zum Hauptinhalt
Prominentes Entführungsopfer. Richard Oetker am Mittwoch bei seinem Vortrag in Berlin.
© Eventpress

Weißer Ring Stiftung: Richard Oetker: Frei von der Opferrolle

Schwer verletzt kam Richard Oetker 1976 aus der Gewalt eines Entführers frei. Nun hilft er anderen.

Über die 48 Stunden, die sein Leben grundlegend verändert haben, spricht Richard Oetker mit erschütternder Sachlichkeit. Am 14. Dezember 1976 verließ der damals 24-jährige Student in München vorzeitig eine Vorlesung. Er wurde entführt, musste sich bei einer Größe von 1,94 Metern in Embryohaltung in eine 1,46 Meter lange Kiste zwängen, was zu einer lebensbedrohlichen Lungenquetschung führte. Der Entführer fixierte Hände und Füße mit Handschellen, die an einen Stromkreis angeschlossen waren. Versehentlich wurde ein starker Stromschlag ausgelöst, durch den sich Oetker mehrere Brustwirbel und beide Oberschenkelhalsknochen brach. Gegen eine Lösegeldzahlung in Höhe von 21 Millionen DM kam er schwer verletzt frei.

Bei einem Lunch-Meeting der „Weißer Ring Stiftung“, deren Vorstandsvorsitzender er ist, sprach Richard Oetker am Mittwoch in der PanAm Lounge über den „Weg aus der Opferrolle“. Vom ersten Moment an hat er damals versucht, sich Details einzuprägen, einen Teil des Nummernschildes, Geräusche, die Handschrift eines Preisschildes, die Uhrzeit, zu der er eine Polizeisirene hörte. Er wollte auf keinen Fall in Selbstmitleid verfallen, sich nicht in düstere Szenarien hineinfantasieren. „Ich bin von Natur aus ein großer Optimist“, erklärte er die Zuversicht, dass seine Familie gegen die Anweisungen des Entführers die Polizei einschalten würde. Als der Entführer ihm die Summe nannte, sagte er: „Das ist zu viel.“ Und später: „Wenn es gelingt, muss ich einen Teil abbekommen, denn dann habe ich ja zum Gelingen beigetragen.“ Er versuchte, eine Beziehung aufzubauen, nannte den Entführer beim Namen eines guten Freundes „Checker“.

Die lebenslange Gehbehinderung war der Preis dafür, überhaupt am Leben zu bleiben

„Ich schrie vor Schmerzen“, beschreibt er den Moment des Stromschlags. „Man bricht sich, wenn man fixiert ist, dabei mit der eigenen Muskelkraft die Knochen.“ Die lebenslange Gehbehinderung war wohl der Preis dafür, überhaupt am Leben zu bleiben. Hätte er sich, nunmehr sowieso bewegungsunfähig, nach dem Stromschlag in der dann geöffneten Kiste nicht aufrichten können, wäre er an den Folgen der Lungenquetschung gestorben. Der Täter, Dieter Zlof, wurde erst 1979 gefasst bei dem Versuch, einen registrierten Geldschein auszugeben. Obwohl er die Tat zunächst leugnete, wurde er 1980 zu 15 Jahren Haft verurteilt. Von dem Geld, das er in einer Aktentasche, die mit Müllsäcken umwickelt war, in einem Waldstück vergraben hatte, wurden 13,5 Millionen DM wiedergefunden. Ein großer Teil der Scheine sei verfault und von Würmern zerfressen worden, hieß es. Zwei Jahre nach seiner Freilassung wurde Zlof in London in eine Falle gelockt und beim Versuch einer Geldwäsche mit 12,4 Millionen DM ertappt.

„Mir ist es wichtig, dass er keinen Vorteil aus der Entführung hatte“, sagt Oetker heute. Zu Hass oder Rachegefühlen sei er unfähig. Der Mann interessiere ihn nicht. Psychologische Betreuung hat er erstaunlicherweise nie gebraucht. Er erklärt sich das mit den intensiven Polizeivernehmungen, die sich über drei Monate hinzogen: „Da habe ich mir das alles von der Seele geredet.“

Die Entführung setzte ungeahnte Kräfte frei

Vorher habe er nie gedacht, „dass ich so was aushalten könnte“. Durch die Entführung entdeckte er ungeahnte Kräfte in sich: „Man zerbricht nicht, das ist ein beruhigendes Gefühl.“

Mitorganisiert hatte den Lunch Hans-Peter Wodarz, den er schon als Student zur Zeit der Entführung kannte. Während der Sternekoch nach dem Vortrag kurze Fragen und Antworten anmahnte, weil in einem Nebenraum schon Entenbrust und Dr. Oetker Schokoladenpudding mit Vanillesauce warteten, erklärt der Unternehmer noch, was sich, abgesehen von der Gehbehinderung, durch die Entführung grundlegend geändert habe in seinem Leben. Manche Familienmitglieder und Freunde könnten bis heute nicht über die Entführung mit ihm sprechen. „Wir Menschen haben nie gelernt, wie man mit Opfern umgeht. Tendenziell wenden wir uns daher ab.“ Er wirbt für den anderen Weg, dafür, mit Sensibilität herauszufinden, ob das Opfer sprechen will. „Wenn man selbst die Initiative ergreifen muss, braucht es noch mehr Energie.“

Ein Kommilitone hatte ihm damals im Krankenhaus erzählt, wie er selber mal einen Stromschlag an einer Kuhweide erlitten hat. Danach ging er ihm lange aus dem Weg. Erst Jahre später stellte sich heraus, dass der Studienkollege sich angesichts dessen, was der Entführte durchgemacht hatte, schämte, sein eigenes Erlebnis an der Kuhweide erwähnt zu haben. Oetker selbst hatte diese Erzählung aber gar nicht als Fauxpas empfunden.

Zur Startseite