Zivile Seenotrettung für Flüchtlinge: Selbstverständlich müssen sie gerettet werden
Der Schiffskapitän Klaus Vogel gründet mit einigen Mitstreitern eine zivile europäische Seenotrettung für Flüchtlinge im Mittelmeer. Und er fragt sich: "Warum habe ich diese Idee nicht viel früher gehabt?"
Dass das Mittelmeer kein Urlaubsidyll ist, sondern hochgefährlich, weiß Kapitän Klaus Vogel spätestens, seit er es vor mehr als 30 Jahren als junger Nautiker das erste Mal auf einem schweren Handelsschiff durchquerte. Riesige Wellen rollten damals über den hohen Bug. Er war deshalb entsetzt, als im Herbst die italienische Rettungsaktion Mare Nostrum eingestellt wurde. Sofort dachte er an die Flüchtlinge, die in kleinen Booten auf dem Mittelmeer ihr Leben riskierten.
Containerschiffe können nur schwer Menschen aufnehmen
„Mir wurde klar, dass es kein Konzept für die Zeit nach Mare Nostrum gab, dass wir Handelsschiffskapitäne von der Situation überfordert sein würden, dass diese Menschen einfach sterben würden“, erzählt er in einem Café in Charlottenburg. Vogel ist ein mittelgroßer, schlanker Mann, der ruhig und überlegt spricht, Ende 50, im hellblau-weiß gestreiften Hemd mit goldfarbenen Knöpfen und beiger Anzughose. Containerschiffe mit ihren hohen Bordwänden könnten nur schwer Menschen aufnehmen, außerdem habe der Fahrplan meist Priorität. Selbst hat er dort keine Rettungsaktion miterlebt, aber er kennt viele Kollegen, die bei einem Notruf in der Nähe waren und versuchten zu retten, oft vergeblich. „Ich verstand: Wir Bürger tragen Verantwortung, dass diese Menschen gerettet werden.“ Seitdem fragt er sich: „Warum habe ich nicht viel früher diese Idee gehabt?“
Diese Idee ist heute der Verein SOS Mediterranee. Eine zivile europäische Seenotrettung fürs Mittelmeer, nach dem Vorbild der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Die wurde vor genau 150 Jahren von einem Reeder gegründet und ist heute einer der modernsten Seenotrettungsdienste der Welt, finanziert wird sie allein durch private Spenden. Kurz davor war ein Auswandererschiff vor der ostfriesischen Insel Spiekeroog verunglückt. Die 216 Menschen an Bord wollten nach Amerika. 77 starben.
"Ich sehe keine Fremden, sondern Menschen wie wir", sagt Klaus Vogel
„Wenn ich ein Bild von einem Flüchtlingsboot sehe, dann sehe ich keine Fremden, sondern Menschen wie wir“, sagt Klaus Vogel, der mit seiner Familie im Westen von Berlin lebt, an den Havelseen. „Selbstverständlich müssen diese Menschen gerettet werden, wenn sie in Seenot sind. Und sie sind auf diesen kleinen Booten von Anfang an in Seenot.“ Dass die Menschen sich nicht abhalten lassen, in wackelige Boote zu steigen, davon ist er überzeugt. „Wer eineinhalb Jahre unterwegs ist, um nach Europa zu kommen, wer Jahre gearbeitet hat, um die Flucht zu bezahlen, endlich in Libyen angekommen ist, dort auf katastrophale Verhältnisse trifft, der wird nicht mehr zurückkehren. Der wird alles daransetzen, um den letzten Schritt zu gehen.“ Wie notwendig die Rettungsboote im Mittelmeer sind, hat auch der vergangene Freitag gezeigt, an dem innerhalb von 24 Stunden in 22 Rettungsaktionen insgesamt 4243 Flüchtlinge gerettet wurden.
Noch im November beantragte Vogel eine unbefristete Auszeit bei seinem Arbeitgeber, der Reederei Hapag-Lloyd. Zwei Monate später fand er seine erste Projektpartnerin, die französische Anthropologin Sophie Beau, die in Marseille lebt und schon lange mit Flüchtlingen arbeitet. Sie baut jetzt den französischen Arm von SOS Mediterranee auf. Auf Sizilien lernte Vogel im März einen weiteren Partner kennen, Muhammad Abdulfatah, der vor zwölf Jahren selbst als Bootsflüchtling nach Europa kam. Die Überfahrt damals überlebte Abdulfatah nur knapp, über 80 seiner Mitpassagiere starben. Heute leitet er in Palermo eine Klinik für Nichtversicherte. Er soll das italienische Team koordinieren. Bereits in einigen Monaten soll das erste Schiff zwischen Malta, Lampedusa und Libyen kreuzen, dort, wo in der Vergangenheit die meisten Unglücke passiert sind und wo sich gerade zwei deutsche Marineschiffe aufhalten, um Flüchtlinge zu retten.
Nun suchen er und sein Team finanzielle Unterstützung. Für die ersten sechs Monate, um die Struktur aufzubauen, das erste Schiff zu chartern und es zu betreiben, brauchen sie etwa 1,5 Millionen Euro. „Das klingt erst mal nach viel“, sagt er. „Aber wenn zehn Leute jeweils 50 000 Euro geben, dann haben wir schon eine halbe Million.“
Der Sea-Watch-Kutter soll nur bis Herbst im Mittelmeer kreuzen
Als er Anfang März von dem Brandenburger Harald Höppner und seinem Kutter Sea-Watch erfuhr, der mittlerweile auf dem Weg ins Mittelmeer ist, um dort von Mitte Juni an Flüchtlinge in Seenot zu retten, dachte er: „Gott sei Dank, es gibt Leute wie wir.“ Gleichzeitig habe er gewusst, dass er weitermachen muss. Der Sea-Watch-Kutter soll nur bis Herbst im Mittelmeer kreuzen, für die Herbst- und Winterstürme ist das Schiff nicht gerüstet. „Die Sea-Watch-Leute leisten eine mutige Signalaktion“, sagt er. „Sie zeigen, dass man mit persönlichem, einzelnem Engagement aus der Zivilgesellschaft etwas bewegen, das Bewusstsein ändern kann. Wir nehmen die Situation im Mittelmeer anders wahr, wenn Leute von uns runterfahren.“
Dass die öffentliche Aufmerksamkeit so sprunghaft sei, immer nur von Katastrophe zu Katastrophe eile, habe dazu beigetragen, dass bisher nicht wirklich auf das Sterben im Mittelmeer reagiert wurde, glaubt Vogel. Das mache es leicht, wegzuschauen, nicht nachhaltig nach einer Lösung des Problems zu suchen. Er krempelt seine Ärmel hoch. Dann sagt er: „Für den Anfang brauchen wir eine Flotte von Rettungsschiffen.“
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