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Einsturz. Zuletzt stand „The Wall“ in Berlin 1990 – im Sommer 2011 will Roger Waters mit der Neuinszenierung seiner Rockoper wieder in die Stadt kommen.
© Piero Oliosi/Polaris/laif

Rock-Klassiker: "The Wall": Angst baut Mauern

Weiterentwickelte Technik hilft der Mission: Roger Waters lässt die legendäre "Wall" von Pink Floyd spektakulär wieder aufbauen und gibt ihr einen neuen Sinn.

Die Hämmer marschieren wieder, Bataillone im Gleichschritt, die Stiele wie Beine emporgeworfen – rechts, links, rechts, links – , auch die stählernen Köpfe in schneidigem Takt, jederzeit zum Zuschlagen bereit: Eine düstere Szene in Schwarz, Weiß und blutigem Rot. Gekreuzte Hämmer auch auf den Fahnen der sechs grimmig dreinblickenden, in düsterer Kluft uniformierten Saalordner dort oben auf der Bühne, ebenso auf dem schwarzen Kapuzenpullover ihres Führers, des sich in Allmachtsfantasien verlierenden Rocksängers Pink, der dem Publikum Verachtung entgegenschleudert.

Zum ersten Mal sah man diese Hämmer, eine Metapher der Gleichschaltung, 1980/81, als Projektionen in den „The Wall“-Konzerten von Pink Floyd, dann ein Jahr später in der Verfilmung von Alan Parker. Zuletzt marschierten sie vor 20 Jahren in Berlin, am 21. Juli 1990 auf dem noch öden Potsdamer Platz in der Inszenierung von Roger Waters, dem einstigen, 1985 im Unfrieden ausgeschiedenen Kopf der legendären Band. Ein Live-Spektakel für Hunderttausende und für Millionen weltweit am Fernseher. Am Mittwochabend nun wurden sie von Waters in Toronto erneut auf den Marsch geschickt: Start zu einer Tournee erst durch Kanada und die USA, im Frühjahr 2011 dann durch Europa, ein Mammutunternehmen mit 114 Shows, das am 15. und 16. Juni auch in der Berliner O2-World gastieren wird. Ein furioses Projekt, das den für Pink Floyd und Roger Waters typischen Gigantismus noch einmal übertrifft: 7,5 Millionen Dollar Produktionskosten soll die alte Show in Berlin verschlungen haben, für seine neue Mauer musste Waters schon 16 Millionen hinblättern, „bevor auch nur eine Note gespielt worden war“, hieß es in Toronto aus seinem Umfeld.

Herzstück der Show ist wieder die titelstiftende Mauer, die im Laufe der zweieinhalb Stunden zu einer Monsterwand von 73 mal 11 Metern emporwächst und dann zuletzt – „Tear down the wall“ – spektakulär zusammenbricht. Sie ist die zentrale Projektionsfläche für den zum großen Teil neuen, wieder mit dem Zeichner und Karikaturisten Gerald Scarfe erarbeiteten Bilderrausch, der die legendäre Rockoper erst zum mal plakativen, mal hypnotischen Gesamtkunstwerk veredelt. Bis zu 15 Projektoren illuminieren mit gestochen scharfen Bildern Baustein für Baustein bis in den letzten Winkel. Daran war früher noch nicht zu denken.

Die Superlative kann Waters sich leisten: Die Fans sind ihm offenbar treu geblieben, 500 000 Karten waren nach dem Verkaufsstart in Nordamerika binnen weniger Stunden weg. Ins ausverkaufte Air Canada Centre in Toronto waren am ersten Abend 13 000 gekommen, zwei weitere Abende sollten folgen. Und von den sieben deutschen Konzerten sind bereits vier ausverkauft, darunter das erste in Berlin.

Die weiterentwickelte Bühnentechnik mag Waters mit bewogen haben, sich mit 67 Jahren noch einmal mit „The Wall“ auf die Reise zu begeben. Aber das Hauptmotiv, betont er immer wieder, war ein anderes: Seine Geschichte über die Mauern im Kopf war schon immer messianisch beseelt – gegen boshafte Lehrer, überfürsorgliche Mütter und andere, weit schlimmere Diktatoren, beklagt den Krieg, der dem jungen Roger Waters den Vater genommen hatte. Aber es war auch eine private Geschichte um einen krisengeschüttelten Rockstar, der sich immer mehr isoliert, die Mauern um sich höher zieht, bis er dahinter fast verschwindet.

In dieser autobiografisch gefärbten Figur und ihrer Leidensgeschichte meint Rogers nun umfassendere, globale Bedeutungsebenen entdeckt zu haben. Pink, der traurige Rockstar, erscheint ihm als „eine Allegorie, wie Nationen handeln“, die Mutter als „Symbol der Regierung“, die ihre Kinder dumm und abhängig hält, mit Propaganda und Konsumterror zu geduldigem Schlachtvieh der Kriege abrichtet.

Für das Projekt hatte Waters im Internet aufgerufen, ihm Bilder von gefallenen oder getöteten Familienangehörigen zu senden, um sie auf die Mauer zu projizieren. Mit dieser Bilderschau beginnt die neue Geschichte nach einer ersten, als Ouvertüre platzierten und von spektakulärer Pyrotechnik begleiteten Version von „In the Flesh“. Das Bild seines Vaters Eric Fletcher Waters, gefallen am 16. Februar 1944 im Italienischen Anzio, steht ganz vorne in der endlosen Reihe von Toten aus dem Irak, Afghanistan, den Weltkriegen. Soldaten und Zivilisten sind darunter, Freund und Feind, ein Wehrmachtsleutnant namens Schultze und ein Feuerwehrmann aus Richmond.

Krieg, Gewalt, Zerstörung sind die Leitmotive der Show. Sie bieten Gelegenheit zu dramatischen Details wie dem aus früheren „Wall“-Shows bekannten auf die Bühne stürzenden Kampfflieger – und zu plakativer Symbolik. Riesige Bomberschwärme gleiten zu „Goodbye Blue Sky“ über die Mauerfläche, in ihrem Bauch tödliche Last: Erst Kreuze, dann Hämmer und Sicheln, Halbmonde, Davidsterne, Dollarzeichen, Shell-Muscheln, Mercedes- Sterne werfen sie ab – für Waters allesamt des Teufels. Später werden Mao und Bush, gefolgt von Hitler und Stalin, in eine Reihe gestellt, und zu „Mother“ glotzt riesenhaft eine Videokamera zurück ins Publikum: „Big Mother is watching you“. Die aufgeblasene Groteskfigur der Mutter allein reicht nicht mehr. Selbst für „Another Brick In The Wall Part 2“, den berühmtesten Song der Rockoper, versucht Waters eine Umdeutung. Er stilisiert den oft als Klagegesang geknechteter Schulkinder missdeuteten Hit durch die T-Shirts des begleitenden Kinderchors zur Mahnung an Jedermann und alle Regierungen um: „Fear builds walls“ – Angst baut Mauern.

Ob diese Botschaften ankommen? Waters glaubt daran. Er gab sich nach der Premiere euphorisch, will weiter an der Optik der Show basteln. Er genoss die Rückkehr auf die Bühne sichtlich und ließ sich auch dadurch nicht irritieren, dass das sehr enthusiastische, von Haschwolken umnebelte Publikum auch bei ruhigen, melancholischen Stücken jubelte und gröhlte. Dabei war David Gilmour, legendärer Pink-Floyd-Gitarrist, entgegen anderslautender Gerüchte gar nicht als Überraschungsgast gekommen.

Andreas Conrad

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