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Russland: Pussy Riot - Frauenaufstand gegen Putin

Die russische Punkband Pussy Riot fordert die Obrigkeit heraus und muss dafür büßen. Zwei Musikerinnen sind in Haft. Sie müssen mit mehrjährigen Gefängnisstrafen rechnen.

Die Hand der Frau zittert, als sie die geweihte Kerze anzündet, und das kommt nicht nur vom Alter. Seit ein paar Wochen, flüstert Marija Iljinitschna mit Verschwörermine, wisse sie, wie der Teufel aussieht. Er habe keineswegs Hörner und Bocksfüße, wie allgemein angenommen wird. Dafür trage er Häkelmasken in Pink und Türkis mit schmalem Sehschlitz vor dem Gesicht, an den Beinen Netzstrümpfe in leuchtenden Neonfarben. Auch habe er weibliche Rundungen, die grellfarbige Tuniken nur unzureichend verhüllen.

Gemeint waren die feministischen Punk-Rockerinnen der Band Pussy Riot: Acht junge Frauen haben am 21. Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche die Gläubigen mit einer unheiligen Fürbitte an die Gottesmutter schockiert. Die Heilige Jungfrau möge doch bittschön dafür sorgen, dass Putin bei den Präsidentenwahlen Russlands Geschicke nicht für weitere sechs Jahre bestimmt. Für ihre Performance hatten sich die Punkerinnen jene Kirche ausgesucht, in der der Patriarch in Anwesenheit der Staatsführung zu hohen Feiertagen die Gottesdienste selbst zelebriert. Tatort war das Allerheiligste: das Kaisertor des Altars, das selbst der Patriarch nur einmal im Jahr – zu Christi Auferstehung – durchschreiten darf. Und es vergingen gut fünf Minuten, ehe der Herr seine Diener sandte, den Tempel zu säubern.

Zwei der Punkerinnen – Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa – kamen sofort in Untersuchungshaft und befinden sich im Hungerstreik.

Festgenommen wurde am Freitag ein weiteres Mitglied der Chaos-Combo: Irina Loktina, die bisher nur als Zeugin vernommen worden war. Allen dreien soll der Prozess wegen schweren Rowdytums gemacht werden. Wie gleich mehrere russische Medien berichteten, soll das Patriarchat jedoch am Sonntag in mehreren Moskauer Kirchen Unterschriften unter eine Petition an Generalstaatsanwalt Juri Tschaika gesammelt haben, wegen Anstiftung zu religiösem Hass ermitteln zu lassen. Darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft.

Und zur Verantwortung gezogen werden sollen nicht nur die Punkerinnen, sondern auch jene, die an der Vorbereitung des Auftritts beteiligt waren. Zwar dementierte die Kirchenführung diese Meldung. Das Patriarchat, so ein Sprecher, habe jedoch zahlreiche Briefe von Christen erhalten, die eine „prinzipielle Position“ zu den Vorgängen fordern. An dem Pussy-Riot-Skandal reibt sich die Öffentlichkeit, und selten standen sich Pro und Contra so unversöhnlich gegenüber.

Putin ist die Symbolfigur für die russische Macho-Gesellschaft

Strenggläubige sprechen von Gotteslästerung, die nur mit alttestamentarischen Strafen gesühnt werden kann, Liberale immerhin von Geschmacksverirrung. Gleichzeitig plädieren sie jedoch für die Einstellung des Verfahrens. Die Verfassung garantiere das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Angegriffene – Wladimir Putin, der nach der Amtseinführung im Mai in den Kreml zurückkehren wird – äußerte sich mit keiner Silbe.

Putin ist der Hauptfeind von Pussy Riot. Auch deshalb, weil er eine Symbolfigur für die russische Macho-Gesellschaft ist, in der Frauen diskriminiert werden. Vorbild ist offenbar die Bewegung „Femen“ aus der Ukraine, die weltweit mit Protestaktionen gegen die Männergesellschaft mobil macht. Doch während Femen mit nackter Brust das System attackiert, setzen Pussy Riot auf chaotische Musik und kehligen Sprechgesang mit Schüttelreimen, die kaum druckfähig sind.

Die Band gründete sich Ende September 2011, als Premier Putin und Noch-Präsident Dmitri Medwedew der Öffentlichkeit den längst beschlossenen Tausch der Ämter verkündeten. Pussy Riot ist derzeit Russlands berühmteste Band. Ihre Auftritte erinnern an Flashmobs, als Bühne nutzen sie gern Dächer und Baugerüste. Landesweit sorgten sie für Aufsehen, vor allem in der heißen Phase des Präsidentenwahlkampfs.

Leicht bekleidet wie stets, obwohl das Thermometer minus 20 Grad zeigte, brachten sie Putin Ende Februar ein Ständchen vor der Basilius-Kathedrale, keine fünfzig Meter von der Einfahrt in den Kreml entfernt. In den Liedtexten marschiert eine Kolonne Aufrührer zum Kreml, bei den Geheimdienstlern splittern die Fenster. In Russland ist Aufstand, das Regime wird abgetrieben, Putin macht sich die Hose nass – nicht alles, was die Frauen herausschreien, ist zitierfähig.

Passanten guckten irritiert, als sie die derben Texte hörten, Polizisten beendeten die Performance nach einigen Minuten. Das Video stand aber kurz darauf im Netz und ist dort ein großer Hit. Noch häufiger wird der Auftritt in der Kirche abgerufen. Es könnte ihr letzter gewesen sein.

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