Karneval: Spießiges Herumgewitzel in traurig heiteren Kostümen
Über die Entwicklung von Karneval als Rebellion gegen die Machtelite zu einem Fest von unterirdisch schlechten Späßen. Eine Glosse.
Berlin, das heißt in diesen Tagen auch: kein Karneval, jedenfalls kein fühlbarer. Es hat vermutlich damit zu tun, dass das Konzept des für wenige Tage legalisierten Saurauslassens in unseren Breiten irgendwie zu katholisch daherkommt, das ist quasi wie Beichte vorab, und das schon vor der Sünde.
Da es aber seit Äonen zum Konzept unserer – wie heißen sie jetzt gleich aktuell? – gemeinsamen freien Sender gehört, die größten Karnevalsfeiern ungefragt übers ganze Land zu verbreiten, kommt die eine oder andere davon auch in Berlin an.
Und aus der Sicht einer Stadt, in der viele gute und schlechte Witze gemacht werden, ist das Urteil alljährlich das gleiche: Wie ist es möglich, dass eine Sache, die doch mal das Aufbegehren gegen die Machtelite kanalisieren sollte, zu einem derart unfassbar flachen und spießigen Herumgewitzel werden konnte?
Gibt es keine Autoren, die das besser können, keine Redner und Sänger, die nicht jede noch so altbackene Pointe versemmeln?
... dann ist Karneval tot
Nach allem, was wir wissen, sind diese Prunksitzungen nicht ironisch gemeint, es geht also keinesfalls darum, das Niveau des letzten Jahres gezielt und planvoll zu unterbieten und sich dann darüber lustig zu machen.
Die Menschen, die da mit ihren traurig heiteren Kostümen herumsitzen, wirken zwischen gelegentlichen Emotionsexplosionen ja eher, als warteten sie auf eine Vorsorgeuntersuchung mit ungewissem Ausgang. Wäre da nicht das turnusmäßige Tärää der Kapelle, würden sie vermutlich die beabsichtigten Höhepunkte des rheinischen Humors nicht einmal bemerken.
Das betrifft natürlich auch Bernd Stelter, jenen in Köln offenbar weltberühmten Humoristen, der einen Witz über Frauen mit Doppelnamen machte und zu seiner grenzenlosen Verblüffung dafür an Ort und Stelle beschimpft wurde, von einer Frau mit Doppelnamen. Ein Riesenthema in Richtung #metoo! „Der Netzfeminismus will jetzt auch noch den Karneval für die Mobilmachung gegen den alten weißen Mann vereinnahmen“ schreibt sogar eine Frau, Dagmar Rosenfeld, in der „Welt“, sie spricht von „Erregungsfetischisten“. Armer alter weißer Mann!
Aber ist nicht der Vorwurf, den wir diesem Mann in seiner Erscheinungsform als Bernd Stelter tatsächlich machen sollten, dass er uns mit unfassbar schlechten, alten und dummen Witzen malträtiert? Wenn Karneval bedeutet, all jene Späße zu verbreiten, die selbst Mario Barth aus Qualitätsgründen abgelehnt hat, dann ist Karneval tot. Bei Frauen, Männern und allen anderen Identitäten.
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