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Soldaten des Nationalen Nuklear- und Biochemie-Rettungsteams untersuchen die Unglücksstelle.
© imago/Xinhua

Explosionskatastrophe in China: Regen könnte Chemikalien erneut reagieren lassen

Chemikalien sind verstreut. Die Aufräumarbeiten in Tianjin sind riskant. Jetzt droht neue Gefahr mit Regen, weil Wasser die Chemikalien möglicherweise erneut aggressiv reagieren lässt.

Nach dem Explosionsunglück im Hafen der chinesischen Stadt Tianjin mit mindestens 114 Toten werden die weit verstreuten giftigen Chemikalien geräumt. Die Bergungsarbeiten in dem Labyrinth von Containern, die durch die Druckwelle herumgewirbelt wurden, sind „sehr kompliziert und schwierig“, wie Vizebürgermeister He Shushan am Montag vor der Presse sagte.

Noch immer wurden 70 Menschen in den Trümmern vermisst, darunter 64 Feuerwehrleute. In Krankenhäusern wurden 698 Verletzte behandelt. Darunter sind 57 Schwerverletzte.

Behälter mit rund 700 Tonnen der giftigen Chemikalie Natriumcyanid, die nach offiziellen Angaben zumeist unbeschädigt geblieben sind, sollten nach Angaben des Vizebürgermeisters bis Montagabend weitgehend eingesammelt und wegtransportiert werden. Die Kanister seien bis an den Rand des Unglückgebietes geschleudert worden. Das Trümmerfeld sei 100 000 Quadratmeter groß.

„Sich in dem Explosionsgebiet zurechtzufinden, ist wegen brennender Chemikalien und verkanteter Container, die jeden Moment wegbrechen können, extrem gefährlich“, sagte Wang Ke, Chef der mehr als 200 Chemiespezialisten des Militärs nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. „Wir mussten Markierungen anbringen, um uns nicht zu verlaufen.“ Am Montag ereignete sich erneut eine kleinere Explosion. Mehr als 3000 Helfer sind im Einsatz.

Der Abfluss vergifteten Wassers soll gestoppt werden

Neue Gefahr droht durch Regen, der für Montagabend und Dienstag angekündigt ist. Die Chemikalien reagieren zum Teil sehr heftig auf Wasser, und giftige Stoffe könnten in einen nahe gelegenen Fluss gelangen. Im Kernbereich der Unglücksstelle wurden Dämme aus Sand und Erde errichtet, um bei Regen einen Abfluss vergifteten Wassers zu verhindern, sagte der Vizebürgermeister.

An 3 von 27 Messstationen im Wasser wurden bereits übermäßige Cyanid-Werte gemessen, die zum Teil das 24-Fache des erlaubten Wertes überschritten, wie Xinhua berichtete. In dem Gefahrgutlager, das am späten Mittwochabend nach einem Feuer in die Luft flog, waren nicht nur Natriumcyanid, sondern auch Kaliumnitrat und Ammoniumnitrat gelagert, das beides brandfördernd ist und auch zur Herstellung von Schießpulver beziehungsweise Sprengstoff benutzt wird.

Feuerwehrleute räumten ein, dass sie mit Wasser gelöscht hätten, was bei Chemikalien explosive Reaktionen auslösen kann. Ein Überlebender berichtete der Zeitung „Nanfang Zhoumo“, dass ihnen niemand gesagt habe, dass dort gefährliche Chemikalien lagerten, die nicht mit Wasser in Kontakt kommen dürften. Der Brand sei wie üblich bekämpft worden. „Wir sprühten Wasser auf einen Container und nach zehn Minuten hörten wir Geräusche und dann ging der Container in Flammen auf.“ Der Bericht der Zeitung im Internet wurde später gelöscht.

In der Bevölkerung von Tianjin geht die Angst vor giftigen Stoffen in der Luft und im Wasser um. Auch wuchs der Ärger vor allem unter Anwohnern, deren Häuser teils schwer beschädigt wurden. Wiederholt kam es zu Protesten von betroffenen Hausbesitzern und Angehörigen von vermissten Feuerwehrleuten. So war das Gefahrgutlager viel zu nah an großen Wohnblöcken gelegen, was allein schon gegen Vorschriften verstieß. Auch wurde 70 mal mehr Natriumcyanid gelagert als erlaubt.

Bei einem Besuch am Unglücksort mahnte Li Keqiang, Ministerpräsident von China, dass die Ursache der Katastrophe eingehend untersucht und die Verantwortlichen „streng bestraft“ werden müssten. Mit einer Schweigeminute erwies der Ministerpräsident den getöteten Feuerwehrleuten seinen Respekt und beschrieb sie als „Helden“.

Nach Klagen empörter Familien über die Ungleichbehandlung der frei vom Hafenbetreiber angeheuerten Brandbekämpfer und der offiziellen Feuerwehrleute, die in China zum Militär gehören, betonte der Premier, alle hätte die gleiche Ehre verdient. Auch werde die gleiche Entschädigung gezahlt. Anfangs waren die vermissten freien Löschkräfte nicht einmal mitgezählt worden, was Proteste auslöste.

Nach einer teils chaotischen Informationspolitik, die wenig zur Beruhigung der Bevölkerung beigetragen hat, forderte Li Keqiang, die Öffentlichkeit schnell zu unterrichten, damit sie sich ein „klares Bild“ von der Lage machen könne, wie die Staatsagentur schrieb.

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