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Alptraum für die Bewohner. Ein Kreuzfahrtschiff nach dem anderen steuert Venedig an.
© rtr

Kreuzfahrtschiffe in Venedig: Pläne für neuen Kanal rufen Protest hervor

In der Ferienstille des August hat in Italien ein Gremium aus Fachleuten, Stadt- und Regionalpolitikern beschlossen, dass der Bau eines neuen Kanals für Kreuzfahrtschiffe in Venedig geprüft werden soll. In 18 Monaten soll er den Kreuzfahrtschiffen freie Fahrt ermöglichen.

Von einem Überfall sprechen sie in Venedig, Zeitungen benennen es mit dem deutschen Wort „blitz“ – von „Blitzkrieg“ – was da in Rom geschehen ist: Dort, am Sitz des italienischen Regierungschefs und nach zahlreichen Verschiebungen hat sich das „Groß-Komitee“ wieder einmal getroffen, um eine Lösung für eines der drängendsten Probleme der Wasserstadt zu finden: Wohin mit den Riesen-Kreuzfahrtschiffen?
Mehr als 700 dieser „Paläste des Meeres“ fahren jedes Jahr nicht nur in die Lagune ein, sondern auch haarscharf an Dogenpalast, Markusplatz und Campanile vorbei. Der Wellenschlag, den ihre Großturbinen verursachen, höhlt Fundamente aus und greift die Pfähle an, auf denen Venedig steht; die Abgase ihrer mächtigen Dieselmotoren sorgen für – im wahrsten Sinne – ätzende Luft; diese greift den „Istria-Marmor“ der Baudenkmäler an. Und spätestens seit dem Unglück der „Costa Concordia“ auf Giglio im Januar 2012 ist bei den Bürgern von Venedig die Angst gewachsen, so ein „Traumschiff“, das 60 Meter und mehr aus dem Wasser ragt und damit doppelt so hoch ist wie der Dogenpalast, könnte umkippen und ganze Bauten vom Rang eines Weltkulturerbes unter sich begraben.

"Schlechteste aller Lösungen"

„Kreuzfahrtschiffe sind unser Leben”, sagen dagegen die Betreiber des Hafens. Mehr als zwei Millionen Touristen kämen jedes Jahr auf dem Seeweg vorbei, das bringe 430 Millionen Euro in die Stadt und erhalte mindestens 5000 Arbeitsplätze. „Kreuzfahrtschiffe raus aus der Lagune!”, dieser Schlachtruf der immer häufigeren und immer entschiedeneren Protestkundgebungen sei „der Tod der Stadt“. Derzeit hat Venedig keine Regierung, und dieses politische Vakuum, so sagen Umweltschützer und Stadtpatrioten, hätten „die Kreuzfahrt- und die korrupte Baulobby“ dazu genutzt, um „zugunsten ihrer eigenen Interessen die schlechteste aller möglichen Lösungen durchzusetzen“. Das „Comitatone“, also das Komitee aus Regierung, Fachleuten, sowie Stadt- und Regionalpolitikern hat in der Ferienstille des August jetzt beschlossen, für die Kreuzfahrtschiffe einen neuen Kanal in die Lagune zu baggern. Genauer gesagt wollen sie nur eine Umweltverträglicheitsprüfung vornehmen. In den Augen der Kritiker ist die Sache damit entschieden, zumal auch schon ein Termin für die Fertigstellung des Kanals genannt wird: in achtzehn Monaten soll er freie Fahrt ermöglichen.

Aus für Spezialterminal-Pläne auf der Meerseite

Damit sind alle Lösungsvorschläge vom Tisch, die mit Hinweis auf das zerbrechliche ökologische Gleichgewicht in der seichten Lagune die Riesenschiffe an der Einfahrt hindern wollten. Draußen, auf der Meerseite des Lido beispielsweise, sollte ein Spezialterminal für Kreuzfahrtschiffe eingerichtet werden, verlangten die einen, und die anderen – darunter der unter Korruptionsverdacht festgenommene Bürgermeister Giorgio Orsoni – verlangten, die 300 oder mehr Meter langen Schiffe, wenn schon in die Lagune, dann wenigstens weitmöglichst vom Stadtgebiet entfernt und in den Industriehafen von Marghera zu leiten; da landen ja auch die ohnehin „dreckigen“ Frachtschiffe und vor allem die Öltanker. Für diese war die Lagune schon einmal hart angegriffen worden. Vor fünfzig Jahren baggerte man den „Canale dei Petroli“ vom südlichen Laguneneingang Malamocco nach Marghera. Dieser soll nun einen 4,8 Kilometer langen Ableger erhalten – den „Canale Contorta-Sant’Angelo“ – auf welchem die Kreuzfahrtschiffe den schnieken, modernen, teuren Passagierhafen am westlichen Rand von Venedig erreichen sollen. Das bedeutet das Ausbaggern einer heutigen Fahrrinne von 2,4 auf 10,50 Meter Tiefe und ihre Verbreiterung auf bis zu 200 Meter – mit allen Folgen für die Wasserzirkulation in der Lagune. „Zerstörerisch“ sei das, sagen die Umweltschützer; die Hafenchefs entgegnen: damit werde „die Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts erst ermöglicht“.

Drei Fortschritte aber gibt es jetzt schon. Die Regierung will im Januar 2015 endlich ein zwei Jahre altes Dekret in Kraft setzen, welches Schiffen ab 96.000 Tonnen die Durchfahrt durch das „San-Marco-Bassin“ verbietet – die Costa Concordia, nur als Orientierung, war mit 114.000 Tonnen angegeben. Zweitens werden 446 der großen Passagierfähren - nach Griechenland zum Beispiel - derzeit vom venezianischen Inselhafen nach Fusina aufs Festland verlegt, und drittens haben sich die Kreuzfahrtreedereien, um gut Wetter zu machen, „freiwillig“ verpflichtet, nicht mehr ganz so viele Schiffe unmittelbar an San Marco vorbeifahren zu lassen.

Paul Kreiner

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