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Wie in einem Dom. Arbeiter gehen durch einen Tunnel des derzeit größten Infrastrukturprojekts der USA, des „East Side Access“. Es soll den Bahnverkehr an der US-amerikanischen Ostküste auf das Doppelte seines jetzigen Volumens wachsen lassen.
© Mike Segar/Reuters

Im Untergrund von Manhattan: Tunnelsystem der Superlative für schnellen Bahnverkehr

Im Untergrund von New York entsteht derzeit das größte Infrastrukturprojekt der USA. Für zehn Milliarden Dollar baut die Verkehrsgesellschaft bis 2022 ein gigantisches Tunnelsystem.

Zwischen den Fundamenten der New Yorker Wolkenkratzer auf der East Side fahren derzeit täglich mehr als 1000 Bauarbeiter und Ingenieure unter Tage. In der stickigen Luft sichern die Arbeiter Stollen im Fels. Zwischen Chrysler Building und St. Patricks Cathedral müssen mit riesigen Maschinen gefräste Röhren verkleidet werden. Von der 34sten bis zur 63sten Straße, tief unter der Park Avenue, verlegen sie Leitungen. Der Boden unter der Grand-Central-Bahnstation wird regelrecht ausgehöhlt. Auch ein längst gegrabener Tunnel unter dem sandigen Bett des East River inklusive Bahnstation wird ausgebaut; für ein neues Mammutprojekt der Superlative in New York.

In der Unterwelt von Manhattan geht etwas vor, von dem die meisten derer, die überirdisch gehen, stehen, arbeiten, essen oder schlafen, gar nichts mitbekommen. Für mehr als zehn Milliarden Dollar entsteht dort ein neues verzweigtes Tunnelsystem. Es soll den Bahnverkehr an der US-amerikanischen Ostküste auf das Doppelte seines jetzigen Volumens wachsen lassen. Die beiden großen Bahnhöfe New Yorks, Grand Central und Penn Station, werden endlich verbunden. Mit den derzeit noch permanent überlasteten und ausgebuchten Zügen zwischen Washington DC, New York und Boston können nach Fertigstellung des Projekts dann 162 000 Passagiere pro Tag transportiert werden. Im Untergrund der Grand Central Station wird dafür ein eigenes neues Terminal mit zwei Stockwerken gebaut.

Der „East Side Access“, wie das Projekt heißt, ist das derzeit größte Infrastrukturprojekt in den USA. Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde so etwas diskutiert. Ursprünglich waren einmal etwa vier Milliarden Dollar Baukosten dafür veranschlagt. Ob es bei den derzeit notierten 10,2 Milliarden bleibt, wird sich zeigen. Bis 2022 soll es fertiggestellt sein, sollten nicht weitere Verzögerungen hinzukommen. Der „East Side Access“ erstreckt sich dann von Manhattan nach Queens und in die Bronx, mit mehr als elf Meilen neuer Bahntunnel, bis zu 14 Stockwerke unter der Erde. Die neue unterirdische Grand Central Station soll mit jeweils acht Gleisen auf zwei Ebenen und einer luxuriösen Bahnhofshalle auf einer Zwischenebene ausgestattet sein.

Die Vereinigten Staaten sind nicht der Inbegriff eines Schienenverkehrlandes. Aber an der Ostküste ist der Zug der Bahngesellschaft „Amtrak“ ein zentrales Verkehrsmittel. Der „East Side Access“, wie es der Baudirektor der New Yorker Verkehrsbetriebe Michael Horodniceau in einem NBC-Interview sagte, sei ein „Game Changer“, eine Wende. Sie soll den Passagieren die Reisezeit um bis zu drei Stunden verkürzen. Planer und politisch Verantwortliche hoffen außerdem, das Projekt möge weitere Infrastrukturerneuerungen inspirieren. In einem Land, in dem Stromleitungen lose an Holzpfählen hängen und nur wenig Geld für das Stopfen von gefährlichen Schlaglöchern auch auf Schnellstraßen ausgegeben wird, täte Inspiration not.

Obama: 100.000 Brücken sind reif für Medicare

Amerika befindet sich in einer Infrastrukturkrise. „Einer der Gründe, weshalb Amerika eine wirtschaftliche Supermacht geworden ist“, sagte US-Präsident Barack Obama anlässlich eines Besuchs im Bundesstaat New York im vergangenen Jahr, „ist der Aufbau eines Transportsystems der Weltklasse.“ Im Verlauf der vergangenen 50 Jahre aber seien Investitionen in Verkehrswege um die Hälfte gesunken. „Wir haben Häfen, die nicht für die nächste Generation der Cargo-Schiffe gerüstet sind. Wir haben 100 000 Brücken, die reif sind für Medicare (die medizinische Altersversorgung).“ Fast die Hälfte aller US-Amerikaner, sagte der Präsident, habe keinen Zugang zu einem Transportsystem. „Und ich muss Ihnen nicht sagen, wie einige unserer Flughäfen aussehen.“

Um der Öffentlichkeit Zuversicht in den Fortschritt unter Manhattan zu geben, ließ die Verkehrsgesellschaft vor Kurzem Journalisten in die Tunnel. Die Fotos, die diese mit nach oben brachten, zeigen riesige Röhren und Baustellen. Baudirektor Horodniceanu verwies auf Nachfragen der amerikanischen Medien über den Stand der Arbeiten auf die Dimension des Unternehmens. „Dies ist ein Projekt von historischen Proportionen.“ Die öffentliche Führung war eine Art Notwendigkeit geworden. Angesichts explodierender Kosten und ständiger Bauverzögerungen wächst auch die Kritik. Andere dringende Erneuerungen blieben damit liegen.

Nächstes Megaprojekt: New Yorks gesamtes Bus- und Schienennetz wird saniert

Die Verkehrsgesellschaft MTA plant jedoch parallel schon ein zweites Megaprojekt. Für 29 Milliarden Dollar soll das gesamte Schienen- und Busnetz New Yorks saniert werden. Geplant sind neue Busse und Bahnen, die Digitalisierung der Stationen, eine Erneuerung des Leitsystems und eine Sanierung der bestehenden Tunnel. Diese sind alt und morsch. Wirbelsturm „Sandy“ hatte die Tunnel zudem geflutet, die Verkehrsbetriebe kämpfen jetzt gegen die rostigen Folgen.

Schon im Bau ist die erste Erweiterung des New Yorker Subway-Systems seit einem halben Jahrhundert: Die Linie unter der Second Avenue wird Harlem besser anbinden und besonders diejenigen freuen, die in der UN-Zentrale am East River arbeiten. Bleibt noch der Autoverkehr. Der über 100 Jahre alte Hudson-River-Tunnel, der Manhattan und New Jersey verbindet, bringt Tag für Tag 150 000 Menschen unter dem Fluss durch. Gut 20 Jahre, so schätzen Experten, wird er noch halten.

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