Breivik in Untersuchungshaft: Polizei veröffentlicht alle Opfernamen: 77 Tote
Die norwegische Polizei hat am Freitag die Opferzahl der Anschläge in Oslo und auf der Insel Utöya nach oben korrigiert. Ein Gericht in Oslo hat zwei Psychiater beauftragt, ein Gutachten über den Attentäter anzufertigen.
Bei den Anschlägen vor einer Woche seien 77 Menschen ums Leben gekommen, teilte die Polizei am Freitagabend mit. Zuvor war von 76 bestätigten Opfern und einer nicht genannten Zahl von Vermissten die Rede. Am Freitagabend wurden die letzten 36 Namen von Getöteten veröffentlicht. Alle Opfer seien identifiziert und die Angehörigen unterrichtet, hieß es weiter.
Während die ersten seiner Opfer beerdigt wurden, ist der Rechtsextremist Anders Behring Breivik erneut von der Polizei vernommen worden. Behring Breivik wurde am Freitagvormittag in einem Konvoi gepanzerter Fahrzeuge aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Ila ins Hauptquartier der Osloer Polizei gebracht, um dort zum zweiten Mal vernommen zu werden. Nach Angaben von Staatsanwalt Paal-Fredrik Hjort Kraby sollten dabei die Aufzeichnungen des ersten Verhörs, mehr als 50 Seiten Text, noch einmal durchgegangen werden. „Er muss sagen, ob er bei dem bleibt, was er gesagt hat“, sagte Hjort Kraby.
„Es wird keine Konfrontation geben.“ Mit neuen Ermittlungsergebnissen solle Behring Breivik dann beim nächsten Verhör in der kommenden Woche konfrontiert werden. Ein Datum für das Verhör nannte der Staatsanwalt nicht. Zunächst hatte es geheißen, Behring Breivik sollte bereits am Freitag zu Ermittlungsergebnissen der vergangenen Tage befragt werden.
Ein Gericht in Oslo benannte zwei Psychiater, die ein Gutachten über Behring Breivik anfertigen sollen. Die Psychiater sollten ihre Arbeit in einer Woche aufnehmen und bis zum 1. November abgeschlossen haben, sagte Staatsanwalt Hjort Kraby. Erst dann werde feststehen, ob Behring Breivik für seine Taten vor Gericht verantwortlich gemacht werden könne.
Der Attentäter von Oslo hatte nach Angaben seines Anwalts bei den Anschlägen vor einer Woche noch umfassendere Pläne. Verteidiger Geir Lippestad sagte am Freitag der norwegischen Zeitung „Aftenposten“: „Er hatte an diesem Freitag noch mehrere Pläne in unterschiedlicher Größenordnung.“ Diese seien „genauso konkret“ gewesen wie die Bombe im Osloer Regierungsviertel und das Massaker auf der Insel Utøya.
Über den Verlauf sagte Lippestad: „Es sind an dem Tag Dinge geschehen, auf die ich nicht eingehen kann. Sie hatten zur Folge, dass alles etwas anders verlief, als er sich vorgestellt hatte.“ Konkret nannte der Anwalt in „Aftenposten“ Breiviks Absicht, zwei weitere Gebäude „zu bombardieren“.
Ein Polizeisprecher wollte die Angaben nicht kommentieren. Er sagte aber, es seien im Zuge der Ermittlungen rund ein Dutzend Orte untersucht worden, ohne dass dort eine Gefährdung entdeckt worden sei.
Der Attentäter hatte am vergangenen Freitag um 15.26 Uhr direkt vor dem Osloer Regierungs-Hochhaus eine Autobombe detonieren lassen, durch die acht Menschen starben. Zwei Stunden später begann er auf der 40 Kilometer entfernten Insel Utøya mit einem Massaker an Teilnehmern eines sozialdemokratischen Jugendlagers. Er tötete dort bis zu seiner Festnahme 68 Menschen.
Nach Angaben eines Polizeisprechers wurden inzwischen alle Opfer identifiziert, die Familien würden derzeit informiert. Am Dienstag hatte die Polizei die ersten Namen von Anschlagsopfern veröffentlicht.
Bei einer Gedenkveranstaltung seiner Arbeiterpartei für die Opfer der beiden Anschläge bezeichnete Regierungschef Jens Stoltenberg die Anschläge als „Angriff auf unsere Demokratie“. Mit Blick auf das Massaker auf Utöya sagte Stoltenberg nach einer Gedenkminute: „Die Kugeln haben unsere Jugend, aber auch die gesamte Nation getroffen.“ Der Leiter der von dem Anschlag betroffenen Arbeiterjugend, Eskil Pedersen, sagte: „Wir werden unserer Toten nicht mit Trauer, sondern mit einem Lächeln gedenken.“ Zeitgleich wurde in der Stadt Nesodden das erste Opfer des Massakers von Utöya beigesetzt. Zur Beerdigung der im Alter von 18 Jahren getöteten Bano Rashid sollte auch Außenminister Jonas Gahr Störe erscheinen. Ihre Schwester überlebte den Angriff. Die Mutter der beiden Mädchen sagte Medienberichten zufolge vor der Beerdigung: „Die Antwort (auf den Anschlag) muss Liebe sein, nicht noch mehr Hass.“ In der Stadt Hamar im Südwesten Norwegens sollte am frühen Nachmittag ein weiteres Opfer beigesetzt werden.
Anders Behring Breivik sitzt in Untersuchungshaft. Der Diplomatensohn wird rund um die Uhr überwacht, um eine Selbsttötung auszuschließen.
Vor Gericht wird er vermutlich erst im nächsten Jahr kommen. Norwegens Chef-Ankläger begründete den späten Prozessbeginn damit, dass der Fall so umfangreich sei, dass die Ausarbeitung der Anklageschrift viel Zeit in Anspruch nehmen werde. „Aus Respekt vor den Toten und den Angehörigen muss der Täter für jede einzelne Tötung Rechenschaft ablegen“, sagte Tor-Aksel Busch im Radiosender NRK. Das stelle entsprechende Anforderungen an die Beweisführung. „Ich hoffe, die Leute haben Verständnis dafür.“
Unklar blieb zunächst, wie sich der Chefankläger gegenüber einer möglichen Schuldunfähigkeit des Angeklagten verhalten würde. Dessen Strafverteidiger hatte seinen Mandanten als „verrückt“ bezeichnet und erklärt, er werde deshalb auf Strafunfähigkeit plädieren. Zwei Psychiater sind derzeit damit betraut, Breiviks Seelenzustand zu untersuchen. Wann sie die Untersuchungsergebnisse vorlegen, ist noch nicht abzusehen. „Man kann eine spezielle Wirklichkeitsauffassung haben, aber dennoch die Umwelt realistisch auffassen und deuten. Wenn Breivik eine umfassende psychische Störung hätte, wäre das schon früher in seinem Leben aufgefallen“, sagt Rechtsmedizinerin Eva-Marie Lauren. Auch Janne Kristiansen, Chefin des norwegischen Geheimdienstes PST, sagte, sie halte den 32-Jährigen nicht für geisteskrank. „Ich empfinde ihn als einen zurechnungsfähigen verstandsklaren Menschen, denn er hat sich sehr lange Zeit in den Verhören konzentrieren können.“
Nach einem Bericht der norwegischen Nachrichtenagentur NTB sollte Breivik, der sich widerstandslos festnehmen ließ, eigentlich niedergeschossen werden. Angehörige einer Eliteeinheit hätten bereits auf ihn gezielt. Als sicher war, dass er keinen Sprengstoff am Körper trug, sei der Schießbefehl jedoch in letzter Sekunde zurückgenommen worden.
Als Lehre aus dem Doppel-Anschlag verstärkt die EU ihren Kampf gegen Terroristen. So wollen die 27 EU-Staaten den Zugang zu Chemikalien beschränken, aus denen Bomben gebaut werden könnten. Das teilten EU-Diplomaten nach einem Treffen von Anti-Terrorexperten mit. Auch über striktere Regeln für den Waffenkauf wird diskutiert. Zudem soll ein europaweites Netzwerk an Psychologen und Fahndern künftig Einzeltäter möglichst früher aufspüren. „Wir müssen solche Anschläge in Zukunft besser verhindern und schneller reagieren“, schrieben die Experten in einer gemeinsamen Mitteilung. „Das Phänomen des „Einsamen Wolfs“ – eines radikalisierten Täters ohne Bezug zu einer terroristischen Organisation – muss mehr Aufmerksamkeit bekommen.“ Die EU-Polizeibehörde Europol werde die Fahndung nach Terrorverdächtigen und Extremisten ausweiten, um die Geldströme zur Finanzierung von Terror-Netzwerken aufzudecken. Norwegen, das kein Mitglied der EU ist, erhält zudem Zugang zu den Daten von Europol. (mit dpa/AFP)
André Anwar
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