Mordprozess gegen Sprintstar: Staatsanwalt bezichtigt Oscar Pistorius der Lüge
Der Prozess gegen den südafrikanischen Sprintstar Oscar Pistorius nähert sich seinem Ende. Die Staatsanwaltschaft warf Pistorius vor, das Gericht belogen zu haben. Bisher ist überhaupt nicht abzusehen, wie das Urteil aussehen könnte.
Nach fast einem halben Jahr geht der Prozess gegen den des Mordes angeklagten Paralympics-Star Oscar Pistorius nun auf seine Zielgerade. Am Donnerstag und Freitag werden die mit Spannung erwarteten Schlussplädoyers gehalten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden darin versuchen, die 66-jährige Richterin Thokozile Masipa (66) von ihrer Sicht des Tathergangs zu überzeugen. Staatsanwalt Gerrie Nel hat Pistorius in seinem Plädoyer der Lüge bezichtigt. „Der Angeklagte war ein betrügerischer Zeuge. Seine Aussage ging völlig an der Wahrheit vorbei“, sagte er am Donnerstag im Gerichtssaal im südafrikanischen Pretoria.„In dem Haus befanden sich nur zwei Menschen. Einer davon wurde getötet“, sagte Nel weiter. „Es gab nur einen Überlebenden, und da er sich entschieden hat auszusagen, hätte man erwarten können, dass er eine ehrliche Version von dem erzählt, was passiert ist.“
36 Zeugen wurden in den 39 Verhandlungstagen vernommen, darunter Polizisten, zehn Nachbarn und verschiedene Freunde von Pistorius und seiner von ihm erschossenen Freundin Reeva Steenkamp Das Schlussplädoyer der Verteidigung wird für Freitag erwartet..
Die meisten Experten wollen sich nicht auf einen bestimmten Prozessausgang festlegen: Die Spannbreite ihrer Einschätzungen reicht von Freispruch wegen Notwehr über 15 Jahre für Totschlag bis hin zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen vorsätzlichem Mord. Die meisten rechnen offenbar mit einer mehrjährigen aber keiner lebenslangen Haftstrafe. Auch ein Freispruch gilt gemeinhin als unwahrscheinlich. Der Grund: Pistorius selbst hatte sich im Verlauf seines Kreuzverhörs immer wieder in Widersprüche verwickelt und dabei verschiedene Versionen des Tatvorgangs erzählt.
Auch hatte er mehrere Fragen der Richterin einfach umgangen. Sein wenig überzeugendes und bisweilen auch ausgesprochen emotionales Auftreten hatte die Verteidigung am Ende bewogen, nach Abschluss der Beweisaufnahme noch einmal weitere Zeugen aufzurufen, darunter den Sportmediziner Wayne Derman, der jahrelang mit Pistorius zusammengearbeitet hatte. In seiner Zeugenaussage dieser dem Sportler eine Form von „extremer Wachsamkeit“ bescheinigt. Zusammen mit seiner körperlichen Behinderung erkläre dies, warum Pistorius nach den von ihm im Badezimmer vernommenen Geräuschen nicht geflüchtet sei sondern die Situation konfrontiert hätte. Daneben hatte Derman bei Pistorius bisweilen „extreme Angstzustände“ festgestellt. Allerdings hatten Gutachter den Paralympics-Sportler nach einer vierwöchigen Beobachtung Ende Juni für schuldfähig erklärt. Pistorius habe zur Tatzeit nicht an einer Geistesstörung gelitten, die ihn von der Verantwortung für die Tat entbinde.
Noch ist unklar, wie die Richterin entscheiden wird
Der 27-Jährige hat selbst zugegeben, in der Nacht zum Valentinstag vor einem Jahr seine Freundin Reeva Steenkamp in seiner Villa in Pretoria mit vier Schüssen durch eine geschlossene Toilettentür getötet zu haben. Ob dies absichtlich oder irrtümlich geschah, wird sich trotz einer genauen Obduktion von Tatwaffe, Munition und Einschüssen vielleicht nie mehr mit Sicherheit feststellen lassen. Umso größere Bedeutung erhält die Bewertung seiner Person und seines Geisteszustand durch Psychologen und andere Experten.
Staatsanwalt Gerrie Nel ist überzeugt, dass sich Pistorius und seine Freundin heftig stritten und der Sportler das Model deshalb in Rage hinter der Toilettentür erschossen habe, wo sie sich verbarrikadiert hatte. Der Sportler blieb dagegen auch im Kreuzverhör durch den Staatsanwalt bei seiner Aussage, wonach es eine Verwechselung war: So habe er hinter der Toilettentür einen Einbrecher vermutet.
Noch ist völlig unklar, zu welcher Version der Ereignisse die erfahrene schwarze Richterin neigt. Allerdings ist sie für ihre Unnachgiebigkeit bei Gewalttaten bekannt, vor allen wenn diese sich gegen Frauen richten. Doch selbst wenn Pistorius aus Notwehr gehandelt haben sollte, ist immer noch nicht klar, ob er mit vier gezielten Schüssen, noch dazu mit einer extrem schweren Munition, nicht den zulässigen Rechtsrahmen der Selbstverteidigung überschritten hat. Sicher ist derzeit nur, dass der Sportler vermutlich bis zum Prozessende auf den Beistand seines Bruders verzichten muss, der bislang fast jeden Tag im Gericht war: Nach einem schweren Autounfall vor einer Woche befindet sich Carl Pistorius noch immer in einem Krankenhaus in Pretoria, allerdings außer Lebensgefahr. Sein Auto war am vergangenen Freitag auf einer Autobahn frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert, das aus noch nicht bekannten Gründen auf die gegenüberliegende Fahrbahn geraten war. Pistorius wurde dabei schwer verletzt und erlitt neben Brüchen auch innere Blutungen. Er befand sich auf der Rückfahrt von einem Geschäftstermin im Norden von Südafrika.