kann die Uhr diese Daten auch senden, zunächst bis auf das Smartphone. Auch die Apple Watch soll für das Bezahlen genutzt werden können.

Die eigentliche Apple-Revolution in diesem Zusammenhang, das befand zumindest der Medienprofessor Edward Castronova in der New York Times, ist das „Apple Wallet“, das Apple-Portemonnaie: sozusagen die Software zur Uhr. Das Programm soll es ermöglichen, digitale Währungen aller Art – Bonuspunkte, Meilen, Handyguthaben, Bitcoins, Rabatte – zu verwalten, untereinander zu tauschen und damit zu bezahlen. „Die Idee ist, dass man alles mit allem bezahlen kann“, schrieb Castronova, das sei eine „Revolution“. Vielleicht gibt es dann ja auch Punkte für Daten. Der Individualisierung wären keine Grenzen mehr gesetzt.

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