Panorama: Verbotene Liebe
Ein Geschwisterpaar hat vier Kinder gezeugt – jetzt klagt es in Karlsruhe gegen das Inzestverbot
Sie lieben sich, sie wollen zusammenleben wie es Eheleute tun, Sex inklusive. Sie haben vier Kinder im Alter von einem, zwei, drei und fünf Jahren. Aber es gibt im deutschen Gesetz einen Paragrafen, der das bestraft, was Susan K., 22, und Patrick S., 30, wollen: denn die beiden sind Geschwister.
Paragraf 173 des Strafgesetzbuches verbietet den Beischlaf unter Verwandten; Patrick saß deswegen schon im Gefängnis. Jetzt zieht das Paar vors Verfassungsgericht. Sie wollen in Karlsruhe gegen das Inzestverbot klagen. „Das Verbot ist ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung“, sagt der Anwalt der beiden, Endrik Wilhelm. Nach Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes ist die sexuelle Selbstbestimmung ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Damit greife Paragraf 173 in die grundrechtlich gewährleistete Freiheit ein – und müsse geändert oder abgeschafft werden.
Patrick und Susan kommen aus der gleichen Familie, wurden aber nach der Geburt getrennt. Patrick wuchs in Potsdam auf, Susan bei der gemeinsamen Mutter in Leipzig. Mit 18 machte sich Patrick auf die Suche nach seiner leiblichen Familie – Bruder und Schwester lernten sich erstmals kennen.
Und wurden ein Paar. 2001 wurde ihr erster Sohn geboren. Im Jahr darauf wurde Patrick zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Seine Schwester blieb straffrei, weil sie noch nicht volljährig war. Es folgten drei weitere Kinder, und Patrick kam ins Gefängnis. Während er seine Strafe absaß, lernte die Schwester einen anderen kennen, mit dem sie ihr fünftes Kind bekam. Nun jedoch ist Patrick auf freiem Fuß und lebt wieder zusammen mit seiner Schwester in Leipzig. „Was ja nicht verboten ist“, sagt Anwalt Wilhelm. Verboten ist nur der Geschlechtsverkehr.
Inzest unter Verwandten ersten Grades (Vater/Tochter, Mutter/Sohn und Geschwister) ist in allen Kulturen der Welt tabu. Der Grund: Kinder von engen Verwandten haben ein erhöhtes Risiko, behindert zur Welt zu kommen. „Jedes zweite Kind einer solchen Verbindung ist behindert“, sagt Jürgen Kunze, Humangenetiker an der Berliner Charité. Nicht umsonst gebe es gegen Sex mit engen Verwandten, mit denen man aufgewachsen ist, eine instinktive Abneigung.
Auf der anderen Seite sind Verwandtenehen in vielen Ländern gang und gäbe. Im Iran zum Beispiel sind schätzungsweise 40 Prozent aller Ehepaare miteinander mehr oder weniger entfernt verwandt – nicht jedoch geschwisterlich.
In alten Kulturen, wie im antiken Ägypten, waren dagegen Geschwisterehen des Pharao regelrecht vorgeschrieben, um die Macht in der Familie und das Blut „rein“ zu behalten. Auch Kleopatra ist aus einer Geschwisterehe hervorgegangen. „Kleopatra hat Glück gehabt“, sagt Kunze. Hätte sie selbst Kinder mit einem Verwandten gehabt, es wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit behindert gewesen.
In unserer Kultur geht die juristische Situation letztlich auf Moses zurück, der im Alten Testament spricht: „Lebt nicht so, wie man in Ägypten lebt … Die Sitten dieser Völker gehen euch nichts an.“ Dennoch ist in vielen europäischen Ländern – beispielsweise Holland, Belgien und Portugal – Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten ersten Grades rein juristisch erlaubt, wenn er nicht auf Zwang beruht, etwa sexueller Nötigung.
Im Falle von Patrick S. und Susan K. könne jedoch von sexueller Nötigung keine Rede sein, sagt der Anwalt, da beide miteinander leben wollen. „Außerdem ist mein Mandant sterilisiert“, sagt Wilhelm. Damit sei das biologische Argument hinfällig. „Aber selbst wenn – es ist ja auch für Menschen mit geschädigtem Erbgut nicht verboten, Kinder zu zeugen.“
Kritiker des Paragrafen 173 meinen darüber hinaus: Mag ja sein, dass wir in unserer Gesellschaft Geschwisterehen moralisch verwerflich finden und dass es einen natürliche Widerwillen dagegen gibt. Aber muss man die Sache deshalb strafrechtlich verfolgen? Muss jemand dafür gleich ins Gefängnis?
Der Arzt Kunze hat dazu eine klare Meinung. Er sagt: „Für Verwandte ersten Grades sollte Geschlechtsverkehr verboten bleiben. Bei entfernteren Verwandtschaftsgraden sollte man die Menschen über die Gefahren aufklären – und ihnen die Entscheidung selbst überlassen.“
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