Panorama: Schwarze Flut
Öl aus dem havarierten Tanker „Prestige“ hat die Küste Galiziens erreicht – in den Tanks lagern weitere 70 Millionen Liter
Katastrophenstimmung an der spanischen Atlantikküste. Mehr als 200 Kilometer der traumhaften und ökologisch höchst wertvollen Küste Galiciens sind bereits von der Ölpest betroffen. Immer mehr schwarze Riesenflecken trieben am Sonntag an und überzogen die paradiesische Landschaft mit einer zentimeterdicken, klebrigen und stinkenden Ölschicht. Doch diese rund fünf Millionen Liter Schweröl könnten erst der Anfang der schwarzen Flut sein. 100 Kilometer weiter draußen schaukelt noch der havarierte griechische Supertanker „Prestige“, den Hochseeschlepper aufs offene Meer gezogen hatten. Und dieses altersschwache 26 Jahre alte Tankschiff droht jeden Moment auseinanderzubrechen. In seinen Tanks schlummern weitere 70 Millionen Liter Öl.
Die Bewohner des galizischen Fischerdorfes Muxia haben sich hoch über dem Meer versammelt. Sie stehen vor ihrer Kapelle, die sie schon vor vielen Jahrhunderten der „Heiligen Jungfrau der Schiffahrt“ widmeten, und starren aufs Meer hinaus. „Da ist sie, da ist sie“, schreien die Menschen - die „marea negra“, die Ölpest, hat Felsen, Strände und Muschelbänke überflutet, so weit das Auge reicht. Alle Gebete zur Schutzheiligen sind nicht erhört worden. Wie auch die Beschwörungen des spanischen Fischereiministers Miguel Arias Canete nicht, es gebe „weder eine Umweltkatastrophe noch Probleme für die Fischereiwirtschaft.“ Das Volk wußte es zu dieser Zeit besser. „Uns bleibt nichts mehr“, sagt den Tränen nahe einer der Fischer, die fassungslos auf das schwarzgefärbte Meer blicken. „Alles, alles ist völlig zerstört.“ Fischgründe und Muschelbänke, die wohl wertvollsten ganz Spaniens. Hunderte Familien, die dem Meer Tag für Tag ihren Lebensunterhalt abrangen, haben über Nacht ihre Existenz verloren. Die Fischerei in der Zone wurde verboten. Das zweite Mal in zehn Jahren, denn 1992 hatte der explodierte griechische Riesentanker „Aegean Sea“ bereits die Küste verseucht. Auch Kilometerlange Ölbarrieren konnten jetzt die neue schwarze Flut nicht aufhalten.
Diese rauhe Atlantikzone, die wegen ihrer vielen Felsenriffs und Schiffsunglücke auch „Küste des Todes“ heißt, gilt als eines der wertvollsten Meeresreservate Spaniens. Einer der freiwilligen Helfer, der Umweltschützer Rafael Lema, hat am Wochenende bereits Dutzende mit Öl verseuchte Seevögel geborgen. Viele waren schon verendet, einige lebten noch und konnten gesäubert werden. - Bis heute überlebten hier einige vom Aussterbende bedrohte Seemöwenarten. Auch Kormorane, Seeadler und Papageientaucher haben hier ihr Revier. Im Wasser dieses Meeresparadieses tummeln sich seltene Gäste wie Delfine, Blauwale und auch eines der letzten geheimnissvollen Wesen der Ozeane, die legendäre bis zu 20 Meter wuchernde Riesenkrake.
Derweil versuchen draußen auf dem Meer Experten eines niederländischen Bergungsunternehmens, noch Schlimmeres zu verhüten: Das Auseinanderbrechen der „Prestige“, die inzwischen einen rund 50 Meter langen Riss im Rumpf aufweist. Viel Hoffnung, dass der 240 Meter lange Tanker noch gerettet werden kann, besteht aber nicht mehr. Deswegen versuchen Hochseeschlepper, das unter der Flagge der Bahama-Inseln registrierte Tankschiff so weit wie möglich von der Küste wegzuziehen.
Der griechische Kapitän wurde am Wochenende festgenommen. Sein Schiff hatte weder einen Sicherheitsrumpf mit doppelter Bordwand, noch erfüllte es, so die Ermittlungen, minimale Sicherheitsbedingungen. Das Unglück wird nicht, wie vom Kapitän zu Protokoll gegeben, auf einen Zusammenstoß mit einem „unbekannten Objekt“ zurückgeführt, sondern auf Materialermüdung.
Ralph Schulze[La Coruna]
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