Volksabstimmung: Schweizer stimmen für zweite Gotthard-Röhre
Die Schweizer wollen durch das Gotthard-Massiv einen zweiten Straßentunnel bohren. Damit sollen schwere Unfälle durch Gegenverkehr verhindert werden.
Die Schweizer machen den Weg frei: Eine Mehrheit der Eidgenossen votierte am Sonntag für eine Rundum-Sanierung des 36 Jahre alten Gotthard-Straßentunnels. Bei einer landesweiten Volksabstimmung stimmten deutlich mehr als 50 Prozent für den Ausbau einer der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung in den Alpen, wie das Schweizer Radio SRG nach einer ersten Hochrechnung berichtete.
Kernstück des milliardenschweren Projekts wird der Bau einer zweiten Röhre für Pkw und Lkw sein – die Regierung will aber die Verkehrskapazität des Tunnelsystems nicht erhöhen. Nach der voraussichtlichen Fertigstellung im Jahr 2030 wird der Verkehr durch einen Tunnel in den Süden und durch einen Tunnel in den Norden rauschen – jeweils nur auf einer Spur. Das soll vor allem die Verkehrssicherheit im Tunnelsystem erhöhen. „Sobald der neue Tunnel gebaut und der alte saniert ist, gibt es keinen Gegenverkehr mehr“, erklärt die christdemokratische Verkehrsministerin Doris Leuthard. Frontal- und Streifkollisionen würden verhindert, das Zwei-Röhrensystem biete „im Brandfall bessere Rettungs- und Überlebenschancen“. Der bislang schlimmste Unfall im Tunnel passierte im Oktober 2001: Zwei Lkw prallten zusammen, Feuer brach aus, elf Menschen starben. In den Jahren danach kam es zu weiteren 147 Unfällen mit zehn Toten.
Angst vor mehr Verkehr
Gegen das Regierungsprojekt liefen Grüne, Sozialdemokraten, Umweltschutzverbände und Anwohner Sturm. Sie warnten vor einer „Transithölle Schweiz“. Mit fast 17 Kilometern Länge ist der 1980 fertig gestellte Gotthard-Tunnel die längste unterirdische Straßenverbindung durch die Alpen. Jedes Jahr fahren rund fünf Millionen Pkw und etwa 900 000 Lkw durch die Röhre. Damit ist der in die Jahre gekommene und sanierungsbedürftige Tunnel eine der zentralen Verkehrsachsen durch das Hochgebirge in der Mitte Europas.
Konkret sieht der Plan so aus: Zunächst werden Bautrupps eine zweite Röhre durch das Gotthard-Massiv bohren – die alte Röhre bleibt in Betrieb. Sobald der neue Tunnel dem Verkehr übergeben wird, soll der alte Tunnel gesperrt und saniert werden. Während der gesamten Projektdauer bleibt also immer eine Röhre für Autos und Lastkraftwagen offen. Am Ende, in 14 Jahren, soll der Verkehr dann durch zwei moderne Röhren fließen, jede Röhre wird eine Fahrspur und eine breite Notfallspur haben.
Verkehrsministerin Leuthard versicherte wiederholt, dass der Verkehrsstrom in dem neuen Doppel-Tunnel verglichen mit der alten Röhre nicht ausgeweitet werden soll. „Die Begrenzung der Kapazität“ sei gleich zweimal festgeschrieben: In der Verfassung der Eidgenossenschaft und zusätzlich im neuen Bundesgesetz über den Straßentransitverkehr im Alpengebiet. „Wir bleiben bei der heutigen Situation, einfach mit zwei Röhren“, sagt Ministerin Leuthard.
Auch ein neuer Eisenbahn-Tunnel wird gebaut
Doch die Gegner des Mammutprojekts glauben der Ministerin nicht. „Eine zweite Gotthard-Straßenröhre bauen, nur um die erste zu sanieren? Unnötig und teuer“, hält der Verein „Nein zur 2. Gotthardröhre“ fest. Die Aktivisten befürchten: Zwei Röhren laufen zwangsläufig auf vier Fahrspuren hinaus. „Was gebaut und bezahlt ist, wird über kurz oder lang auch genutzt.“ Die Folge: Der Verkehrskollaps. Noch mehr Autos und Brummis, vor allem aus den EU-Staaten, würden durch die Schweiz und den Gotthard rattern. Die Lastzüge brächten mehr „Gefahr, Lärm, Feinstaub und CO2“. Verkehrsministerin Leuthard wird aller Voraussicht nach bei der geplanten Eröffnung 2030 des neuen Tunnelsystems nicht mehr im Amt sein – ob ihr Nachfolger sich an ihre Versprechen hält, wird sich dann zeigen.
Unabhängig vom Gotthard-Straßentunnel planen die Schweizer im kommenden Juni die Eröffnung des neuen Gotthard-Basistunnels für die Eisenbahn. Diese neue Doppelröhre durch den Gotthard ist mit 57 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt – und er soll bis 2025 die Passagierzahlen auf der Schiene durch die Alpen verdoppeln.
Jan Dirk Herbermann