Technik: Ruf der Tiefe
Neue Tauchboote sollen Touristen bis zum Grund der Ozeane bringen. Das Unterfangen ist sehr aufwendig – und riskant.
Kolossale Unterwassergebirge, die noch niemand besichtigt hat; gigantische Ebenen am Meeresgrund, die noch keiner durchmaß; Lebewesen aus der Tiefe, die wie Außerirdische wirken. Kein Wunder, dass Forscher, Entdecker und Abenteurer darauf brennen, die Tiefsee zu bereisen. Die technischen Voraussetzungen dafür sind sehr aufwändig, doch mittlerweile sind nicht allein Forschungsinstitute auf diesem Gebiet tätig. Mehrere reiche Unternehmer lassen sich zurzeit Tauchboote bauen, um in diese exotische Welt vorzustoßen.
Zu ihnen gehört der Brite Richard Branson, Gründer der Virgin-Unternehmensgruppe. Branson, der bisher vor allem als Anbieter für private Weltraumflüge von sich reden machte, hat auch ein neues Tauchboot finanziert: eine Art Unterwasserflugzeug, gefertigt aus Kohlenstofffasern und Titan. Es ist fünfeinhalb Meter lang und bietet Platz für eine Person, die, auf dem Bauch liegend, aus einem großen Fenster herausschauen kann. Am Rumpf des Fahrzeugs sitzen Stummelflügel mit einem Tragflächenprofil. Sie sollen aber keinen Auftrieb erzeugen wie bei einem Flugzeug, sondern einen Abtrieb, der das Boot während der Fahrt nach unten drückt.
Zusammen mit dem Mutterschiff kostet Bransons Tauchboot etwa 17 Millionen Dollar. Der Milliardär will damit zu den tiefsten Stellen der Ozeane vorstoßen, unter anderem zum Grund des westpazifischen Marianengrabens. Dort, in 11.000 Metern Tiefe, muss das Boot einem Druck standhalten, der mehr als 1000 Mal so groß ist wie der Atmosphärendruck. Das entspricht einer Last von einer Tonne pro Quadratzentimeter. Damit das Boot nicht zerquetscht wird, muss es äußerst stabil sein. Eine mögliche Schwachstelle sind die Glasfenster – vor allem, wenn sie groß ausgelegt werden wie bei Bransons Boot. Glas ist zwar extrem hart, doch bilden sich in ihm leicht Spannungen, die zum Bersten führen können.
Das haben schon die bisherigen Rekordhalter im Tieftauchen erfahren müssen. Jaques Piccard und Don Walsh stießen 1960 mit der „Trieste“ zum Grund des Marianengrabens vor. Als sie etwa zehn Kilometer Tiefe erreicht hatten, hörten sie einen dumpfen Knall, begleitet von einem Zittern des Boots. Wenig später sahen sie, dass ein Fenster gerissen war. Das dicke Glas hatte anders auf die Wassertemperatur reagiert als das umgebende Metall, hatte sich verzogen und war gesprungen. Unmittelbare Gefahr bestand zwar nicht, denn das Fenster führte nur zu einem Vorraum des Druckkörpers, in dem sich die Männer aufhielten. Vermutlich waren die beiden trotzdem einigermaßen beunruhigt.
„Sichtfenster in Tiefsee-Tauchbooten werden aus Plexi- oder Acrylglas hergestellt, da herkömmliches Glas zu viele Spannungen aufbaut“, sagt Jürgen Schauer aus dem Team der „Jago“, Deutschlands einzigem bemannten Forschungstauchboot, das am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) stationiert ist. Jago kann 400 Meter tief tauchen und hat zwei große Fenster. Sie wölben sich nach außen, ähnlich der Oberfläche einer Kugel, und fangen so die Kraft des Umgebungsdrucks optimal auf – eine typische Bauform bei Unterwasserfahrzeugen. „Die Fenster sind fünf Zentimeter dick“, erläutert Schauer. „Bei Booten, die bis 1000 Meter hinabgleiten, müssen es bereits zehn Zentimeter sein.“
Mit der Jago untersuchen die Wissenschaftler zum Beispiel Kaltwasserkorallen. Sie bilden kalkhaltige Skelette und sind deshalb besonders stark vom Klimawandel bedroht, denn der steigende Gehalt von Kohlendioxid, auch im Meerwasser, droht ihre Skelette anzugreifen.
Könnte das neue Tauchboot mit Flügeln den Forschern bei ihrer Arbeit helfen? „Nicht, wenn wir den Meeresboden untersuchen“, sagt Schauer. Denn Bransons Boot muss mit hoher Geschwindigkeit durchs Wasser fahren, um den nötigen Abtrieb zu erzeugen. Forscher wie Schauer fahren lieber langsam am Grund entlang, müssen immer wieder anhalten, um Proben zu nehmen oder zu fotografieren.
Alles was bemannte Tauchboote können, können unbemannte auch, nur viel länger
Ein anderer Abenteurer, der in die Tiefsee vorstoßen will, ist der kanadische Regisseur und Filmproduzent James Cameron („Titanic“ und „Avatar“). Er hat ein Team aufgestellt, das ein kleines, eher traditionelles Tauchboot entwickelt. Dessen stählerne Druckkammer soll einen Durchmesser von 1,2 Meter haben und Platz für eine Person bieten. Dieses Jahr wollen Cameron und sein Team damit im Westpazifik tauchen, sowohl im Marianengraben als auch in anderen Tiefseerinnen, und dort Filmaufnahmen machen.
Auch die US-Firma „Triton Submarines“ hat bekannt gegeben, Anfragen von reichen Käufern zu haben. Das Unternehmen produziert Tauchboote mit riesigen Kuppeln aus Acrylglas, in denen die Passagiere aufrecht sitzen und einen Rundumblick ins umgebende Meer genießen. Bislang können die Boote etwa 1000 Meter tief tauchen, doch Triton Submarines hat angekündigt, ein Gefährt zu entwickeln, das drei Passagiere bis auf elf Kilometer Tiefe bringt. Zwei Milliardäre, deren Namen das Unternehmen nicht nennt, sollen Interesse an den Booten haben. Stückpreis: 15 Millionen Dollar.
Einer, der solchen Tauchbooten eher skeptisch gegenübersteht, ist Michael Klages. Er arbeitet als einer der beiden Leiter der Tiefseeforschung am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. „Bemannte Tauchfahrten sind immer mit einem Risiko für die Menschen im Boot verbunden, und das bedeutet hohe Kosten für Sicherheitssysteme“, sagt Klages. „Zudem ist die Einsatzzeit eines bemannten Boots aufgrund der Batteriekapazität beschränkt.“ Das deutsche Tauchboot Jago etwa ist mit zahlreichen Rettungssystemen versehen: einer Ballastplatte, die im Notfall abgeworfen wird, um schnell aufzutauchen; einem „Tot-Mann-Sicherheitssystem“, das den Aufstieg automatisch einleitet, falls der Pilot eine Zeit lang kein Lebenszeichen von sich gibt; und Tanks, die bei Gefahr mehr als 500 Kilogramm Auftrieb erzeugen. Falls all das nichts hilft, kann die Jago noch eine Notboje an einer Leine zur Wasseroberfläche schießen, damit sie geborgen werden kann.
„Solche Sicherheitssysteme tragen dazu bei, dass bemannte Tiefsee-Tauchboote sehr teuer sind, und zwar nicht nur in der Anschaffung“, sagt Klages. „Zumindest für die großen Tauchboote muss man spezielle Mutterschiffe vorhalten, die ebenfalls hohe Kosten verursachen.“ Der AWI-Wissenschaftler hält ferngesteuerte Roboter für geeigneter, um die Tiefsee zu erforschen. Solche „ROV“ (Remotely Operated Vehicle, auf Deutsch „ferngesteuertes Fahrzeug“) werden an einem Kabel in die Tiefe gelassen und von einem Überwasserschiff aus gelenkt. Da sie keine Menschen transportieren, benötigen sie längst nicht so aufwendige Druckkörper und Sicherheitssysteme. Druckfest gekapselt sind bei ihnen nur sensible Komponenten wie Kameras oder die Steuerelektronik, die meisten anderen Teile liegen frei im Wasser.
„Im Gegensatz zu einem bemannten Boot können wir ein ROV tagelang im Unterwassereinsatz haben“, erläutert Klages. Greifarme, um Proben zu sammeln, und Messgeräte, die die Umgebung analysieren, ließen sich auch auf einem ROV unterbringen. Und die Bilder, die die Kameras liefern, eröffneten den Forschern an Bord des Mutterschiffs zudem einen Echtzeit-Blick in die Welt da unten.
Klages versteht die große Faszination, die von bemannten Tauchfahrten ausgeht. Und er würde Jürgen Schauer vom Jago-Team auch darin zustimmen, dass der persönliche Eindruck, den man auf einer solchen Fahrt gewinnen kann, unschlagbar ist. „Aber alles, was bemannte Tauchboote können, können unbemannte auch“, sagt er. „Nur viel länger.“
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität