Neues Album der Rockgruppe: Sechs Gründe, warum Radiohead so wichtig sind
Avantgarde-Ambition und Massenerfolg, Studio-Frickelei und schräges Charisma - keine andere Rockband verbindet diese Pole wie Radiohead.
Die Hinweise auf das neunte Studiowerk der wohl weltweit bedeutendsten Indie-Rockgruppe waren wieder „typisch Radiohead“. Vor einer Woche urplötzlich eine leere Band-Webseite - alle Inhalte gelöscht. Zwei Tage später das Video zum Song „Burn The Witch“ als Lebenszeichen. Kurz vor diesem Wochenende dann die von Millionen Fans erhoffte Bestätigung eines neuen Albums auf www.radiohead.com. Elf Tracks, digital verfügbar seit Sonntagabend unter dem Titel „A Moon Shaped Pool“ - in den Plattenläden als CD und Vinyl erst Mitte Juni. Viel Rauch um nichts, selbstverliebter Hype ohne Substanz? Bei Radiohead sehr unwahrscheinlich. Sechs Gründe, warum das britische Rock-Quintett immer noch so wichtig ist.
Wagemutig
Radiohead haben sich in gut 25 Jahren Bandgeschichte stets weiterentwickelt. Vom konventionellem Alternative-Sound der frühen 90er mit dem Hit „Creep“ gelangten sie über komplexen Neo-Progressive-Rock (das Mega-Album „OK Computer“ von 1997!) und hoch innovative Laptop-Klänge zu einer reifen, stets neugierigen (und neugierig machenden) Elektro-Gitarrenmusik moderner Bauart. Auch neue Songs wie „Burn The Witch“ und „Daydreaming“ sind alles andere als Wohlfühl-Liedgut mittelalter Stadion-Popstars. Oft wird die Langfristwirkung von Radiohead-Platten nicht auf Anhieb klar - dann aber umso nachhaltiger. Ob es den Fans mit „A Moon Shaped Pool“ genauso ergeht? Man wird sehen.
Mysteriös
Radiohead umgab immer etwas Geheimnisvolles. Ihre experimentierfreudige Musik ist bis heute schwer greif- und kategorisierbar, ihre Texte lassen sich vielfältig auslegen. Das Privatleben bleibt außen vor, Interviews sind selten. Die aus der Uni-Stadt Oxford stammende Band war bisher nur in einer Hinsicht sehr berechenbar: Alle fünf Mitglieder der ersten Stunde sind heute noch dabei. Allerdings haben sich Thom Yorke, die Brüder Jonny und Colin Greenwood, Ed O'Brien und Phil Selway nebenher in Soloprojekten und Kollaborationen mit anderen Musikern ausgetobt - vieles davon staunenswert unorthodoxes Zeug.
Charismatisch
Radiohead haben eine ganz eigene Ausstrahlung - als Nerds mit Niveau, als Hoch-IQ-Band für geistig „mitwachsende“ Fans, als überzeugte und glaubwürdige Melancholiker. Frontmann Yorke ist gewiss kein Schönling, seine markante Stimme kippt oft in ein wimmerndes Falsett, in Videos pflegt er seltsame Tanzformen - aber er ist das Gesicht der Band, auch jetzt wieder im surrealen neuen Video zu „Daydreaming“. Gitarren-Genie Jonny Greenwood hat sich mit Filmen des Meisterregisseurs Paul Thomas Anderson („There Will Be Blood“, „The Master“) zum gefeierten Hollywood-Soundtrack-Komponisten entwickelt.
Künstlerisch wertvoll
Radiohead sind stets auf der Suche nach dem Gesamtkunstwerk: Musik, Texte, Albumcover-Gestaltung, Videos (die Regie bei „Daydreaming“ führte besagter US-Star Anderson), Konzerte mit überwältigenden Sound- und Optik-Anreizen. Auch die Vermarktung ohne lange Vorwarnzeiten auf der Band-Webseite folgt diesem ambitionierten Konzept - ein Statement der Sperrigkeit und der kommerziellen Unabhängigkeit im genormten Musik-Business. Beim Album „In Rainbows“ (2007) versuchte es die Band gar mit einer digitalen Veröffentlichung, für die Fans so viel zahlen konnten, wie sie wollten - notfalls eben auch gar nichts.
Kompromisslos erfolgreich
Radiohead haben sich dem Mainstream bisher immer verweigert - und dennoch laut BBC-Recherchen (2011) schon über 30 Millionen Tonträger verkauft. Jedes neue Album wird von ihren Verehrern (und hier trifft dieser Begriff wirklich einmal zu) mit angehaltenem Atem erwartet und mit fast kindlichen Freudenbekundungen im Netz kommentiert. Als fantastische Live-Band schmücken die fünf Briten auch dieses Jahr wieder die großen Festivalbühnen - selbstverständlich als Headliner, etwa Anfang Juni beim Primavera in Barcelona.
Enorm einflussreich
Radiohead haben die Pop- und Rockmusik der vergangenen 20 Jahre so geprägt wie kaum eine andere Band. Sie selbst bedienten sich bei Pink Floyd, Jeff Buckley, den Talking Heads oder David Bowie. Und dieser gab die Heldenverehrung jüngst mit seinem letzten Album zu Lebzeiten unüberhörbar zurück, etwa im verschachtelten Titelsong „Blackstar“. Heutzutage wären der Massenerfolg von Portishead, Arcade Fire, Elbow oder Muse, aber auch die wachsende Begeisterung für Elektronikfrickler wie James Blake undenkbar, hätten Radiohead dafür nicht so viel kreative Pionierarbeit geleistet. (dpa)
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