Tod des letzten Bullen in Kenia: Retten Berliner Forscher das Nördliche Breitmaulnashorn?
In Kenia ist das einzige noch lebende männliche Nördliche Breitmaulnashorn gestorben. Es bleiben zwei Weibchen, künstliche Befruchtung – und Hilfe via Tinder.
Im greisen Alter von 45 Jahren ist in einem Reservat in Kenia am Montag das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn gestorben. Von der Nashorn-Unterart, die einst unter anderem die Savannen der heutigen Staaten Uganda, Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik bevölkerte, leben jetzt nur noch zwei Weibchen im selben Reservat namens Ol Pejeta. Trotzdem halten Wissenschaftler es für möglich, die Sub-Spezies doch noch zu retten.
Das Nördliche Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum cottioni) wurde in seinem Bestand bereits in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts stark dezimiert. Nachfrage nach Nashornpulver, das unter anderem in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) eingesetzt wird, war die wichtigste Ursache. Es soll die männliche Potenz steigern. Politische Unruhen in der Demokratischen Republik Kongo, die auch dazu führten, dass der Schutz der Tiere völlig vernachlässigt wurde, führten vor etwa 20 Jahren dazu, dass die letzten in freier Natur lebenden Exemplare Opfer von Wilderern wurden.
Der verstorbene Bulle kam aus einem Zoo in Tschechien
Der jetzt verstorbene Bulle namens „Sudan“ war erst vor wenigen Jahren aus einem tschechischen Zoo nach Kenia gebracht worden. Mit dabei waren damals auch die beiden jetzt noch lebenden Weibchen und ein 2014 verstorbenes weiteres männliches Tier. Hintergrund der Aktion war die Hoffnung, dass die ihrem natürlichen Habitat sehr ähnliche Umgebung und das Klima die Tiere anregen würden, sich doch noch fortzupflanzen. Sie erfüllte sich nicht.
Der Bulle Sudan musste wegen schmerzhafter Alterserscheinungen und schwer behandelbarer Wunden eingeschläfert werden. „Er war ein großartiger Botschafter für seine Art“, sagte Richard Vigne, Leiter des Reservats nördlich von Nairobi. „Eines Tages wird sein Tod hoffentlich als wegweisender Moment für Naturschützer weltweit gesehen werden.“
Jan Stejskal, ehemaliger Pfleger Sudans im Zoo Dvur Kralove sagte der tschechischen Nachrichtenagentur CTK, der Tod des Tieres sei „ein grausames Symbol für die menschliche Missachtung der Natur“. Er beschrieb Sudan als „ein außergewöhnliches Tier, unglaublich lieb“. Er sei nie aggressiv gewesen.
Zwei Weibchen leben noch
Die beiden letzten Weibchen heißen Najin und Fatu. In einem 700 Hektar großen Gehege des Reservats werden sie rund um die Uhr von bewaffneten Sicherheitsleuten bewacht. Sie sind Sudans Tochter und seine Enkelin. Dass keine von beiden auf natürliche Weise trächtig wurde, liegt wahrscheinlich nicht nur an der engen Verwandtschaft. Beide Tiere seien aufgrund von Veränderungen in ihrem Geschlechtstrakt nicht mehr fruchtbar auf natürlichem Wege, sagt Robert Hermes, Professor am Berliner Leibniz- Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW).
„Der Tod Sudans kommt für uns ehrlich gesagt nicht überraschend“, so Hermes weiter. Doch weder sein Ende noch die Gebärunfähigkeit der beiden letzten Weibchen bedeuten das unwiederbringliche Ende der Unterart. In den Kühltruhen des Berliner Instituts lagern befruchtungsfähige Spermien von drei anderen Bullen. Und den beiden Weibchen könnte man Eizellen entnehmen und sie im Labor mit jenen Spermien zusammenbringen. So entstandene Embryonen könnten dann „Leihmüttern“ der südlichen Unterart des Breitmaulnashorns eingepflanzt und von ihnen ausgetragen werden. Potenzielle Kandidatinnen für diese Aufgabe leben im Ol-Pejeta-Reservat.
Künstliche Befruchtung könnte neun Millionen Dollar kosten
Hermes und seine Kollegen haben die Methode bereits am Südlichen Breitmaulnashorn getestet. „Wir könnten den beiden Weibchen schon in den kommenden Monaten Eizellen entnehmen und künstlich befruchten“, sagt Hermes. Die Herausforderung sei jedoch groß, denn die Tiere müssen nicht nur, ähnlich wie bei einer Fruchtbarkeitsbehandlung einer Frau, hormonell stimuliert werden. Zur Entnahme der Eizellen wäre es auch nötig, sie in Narkose zu versetzen. Zudem würden die Fortpflanzungs-Tierärzte die Befruchtung gerne in ihren Hightech-Labors in Berlin vornehmen, wogegen es aber Vorbehalte aus Kenia gebe.
Dazu kommen die Kosten. Angaben der Tierärzte des Reservats zufolge könnte die künstliche Befruchtung bis zu neun Millionen Dollar kosten (etwa 7,3 Millionen Euro). Die Nutzer der Dating-App Tinder können auf einem eigens für Sudan angelegten Profil spenden („Der begehrteste Junggeselle der Welt“). Rund 250.000 Dollar sind bereits zusammengekommen.
Selbst wenn es mit der künstlichen Befruchtung nicht klappen sollte, sehen die Fortpflanzungs-Veterinäre noch eine weitere Chance. Man könnte dann etwa Hautzellen so behandeln, dass aus ihnen Spermien und Eizellen entstehen. Auch das Klonen von Tieren wäre technisch wahrscheinlich machbar. Jacob Anampiu, Sudans letzter Pfleger in Kenia, hofft jedenfalls, eines Tages „ein neues Nördliches Breitmaulnashorn-Junges zu sehen“.
Es gibt Gründe für Optimismus
Gründe für Optimismus gebe es, sagt Hermes. Auch das Südliche Breitmaulnashorn sei vor 100 Jahren fast ausgestorben gewesen, heute gebe es wieder 20.000 Exemplare im südlichen Afrika. „Das sind allesamt Nachfahren von gerade einmal 60 Gründertieren“, erläutert der Experte. Das zeige, auch wenn die genetische Vielfalt aufgrund der geringen Individuenzahl sehr beschränkt ist, sei es möglich, wieder robuste und gesunde Populationen zu bekommen. Andere Beispiele mit noch weniger übrig gebliebenen Tieren machen ebenfalls Hoffnung. Beim amerikanischen Schwarzfuß-Frettchen waren es nur noch 16. „Auch dank künstlicher Befruchtung sind wir heute wieder bei 6000“, sagt Hermes. „3000 davon leben wieder in freier Wildbahn.“
Der Tod Sudans als bisher zumindest letztes Männchen seiner Art sei aber vor allem ein Signal. Denn es werde in Zukunft wahrscheinlich viele vergleichbare Fälle geben. (mit dpa, AFP)