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Winter - eine schwierige Jahreszeit.
© dpa

Wintermüdigkeit: Und jährlich grüßt das Murmeltier

Je länger es draußen dunkel ist, desto schneller werden die Menschen müde. Eigentlich ganz normal. Wer sich dem nicht ergeben will, kann der Wintermüdigkeit aber ein Schnippchen schlagen.

Mitten am Nachmittag bricht die Nacht herein. Die Lichter der weihnachtlich erleuchteten Großstadt trösten darüber hinweg. Aber was ist mit der Verabredung zum Joggen nach der Arbeit? Fühlt man sich dazu nicht viel zu müde? Komisch, noch vor Kurzem, in diesem sagenhaften Spätsommer, hat man es abends so oft geschafft, an den See zu radeln und dort eine Runde zu schwimmen.

Wer sich nun oft müde fühlt, ist aber weder seit dem Sommer schlagartig gealtert noch notwendigerweise krank. Das versichern uns Biologen und Mediziner, die sich mit der Abhängigkeit des Menschen von Jahreszeiten und Lichtverhältnissen beschäftigen. „Wir haben in uns wie alle Lebewesen ein System von inneren Uhren, das in Abhängigkeit vom Licht funktioniert. Wenn die Tage kürzer werden, stellt sich die gesamte Physiologie auch beim Menschen um“, sagt der Psychiater Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin am St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin-Mitte.

Man kann die grassierende Wintermüdigkeit durchaus als dezente, durch kulturelle Anforderungen gemäßigte Form des Winterschlafs betrachten. Zumal nicht einmal Igel, Siebenschläfer und Murmeltiere in der kalten Jahreszeit tief und fest schlafen. „Sie gehen in eine Art Energiesparmodus“, sagt Kunz. Ein Mensch, der nun allabendlich schon gegen halb zehn dem Verlangen nachgibt, sich in seiner warmen Daunendecke zu verkriechen, kann sich auf vier Millionen Jahren Evolution berufen, wenn auch er in einen gemäßigten Ruhemodus verfällt. „Nachts, wenn sie nichts sehen konnten, waren unsere Vorfahren in Gefahr, sie hatten allen Grund dazu, mucksmäuschenstill zu sein.“ Der winterliche Energiesparmodus war aber auch deshalb wichtig, weil unsere Vorfahren sämtliche Energie in die Wärmeproduktion steckten, um draußen nicht zu erfrieren.

Als Teil dieses Überlebenskampfs kann man auch die Lust auf Schokolade und Plätzchen erklären, die viele verspüren, sobald die Tage kürzer werden: Es gilt, energietechnisch für die dunklen, kalten Monate vorzusorgen, die noch vor uns liegen. Korrekterweise sollte es allerdings heißen: es galt. Denn Hamstern und Winterspeck haben ihre Funktion verloren, wenn Zentralheizungen und Supermärkte als zuverlässige Energielieferanten den ganzen Winter über zur Verfügung stehen.

Anders sieht es allerdings mit dem Licht aus: Dafür, dass man genug davon abbekommt, muss man dieser Tage sehr bewusst und aktiv sorgen. Am besten wäre es, jetzt bei Tageslicht viel draußen zu sein. In jeder freien Minute. Ganz besonders wichtig ist das aus chronobiologischer Sicht zum Wachwerden am Morgen. Es tut gut, vor der Arbeit noch eine Runde zu joggen oder wenigstens auf dem Weg zur Arbeit eine Station früher aus der U-Bahn auszusteigen.

Licht suchen

Denn selbst an einem trüben, nebligen Dezembertag kann man im Freien noch 2000 bis 3000 Lux ergattern. Die Lichtstärke von Tausenden von Kerzen. „In den Innenräumen herrschen dagegen meist nur 50 Lux, die das Auge nicht wirklich als helles Licht erkennt“, sagt Kunz. Genau in diesen winterschlaftauglichen Innenräumen aber muss die Mehrheit der Bevölkerung ihre Wintertage verbringen – möglichst wach und präsent.

Es ist deshalb eine wahrhaft einleuchtende Idee, unserem Organismus in den Innenräumen etwas vorzumachen – durch Outdoor-Beleuchtung. „Aus Studien an jungen, gesunden Versuchspersonen wissen wir inzwischen, dass man die innere Uhr in Schwung bringen kann, wenn man die Morgenstunden bis mittags in kaltem, weißblauem Licht verbringt“, sagt Chronomediziner Kunz, der selbst in seinem Klinikbüro unter einer Lampe mit sehr hellem, blauhaltigem Licht arbeitet.

Lampen mit bis zu 10 000 Lux werden im Rahmen einer speziellen Lichttherapie auch zur Behandlung von Patienten eingesetzt, die unter einer Winterdepression leiden. Untersuchungen zufolge ist in unseren Breiten ungefähr ein Viertel der Bevölkerung von solchen saisonalen Schwankungen des Befindens betroffen. Meist sind sie harmlos – und führen allenfalls dazu, dass man mehr Schlaf braucht und Heißhunger auf Süßigkeiten hat. „Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung entwickeln aber eine Symptomatik, die behandlungsbedürftig ist“, sagt Kunz. Das Beschwerdebild wird von Medizinern unter dem Namen SAD (für: Saison-abhängige Depression) zusammengefasst.

Auffällig ist, dass auch diejenigen, bei denen sich eine wirkliche Winterdepression entwickelt, oft Heißhunger auf Süßes und ein hohes Schlafbedürfnis haben – ganz anders als bei einer klassischen Depression, die oft mit Schlaf- und Appetitlosigkeit einhergeht. Neben einer familiären Veranlagung sind für das Auftreten von SAD wohl Veränderungen maßgeblich, die sich auf die innere Uhr auswirken, etwa beim Botenstoff Melatonin. Auf die Jahreszeiten und das Licht reagieren eben nicht alle Menschen gleich.

Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass die saisonalen Beschwerden Ende Januar, Anfang Februar sogar noch zunehmen – ausgerechnet dann, wenn die Tage schon wieder länger werden. Eine Erklärung ist, dass dem Körper dann Vitamin D fehlt, das er nur unter dem Einfluss von UV-Strahlung bilden kann: Die Speicher, die sich im Sommer füllen, haben sich allmählich geleert. „Und das gilt wohl auch für andere Aktivitätsfaktoren“, sagt Kunz. „Die Betroffenen sind in der zweiten Hälfte des Winters biologisch wie emotional zermürbt von der lang anhaltenden Dunkelheit und der langen Reihe von trüben Tagen.“ Wem solche Tage aufs Gemüt schlagen, der sollte vielleicht besser schon an den Frühlingsbeginn und an Ostern denken.

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