zum Hauptinhalt
Gedenken für die Opfer. Nach der Brandkatastrophe war die Straße vor der Diskothek in Bukarest voller Kerzen.
© dpa

Nach der Brandkatastrophe in Bukarest: Rumänien fehlen abgewanderte Ärzte und Krankenschwestern

Weil so viele rumänische Ärzte und Krankenschwestern nach Deutschland geholt worden sind, können die Verletzten der Brandkatastrophe in Bukarest jetzt kaum versorgt werden. Der CSU-Politiker Bernd Fabritius sieht die Deutschen deshalb in der "moralischen Pflicht" zu schneller Hilfe.

Es war ein jahrelanger Ausblutungsprozess, doch jetzt macht ihn die schwere Brandkatastrophe in einer Bukarester Diskothek auf dramatische Weise augenfällig: Rumänischen Krankenhäusern fehlt es inzwischen derart an medizinischem Personal, dass die vielen Verletzten jetzt kaum noch versorgt werden können.

Der Grund: Seit dem EU-Beitritt Rumäniens sind Ärzte und qualifizierte Krankenschwestern aufgrund der besseren Bezahlung massenhaft nach Westeuropa abgewandert.

Weil vor allem die Deutschen von diesem „brain drain“ profitieren und hierzulande viele freie Stellen durch rumänische Mediziner und Pflegekräfte besetzt werden konnten, sei es „jetzt auch Deutschlands moralische Pflicht, Rumänien nach der Brandkatastrophe Hilfe zu leisten“, findet der in Siebenbürgen geborene CSU-Abgeordnete Bernd Fabritius. Eindringlich appelliert er an deutsche Kliniken, dem Land schnellstmöglich mit eigenem medizinischen Personal auszuhelfen und auch Behandlungsplätze für Schwerstverbrannte anzubieten.

Die durch den Großbrand entstandene Notsituation sei hierzulande viel zu spät erkannt worden, sagte Fabritius, der auch Präsident des Bundes der Vertriebenen und Berichterstatter für Rumänien im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ist, dem Tagesspiegel. Zudem habe Rumänien selbst eine klare Koordinierung der Hilfsaktion versäumt und auf Hilfsangebote zunächst nicht reagiert.

14 000 Ärzte haben das Land seit 2007 verlassen

In den Kliniken der rumänischen Hauptstadt fehle es an Intensivkrankenschwestern und Intensivärzten, um den nötigen Schichtbetrieb für die Brandopfer aufrechtzuerhalten. Und einer der Gründe dafür liege in der massenhaften Abwanderung der Fachkräfte vor allem nach Deutschland. „Es rächt sich jetzt auf eine sehr bittere Art, dass der Staat das medizinische Personal in Rumänien viel zu schlecht bezahlt hat.“

Rumänischen Statistiken zufolge haben seit dem EU-Beitritt des Landes 2007 etwa 14 000 Ärzte ihre Heimat verlassen. Bei den abgewanderten Krankenpflegern liegt die Zahl noch zwei- bis dreimal höher.

Diese Arbeitskräfte kämen nicht nur auf eigene Initiative nach Deutschland, sagte Fabritius. Sie würden auch „offensiv abgeworben von privaten Arbeitsagenturen und Kliniken, die Kopfpauschalen für jeden gefundenen Arzt und jede vermittelte qualifizierte Krankenschwester zahlen“.

Manche dieser Vermittlungsfirmen sind speziell auf osteuropäische Mediziner spezialisiert. Die in Berlin vertretene „Rekrutierungsagentur Eumedjob“ etwa umwirbt ausschließlich Ärzte und Pflegekräfte aus Rumänien und Ungarn. Auf ihrer Website heißt es: „Eumedjob pflegt gute Beziehung mit den rumänischen und ungarischen Universitäten, unsere Agenten erreichen hunderte Kandidaten durch wirksame Rekrutierungs-Methoden, wie öffentliche Presentationen (sic), Stellenanzeigen in der gedruckten Presse, direkte Headhunting, und unsere Webpräsenzen sind leicht auffindbar für die potenziellen Kandidaten.“

"Nachbarländer nicht als Arbeitskräftereservoir missbrauchen"

Er kritisiere solche Strategien nicht, sie seien „ein legitimes Mittel auf einem freien Personalmarkt“, sagte Fabritius. Und dass er zu der Freizügigkeit in der EU und dem Wettbewerb um Arbeitskräfte stehe. Die Schuld für die Misere trügen in erster Linie die rumänischen Regierungen.

Allerdings warnte der Politiker auch vor einer Politik, die „unsere Nachbarländer als Arbeitskräftereservoir instrumentalisiert“. Damit, so Fabritius „schaffen wir uns die Armenhäuser und Problemzonen der Zukunft“. Es müssten dringend „Anreize gesetzt werden, dass diese Menschen in ihrem Heimatland bleiben und dort zu einer Verbesserung er Gesamtsituation beitragen". Letztlich nütze dies nämlich dann ganz Europa. Auch in Ungarn und Bulgarien gebe es aufgrund der Abwanderung von medizinischem Personal Probleme, sagte Fabritius. Rumänische Ärzte und Krankenschwestern seien aber in Deutschland besonders gern gesehen, weil sie über eine anerkannt qualifizierte Ausbildung verfügten und sich oft auch gut in deutscher Sprache verständlich machen könnten. Zudem sei Deutschland bei den Rumänen aus kulturellen Gründen beliebt.

270 Euro im Monat für einen Assistenzarzt

Aufgrund des „brain drains“ nach Westeuropa und die USA, wo Pflegekräfte und Ärzte zehn- bis zwanzigmal so viel verdienen, sei es in rumänischen Kliniken „seit langem nicht mehr möglich, einen Normalbetrieb nach unserem Verständnis sicherzustellen“. Nach Angaben der rumänischen „Sanitas“-Gewerkschaft verdienen angehende Krankenschwestern dort umgerechnet 218 Euro im Monat. Das Einstiegsgehalt eines Assistenzarztes liege bei knapp 270 Euro, mehr als 700 würden es auch bei erfahrenen Medizinern kaum.

Nach der Brandkatastrophe habe man nun begonnen, Ärzte aus allen Landesteilen nach Bukarest zusammenzuziehen, so Fabritius. „Dies kann aber nicht die Lösung sein, weil es dazu führt, dass in anderen Krankenhäusern dann gar keine ärztliche Versorgung mehr möglich ist.“ Der Vertriebenenpräsident appellierte an alle hierzulande tätigen Ärzte und Pflegekräfte aus Rumänien, sich wenigstens kurzzeitig zur Versorgung der Schwerstverletzten in Bukarest zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall sollten sie sich unter der Mailadresse „berlin@ mae.ro“ an die rumänische Botschaft wenden.

Zahl der Todesopfer auf 47 gestiegen

In Bukarest ist die Zahl der Todesopfer durch den Großbrand inzwischen auf 47 gestiegen. Weil es vor Ort zu wenig Spezialbetten für Brandverletzte gibt, waren in den vergangenen Tagen 35 Patienten ins Ausland gebracht worden. 72 Verletzte der Brandkatastrophe liegen noch in rumänischen Kliniken. Nach dem Vorfall vor einer Woche waren Zehntausende auf die Straßen gegangen, um gegen Korruption und laxen Umgang mit Vorschriften zu protestieren. Daraufhin trat die rumänische Regierung zurück.

Zur Startseite