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Als hätte er nie etwas anderes getan: Thomas Tuchel im etwas zu weit sitzenden Herrenmantel auf New Yorks Bürgersteigen.
© DIE ZEIT

Ex-Dortmund-Trainer: Tuchel modelt in New York

Ex-Dortmund-Trainer Thomas Tuchel sinniert in New York über seine Kindheit und den Rausschmiss beim BVB. Einen neuen Vertrag hat er noch nicht.

Als hätte er nie etwas anderes getan, trägt Thomas Tuchel den etwas zu weit sitzenden Herrenmantel von Dolce und Gabbana über den New Yorker Bürgersteig, blinzelt fragend in die Sonne. Die Nadelstreifenhose dazu und die klobigen, gewienerten Schuhe, beides von Boss, wirken so, wie die Stylistinnen es wohl beabsichtigt haben: Nonchalant, urban, wie ein Mann, der viel Zeit vor dem Spiegel verbringt, um so zu wirken, als verwendete er kaum Zeit auf sein Äußeres. Die Fotos könnten aus einer beliebigen Modereklameserie stammen, Herbst-Kollektion: Tuchel in einem New Yorker Hinterhof, Tuchel im Porträt mit Sonnenbrille, Tuchel von der Seite, nach unten blickend.

Tuchel blickt zurück

In der neuen Ausgabe des „ZEITmagazins MANN“, das am Dienstag in den Handel kommt, gibt sich der ehemalige Trainer des Borussia Dortmund als sinnierender Dandy: Im zweitägigen Interview erzählt er von Kindheit und Jugend, von seiner Rückkehr zum Fußball nach frustrierenden Verletzungen und dem Aus für die Profikarriere, von seiner Zeit beim 1. FSV Mainz 05 und zuletzt beim BVB. Dazu trinkt er Gin Tonic und isst Bananenkuchen.

Das Kapitel Borussia ist noch nicht abgeschlossen

Seit Tuchel Ende Mai trotz gerade gewonnenen DFB-Pokals von der Dortmunder Geschäftsführung gefeuert wurde, hat er ausreichend Zeit, sich Gedanken zu machen. Noch hat der 44-Jährige keinen neuen Trainerposten. Leverkusen hatte angefragt, doch zum Start der Bundesligasaison hat der gebürtige Schwabe noch keinen Vertrag unterzeichnet. Sein erster öffentlicher Auftritt zum Abschiedsspiel des Mainzer Verteidigers Nikolce Noveski am Sonntag verlief nicht ganz ohne Seitenhieb gegen den BVB, bei dem Tuchel laut eigener Aussage gerne geblieben wäre: Tuchel zeigt Verständnis für den Trainingsstreik des früheren BVB-Profis Ousmane Dembélé, der das Training in Dortmund boykottierte und damit seinen Verein zwang, ihn zum FC Barcelona wechseln zu lassen. Ganz verarbeitet hat Tuchel den Bruch scheinbar noch nicht, wird er doch täglich mit seiner Vorgeschichte konfrontiert: Familie Tuchel wohnt weiterhin in Dortmund, hier haben seine Töchter Anschluss gefunden, hier ist der Freundeskreis, sagt Tuchel im Interview.

Sein Vorbild: Pep Guardiola

Verbringt er Zeit in New York, kann Tuchel in sich gehen, ohne allzu oft erkannt zu werden. Das Großstadtflair gibt ihm aber auch die weltmännische Aura seines großen Vorbilds Pep Guardiola. Die beiden Trainer kennen sich privat, stellten Mannschaftsaufstellungen mit Salz- und Pfefferstreuern nach, zwei Großmeister der Taktik und der Trainingsdisziplin an einem Tisch. Nun eifert Tuchel seinem Vorbild auch in seinem Auftreten in der Freizeit nach. Der Kulturmensch, der zu Theateraufführungen geht und sich ihnen hingibt, wie sonst nur einem Fußballspiel – diese Seite hat Tuchel gestrichen.

Tuchel erfindet sich neu

Beteiligt ist daran nicht zuletzt sein Manager Olaf Meinking. Der half unter anderem bereits dem Pop-Künstler Clueso, sich ohne Plattenlabel im Rücken neu zu erfinden. In dieser Geschichte erkannte sich auch Tuchel wieder. Nach dem unglücklichen Ende bei Dortmund und dem ebenfalls nicht ganz konfliktfreien Abschluss bei Mainz, wo der Verein ihn ein Jahr lang für Folgeanstellungen sperrte, braucht Tuchel ein neues Narrativ. Es ist wohl kein Zufall, dass er sich am 30. Mai, dem Tag seiner Kündigung bei Borussia Dortmund, bei Twitter anmeldete und direkt im zweiten Tweet seinen Abschied verkündete. Der erste Tweet war ein optimistischer „Hallo, hier bin ich“-Tweet gewesen, versehen mit dem Hashtag „#neuland“.

Strenge Disziplin vergraulte Spieler und Fans

Neuland liegt jetzt in der Tat vor ihm. Tuchel gibt sich betont zurückgelehnt im Interview mit dem Magazin, betont, dass er schon bei seinem ersten Sabbatical vor drei Jahren kein Problem mit dem Abschalten gehabt habe. Nur einen Moment gibt es, in dem sich die Laune trübt: Als sein Manager ihm vorliest, dass er in einem Artikel als „kühl, steif, berechnend“ bezeichnet wurde, antwortet er auf Englisch: „Thanks for ruining my day“.

Dass seine Vision und sein Trainerstil in Mainz und Dortmund zu großen sportlichen Erfolgen, aber langfristig auf wenig Gegenliebe bei den Spielern trafen, lässt er wohlweislich aus. Bewusst ist es ihm trotzdem: „Ich wollte meinen eigenen Anspruch auf die anderen übertragen, und wenn das nicht geklappt hat, wurde ich unleidlich“, sagt Tuchel im Interview und erinnert sich an ein verlorenes Fußballturnier in Berlin, an dem er als 16-jähriger teilnahm. „Wahrscheinlich war ich auch sauer auf mich, weil ich meine eigenen Ansprüche nicht erfüllt habe.“

Diplomatie ist nicht seine Stärke

Bereits als Zehnjähriger schreit Tuchel den Torwart seines Fußballteams an, bis der Vater, gleichzeitig Trainer der Mannschaft, einschreiten muss. Später reagiert seine Frau schockiert, als sie seinen groben Umgangston bei Spielen mitbekommt, damals noch als Fünftligatrainer. Fans kritisieren, dass er Publikumslieblinge und hoffnungsvolle Talente, wie den Schweden Alexander Isak, auf der Ersatzbank parkt. Mit seiner undiplomatischen Art hat Tuchel schon so manchen vor den Kopf gestoßen. Kontrollzwang zeigt Tuchel allerdings auch sich selbst gegenüber: Die Stylistinnen des ZEITmagazin-Shootings bewundern die Modelfigur des hageren 1,90-Meter großen Ex-Trainers. Der trinkt zwar Gin Tonic und schwärmt vom Tiramisu, hat aber ansonsten seine Ernährung komplett umgestellt und treibt mehrmals die Woche Sport.

Zwist mit Geschäftsführer Watzke

Die Ansprüche, die er an sich stellt, stellte Tuchel auch an seine Spieler: Er strich Nudeln vom Speiseplan, ließ Kameras an allen Spielfeldecken installieren und täglich Leistungsdaten analysieren. Damit profilierte er sich als technokratischer, detailversessener Leistungsmensch, vor allem im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jürgen Klopp – und dem beliebten Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Der einzige Rollentausch: der Streit zwischen Watzke und ihm, als Tuchel nach dem Anschlag auf den BVB-Bus im April derjenige ist, der Empathie für die Spieler zeigt und sich dafür einsetzt, dass das Nachholspiel verschoben wird. Watzke hingegen, unter Druck gesetzt durch Anrufe von Kanzlerin und Innenminister, setzt das Spiel am kommenden Tag durch.

Tuchel ist Krisen gewöhnt

Weniger als zwei Monate später gibt der Verein seine Kündigung bekannt, Geschäftsführer Watzke veröffentlicht einen scharfen Brief auf der Webseite des Vereins: „Wir haben in der gegenwärtigen personellen Konstellation leider keine Grundlage mehr für eine auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Zusammenarbeit gesehen“, heißt es darin. Eine klare Absage, die seine Chancen auf einen neuen Trainerposten in der Bundesliga nicht verbessern dürften. Tuchel hat auf die harte Tour gelernt, mit Niederlagen umzugehen: Nach dem Aus für die Profifußballerkarriere raffte sich der damals 24-Jährige auf, begann ein Studium, jobbte in einer Bar, baute so wieder Selbstbewusstsein auf. Vielleicht erfüllt Modeln die gleiche Funktion.

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