Iranerin Reyhaneh Jabbari soll gehängt werden: "Um 8 Uhr können Sie ihre Leiche abholen"
Die Iranerin Reyhaneh Jabbari soll hingerichtet werden, weil sie ihren Vergewaltiger erstach. Sie hofft auf Gnade. Ihr in Berlin lebender Onkel appelliert an die Familie des mutmaßlichen Vergewaltigers.
Shole Pakravan ist am Ende ihrer Kräfte. Seit sieben Jahren kämpft sie um das Leben ihrer Tochter Reyhaneh Jabbari. Die heute 26-Jährige sitzt in Iran in der Todeszelle. Sie hat als 19-Jährige einen Mann umgebracht, als der versucht haben soll, sie zu vergewaltigen. Nun steht ihre Hinrichtung offenbar kurz bevor. Ein Anruf der Mutter im Teheraner Gefängnis Rejaeeshahr vergangene Woche scheint die Gerüchte zu bestätigen: „Ihre Tochter ist bei uns. Um 5 Uhr wird sie hingerichtet. Um 8 Uhr können Sie ihre Leiche abholen“, bekam sie zu hören. Dann wurde die Hinrichtung doch noch verschoben. Angeblich eine Gnadenfrist von zehn Tagen. Sie endet diesen Mittwoch.
So zumindest berichtet es der Onkel der Verurteilten, Fariborz Jabbari, der seit 35 Jahren in Berlin lebt. Informationen aus erster Hand sind aus dem Iran kaum zu bekommen. Menschenrechtsorganisationen haben keinen Zugang zu dem Land. Dennoch hat der Fall in den vergangenen Monaten für viel Aufsehen gesorgt. Fast 200 000 Menschen haben eine Petition im Internet unterzeichnet, mit der eine Neuauflage des Verfahrens und die Aussetzung der Hinrichtung gefordert wird. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatte sich bereits im Frühjahr „besorgt“ über die bevorstehende Hinrichtung gezeigt. Der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage im Iran, Ahmed Shaheed, geht davon aus, dass es Unregelmäßigkeiten in dem Verfahren gegen Jabbari gab, weil es sich bei dem Vergewaltiger um einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter handelt.
Das Gericht hat Beweise ignoriert
Im Jahr 2007 traf Reyhaneh Jabbari, die damals als Dekorateurin arbeitete, auf Morteza Abdolali Sarbandi, einen Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes. Er heuerte die junge Frau an, angeblich um ein Büro neu einzurichten. In der Wohnung wollte er sie dann zum Sex nötigen. So beschreibt es die Frau vor Gericht. Sie hat auch zugegeben in Notwehr ihrem Peiniger mit einem Messer einen Stich versetzt zu haben. Er verblutete.
Ein iranisches Gericht verurteilte Jabbari 2009 zum Tode durch Erhängen, 2014 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Urteil. Nach wie vor sind noch etliche Fragen offen.
Nach Erkenntnissen von Amnesty International war Jabbari nach ihrer Festnahme fast zwei Monate lang in Einzelhaft gekommen, ein Rechtsbeistand sei ihr erst sehr viel später gewährt worden, berichtet der Onkel. Außerdem hat das Gericht offenbar Beweise ignoriert und internationale Strafrechtsstandards verletzt. Aussagen, nach denen eine dritte Person zum Tatzeitpunkt anwesend war, wurden von den Behörden nie untersucht, könnten Jabbari aber entlasten. Bei der ersten Sitzung des Gerichts sah es zunächst noch danach aus, als würde Jabbari freigesprochen, weil sie in Notwehr handelte. Doch der Richter wurde kurz darauf ersetzt. Der neue Richter verurteilte Jabbari wegen Mordes zum Tode.
Reyhaneh Jabbari soll im Gefängnis geschlagen worden sein
Von Deutschland aus hält Fariborz Jabbari, der Onkel der Verurteilten, Kontakt zur Familie in Iran. Er berichtet, seine Nichte sei im Gefängnis geschlagen worden, man habe sie zwingen wollen, ihre Aussage zu ändern. Unter anderem solle sie ein Geständnis unterzeichnen, wonach, das spätere Opfer doch nicht versucht habe, sie zu vergewaltigen.
In einem Telefonat mit ihrer Mutter blieb sie bei ihrer Darstellung: „Mutti, falls du nach meinem Tode ein solches Geständnis bekommst, sei sicher, dass sie meinen Fingerabdruck nach der Hinrichtung genommen haben.“ In Iran kann ein Fingerabdruck als Unterschrift gelten.
Amnesty International möchte sich zwar zum konkreten Fall nicht äußern, prangert aber generell die Rechtslage in Iran an: „Es ist davon auszugehen, dass auch Geständnisse erpresst werden, die dann vor Gericht zugelassen werden“, sagt Ruth Jüttner, Nahost-Expertin bei Amnesty. In Iran werden nach China weltweit die meisten Menschen hingerichtet. Allein bis zum September dieses Jahres nach offiziellen Angaben 230 Menschen. Amnesty berichtet unter Berufung auf „zuverlässige Quellen“ von mindestens 536 Hinrichtungen.
Ob die Hinrichtung von Jabbari am Mittwoch ein weiteres Mal aufgeschoben wird, ist unklar. Ihr Leben liegt jetzt in der Hand der Angehörigen des Mannes, der sie wohl vergewaltigen wollte. Gemäß iranischem Recht könnten sie Jabbari begnadigen. Ihr Onkel appelliert ein letztes Mal an die Familie: „Lasst Reyhaneh nicht noch einmal zum Opfer werden“, sagt er.
Sidney Gennies