Brustimplantate: Silikon wird ein Fall für Europa
Rund 5000 Frauen sind in Deutschland betroffen: Ihnen wurden minderwertige Brustimplantate eingesetzt. Eine von ihnen klagte gegen den Tüv wegen unzureichender Prüfung. Der Bundesgerichtshof hat den Fall am Donnerstag an den EuGH verwiesen. Ein kleiner Zwischenerfolg
Frauen, denen gesundheitsschädliche Brustimplantate der französischen Firma PIP eingesetzt wurden, haben einen juristischen Etappensieg erzielt. Eine Klägerin aus Rheinland-Pfalz verlangt vom Tüv Rheinland 40.000 Euro Schmerzensgeld, weil der die Implantate nicht ausreichend geprüft habe. Bisher war die Klage der Frau – wie alle anderen auch – vor Gerichten gescheitert. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte das vorherige Urteil am Donnerstag erstmal nicht, sondern legte nun den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor. Der soll vorab grundsätzlich entscheiden, ob Kontrolleure unangekündigt Visiten in den Unternehmen machen müssen, bevor sie ein Medizinprodukt für den europäischen Markt freigeben dürfen.
Bisher wurde die Klägerin immer abgewiesen
Das ist zunächst eine gute Nachricht für die Klägerin aus Rheinland-Pfalz und für alle anderen 5000 betroffenen Frauen in Deutschland. „Ich bin zuversichtlich, dass wir vor dem EuGH gewinnen“, sagte die Klägerin aus Ludwigshafen nach dem Zwischenentscheid in Karlsruhe. Zuletzt hatte im Januar 2014 das Oberlandesgericht Zweibrücken die Klage der Frau aus Ludwigshafen abgewiesen. Der Tüv habe seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt, unangekündigte Kontrollbesuche bei der Firma seien weder vorgeschrieben noch angezeigt gewesen, urteilten die Richter in Rheinland-Pfalz. Diese Auffassung steht nun aber in Frage. Der EuGH gilt als verbraucherfreundlich. Es ist zu erwarten, dass er die Kontrollpflichten für Medizinprodukte eher streng auslegt. Allerdings zeigte sich auch der Tüv Rheinland nach dem Zwischenentscheid optimistisch. „Wir sind zuversichtlich, dass der EuGH die Fragen in unserem Sinne beantwortet“, sagte Sprecher Hartmut Müller-Gerbes in Karlsruhe.
Der Tüv hatte bisher seine Kontrollen angekündigt
Die Patientin aus Ludwigshafen hatte sich 2008 die Implantate der Firma PIP einsetzen lassen, vier Jahre später musste sie in einer zweiten Operation die Kissen entfernen und durch andere ersetzen lassen. Denn 2010 war bekannt geworden, dass PIP das Silikon in den Implantaten durch minderwertiges und billigeres Industriesilikon ersetzt hatte. Ein Platzen wäre hoch gefährlich gewesen.
Der Tüv Rheinland, der einen Prüfvertrag mit PIP hatte, bemerkte die Manipulation bei seinen regelmäßigen – aber zuvor angekündigten – Kontrollen nicht. Denn der überprüfte nur die vorgelegten Dokumente des Unternehmens, nicht die Implantate selbst. Die Implantate erhielten das Prüfsiegel CE und wurden für den europäischen Markt freigegeben. Dass nun der EuGH eingeschaltet wird, liegt am Europarecht. Denn die Überprüfung von Medizinprodukten ist durch eine europäische Richtlinie geregelt. Mit ihr sollte der Sicherheitsstandard von Medizinprodukten und Implantaten in der ganzen EU vereinheitlicht und verbessert werden. Die Richtlinie wurde in allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt, in Deutschland im sogenannten Medizinproduktegesetz.
Frankreich hat anders geurteilt
Die Überweisung an den EuGH hat noch einen guten Grund. Ein Handelsgericht in Toulon hatte aufgrund der Klage von 1600 Frauen entschieden, dass der Tüv Rheinland sehr wohl eine Mitverantwortung trage und hat den betroffenen Frauen deshalb je 3000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Damit entschieden die Richter in Toulon anders als bisher alle deutschen Gerichte. Das französische Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig. Europäisches Recht kann aber nicht von den Mitgliedsstaaten jeweils ausgelegt werden und der Erfolg von Klagen nicht davon abhängen, in welchem Land die betroffenen Frauen vor Gericht ziehen.
Erfahrungsgemäß dauert es mehr als ein Jahr, bis Luxemburg über Vorlagen entscheidet. Danach gehen die Fälle zur Endentscheidung wieder an die nationalen Gerichte, hier also an den BGH. Das kostet zwar Zeit, sorgt aber für Rechtssicherheit und vor allem für einheitliche Sicherheitskontrollen in Europa. Voraussichtlich werden jetzt noch viel mehr Frauen den Tüv Rheinland verklagen. Denn sie können nun eher auf Schmerzensgeld hoffen. Außerdem läuft im Dezember 2015 die Verjährungsfrist ab, und wer bis dahin keine Klage erhoben hat, kann es danach nicht mehr tun. (Az: Bundesgerichtshof VII ZR 36/14)
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