Panorama: Rhein, Weib und Gesang
Der Mythos vom großen deutschen Fluss
In den 80er Jahren, als nach diversen Chemie-Skandalen massenhaft Fische mit dem Bauch nach oben über den Rhein trieben, kursierte die Legende vom Film. Man müsse einfach nur einen belichteten Filmstreifen ins Wasser lassen, wenige Sekunden abwarten, und schon hätte man das Geld für die Entwicklung im Fotolabor gespart, hieß es. Erst wenn der letzte Fluss vergiftet … Es schien, als hätten die Chemiekonzerne den romantischen Mythos des längsten Stroms Deutschlands stark verdünnt.
Doch ausmerzen läßt sich das nicht, was Clemens Brentano, Heinrich Heine und etliche weniger bekannte Männer sich im 19. Jahrhundert so ausdachten. Die blonde Loreley, die Matrosen und Kapitäne ins Unglück stürzte, hat sich für immer in das kollektive Gedächtnis der Deutschen gekämmt, die „Wacht am Rhein“ von Max Schneckenburger beschwor den deutschen Helden. Nikolaus Becker reimte 1840: „Sie sollen ihn nicht haben/den freien deutschen Rhein/solang noch kühne Knaben/um schlanke Dirnen frein“. Das patriotische Lied sollte Front machen gegen die Franzosen und wurde etwa 130 Mal vertont, unter anderem von Robert Schumann.
Erich Kästner schrieb 1932 nach einer wahren Begebenheit das Gedicht vom „Handstand auf der Loreley“ – einen Abgesang auf falsch verstandenes Heldentum. Kurt Tucholsky ironisierte den Rhein-Eifer mit seiner WeinWeib-Gesang-Seligkeit: „Es fließt ein Strom durch das deutsche Land/drin spiegeln sich Schlösser und Zinnen/er ist in den deutschen Gauen bekannt/kein Refrain kann demselben entrinnen/Und alle Romantik hat hier ihr Revier/und je lauter das Rheinlied, je kälter das Bier“. Die Expressionisten beschrieben den Rhein in Flammen. Das Rheintal bleibt trotzdem die berühmteste Sehnsuchtslandschaft, die Deutschland hat. Der große Strom schlängelt sich auf seinen 865 deutschen Kilometern aber nicht nur entlang einer Mythenlandschaft, sondern auch entlang einer Geografie der Mentalitäten. Mindestens so legendär wie die Loreley ist die rheinisch-joviale Fröhlichkeit, die weiter flussabwärts, zwischen der gewaltigsten Industrieregion Europas und der niederländischen Grenze, zu neblig-trüber Melancholie verdunstet. Als der Rhein noch ab und an Hochwasser führte, sangen die Kölner fröhlich: „Enmal im Jor kütt der Rhin us em Bett, nämlich dann wenn e Huwasser hätt, und dann freuen sich die Fisch dat is doch klar, denn dan han se wieder Sauerstoff et ezte mal im Jor.“ Unterdessen standen die Menschen am Niederrhein 130 Kilometer weiter nördlich auf dem Deich und blickten stumm Richtung Horizont. Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch schrieb: „Die Niederrheiner sind Chefverdränger“. Der Mythos Rhein zieht jedes Jahr unzählige Touristen auf den Fluss und in Städte wie Rüdesheim, wo man den Wein noch in Gläsern mit dunkelgrünem, rebenverziertem Sockel serviert. Und dazu gibt es einen Alleinunterhalter, der das unverwüstliche Lied von Willi Ostermann anstimmt: „Es gibt nur einen deutsche Rhein/hier läßt man Sorgen Sorgen sein, ich pfeif’ auf London und Paris/am Rhein, da ist mein Paradies.“ Am Rhein wird eben das ganze Jahr geschunkelt.
Esther Kogelboom
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