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Vorbild Berliner Mauerweg.
© Kai-Uwe Heinrich

„Iron Curtain Trail“: Traumroute Eiserner Vorhang - der längste Radweg Europas

Wo jahrzehntelang Mauern und Zäune die Menschen trennten, wächst seit einigen Jahren der längste Radweg des Kontinents.

In der Werbung und manchmal auch im wahren Leben gibt es immer wieder Dinge, die wegen ihres großen Erfolges verlängert werden. Das gilt in gewisser Weise auch für den Weg, der verbindet, was früher getrennt war. Im Jahr 2001 beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus vor allem auf Initiative des grünen Oppositionspolitikers (!) Michael Cramer, den Mauerweg um den Westteil Berlins umfassend zu beschildern und fahrradfreundlich auszubauen. Und der langjährige Berliner Verkehrspolitiker Cramer beschloss, nachdem er 2004 ins Europäische Parlament gewählt worden war: Was auf gut 160 Kilometern funktionierte, sollte auch auf fast 10.000 Kilometern machbar sein. 2005 beschloss das Europaparlament, den „Iron Curtain Trail“ zu etablieren, den „Europa-Radweg Eiserner Vorhang.“

Elf Jahre später ist das Buch zum Mauerweg beim österreichischen Esterbauer-Verlag in achter Auflage erhältlich und die Tour entlang des Eisernen Vorhangs weit oben auf der Traumzielliste vieler Radreisender. Die entsprechenden Reiseführer sind auf Deutsch und Englisch erschienen; Cramer trägt seine inzwischen deutlich angefledderten Korrekturexemplare stets bei sich. „Von den 10.000 Kilometern bin ich 6000 gefahren“, sagt er und versucht dabei gar nicht erst, seinen Stolz zu verbergen. Den Nordteil habe dankenswerterweise ein finnischer Grüner recherchiert: Fast 1500 Kilometer von der Barentssee entlang der finnisch-russischen Grenze, soweit man ihr durch die Wälder Kareliens folgen kann. Dieser Nordteil der Route ist nicht der populärste, aber ein besonderer, weil der Vorhang sich hier noch nicht gehoben hat.

Das unterscheidet ihn vom großen Rest der Strecke, deren Verlauf selbst bei Älteren manchen Aha-Effekt auslöst. Denn nachdem sie der Ostseeküste der drei baltischen Staaten, der russischen Exklave Kaliningrad und Polens gefolgt ist, entspricht die geschichtsträchtige Route von Usedom bis Lübeck dem Ostseeküstenradweg und führt dann mitten durch Deutschland – als „Grünes Band“ entlang der Elbe, durch den Harz und die Rhön ins fränkisch-böhmische Grenzgebiet.

Grün ist dieses Band auch deshalb, weil es über Jahrzehnte nicht betreten werden durfte. Die Natur entlang der Sperrmauern und Zäune konnte sich ungestört entwickeln wie sonst kaum.

An der schönen Donau

Doch das Erlebnis will erarbeitet sein: Schon der einstige Panzerplattenweg war eher für Militärfahrzeuge geeignet als für bepackte Fahrräder. Und an vielen Stellen haben ihn die Grenztruppen nach dem Fall der Mauern mit preußischer Akribie beseitigt. Was blieb, sind vereinzelte Grenztürme, geteilte Dörfer, Fluchtgeschichten, Mahnmale, Gedenksteine, Begegnungsstätten.

Dabei ist der Weg lokal durchaus beschildert und teils gut ausgebaut. „Ich habe mal einen bayrischen Bürgermeister getroffen, der war stolz wie Bolle“, berichtet Cramer: „Der hat gesagt: ’10.000 Kilometer lang und führt durch mein Dorf?!’“

Begeisterung ist gut, Geld wäre besser: „Alle 20 beteiligten Staaten sind interessiert“, sagt Cramer, „aber umgesetzt werden muss es lokal.“ Das gilt auch für Deutschland, das zwar einen Nationalen Radverkehrsplan voll guter Ideen habe, aber auch einen Bundesverkehrswegeplan, in dem Fahrradverkehr nicht vorkomme.

Die fast schon selbstverständlich gewordene Alternative sind EU-Mittel; der Radweg ist die längste von 14 Euro-Velo-Routen und kann mit bis zu 85 Prozent EU-Geld kofinanziert werden, sagt Cramer. Dieses Geld werde gerade im südlichen Teil gern genutzt. „Tschechien hat den alten Kolonnenweg bewahrt und teils gut ausgebaut, in der Slowakei sind 80 Prozent ausgeschildert, Ungarn hat den Weg an der Grenze zu Österreich markiert.“ Nachdem der Weg der ungarischen Südgrenze gefolgt ist, verläuft er dem Lauf der Donau, um am nördlichsten Punkt der Türkei an der Küste des Schwarzen Meeres zu enden. „Fahrradtourismus generiert innerhalb der EU inzwischen 44 Milliarden Euro“, sagt Cramer, der seit Mitte 2014 dem Ausschuss für Tourismus und Verkehr im Europaparlament vorsitzt. „Kreuzfahrtschiffe bringen es auf 39 Milliarden Euro.“

Von den vielen oft wenig bekannten Politikern im Straßburger und Brüsseler EU-Betrieb gehört Cramer schon jetzt zu denen, die buchstäblich Spuren hinterlassen haben. Fürs prominenteste Radverkehrsprojekt des Bundesverkehrsministers, den „Radweg Deutsche Einheit“ zwischen Bonn und Berlin, hat er nur Spott übrig: „Dobrindt denkt offenbar, Deutschland war zwischen Nord und Süd geteilt. Das kenne ich eigentlich nur von Aldi.“

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