Umweltschutz: Ökologie total digital
Digitalisierung kann Energie sparen, aber auch zu mehr Energieverbrauch führen. Ihr Umweltnutzen rückt jetzt mehr in den Fokus.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind nicht die ersten Themen, die man mit der Digitalisierung verbindet. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) hat es in ihrem „Umweltmonitor Digitalisierung“ trotzdem getan. Das Ergebnis der Umfrage, die dem Tagesspiegel vorab vorliegt: Die Bundesbürger haben ein gutes Gespür für die Gefahren der Digitalisierung. Mehr Rohstoffverbrauch und Elektromüll durch mehr Geräte sehen rund 80 Prozent der Befragten als große oder sehr große Gefahr. Mehr Energieverbrauch und eine höhere Luftverschmutzung wegen des Lieferverkehrs fürs Onlineshopping befürchten rund 60 Prozent der Befragten.
Die positiven Auswirkungen der Digitalisierung schätzen die Bundesbürger dagegen als etwas weniger wichtig ein: 75 Prozent glauben, dass die Digitalisierung große oder sehr große Energieeinsparungen bringen wird. Immerhin gut die Hälfte sieht Einsparmöglichkeiten bei Rohstoffen. Knapp die Hälfte glaubt, das Verkehrsaufkommen könnte durch neue Mobilitätsformen wie Carsharing oder weniger Reisen dank Videokonferenzen verringert werden.
Diese Einschätzungen decken sich mit den Prognosen von Experten. So hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) untersuchen lassen, wie groß das Potenzial von Energieeinsparungen im Haushalt durch die Vernetzung der Geräte oder die automatisierte Steuerung der Heizung ist. Das Fazit der Studie: Sind Haushaltsgeräte rund um die Uhr empfangsbereit, um auf Sprachbefehle oder Signale anderer Geräte zu reagieren, kann die Stromrechnung eines Haushalts um bis zu 100 Euro im Jahr steigen.
Auch die Gefahr von Ressourcenverschwendung durch immer mehr Geräte, die immer schneller durch neue ersetzt werden, sieht Irmela Colaço vom BUND. Andererseits seien enorme Einsparungen bei der Raumwärme möglich, die für rund ein Drittel der Kohlendioxidemissionen in Deutschland verantwortlich ist. „Doch die Chancen der Digitalisierung im Heizungskeller hat die Politik bisher verschlafen“, bedauert Colaço. Sie fordert Vorschriften für eine regelmäßige Überprüfung von Heizungsanlagen auf ihre optimale Einstellung. „Mit einer kontinuierlichen digitalen Messung ließe sich das leicht machen.“
Unterstützung beim Klimaschutz
Nach anderen Beispielen für die guten Seiten der Digitalisierung muss man nicht lange suchen, das Thema liegt offenbar in der Luft. Nicht weniger als 50 Projekte will das Umweltministerium auflegen. „Künstliche Intelligenz ermöglicht es beispielsweise, eine intelligente Stromversorgung einzusetzen und die Elektromobilität voranzubringen. Das sind wichtige Bausteine, die uns beim Klima- und Umweltschutz helfen werden“, teilte Umweltministerin Svenja Schulze am Donnerstag mit. So forscht das Institut für Ubiquitäre Mobilitätssysteme der Hochschule Karlsruhe an Konzepten, die Smartphones, Fahrplanauskunftssysteme, Verkehrsleitzentralen oder Smartwatches zu einem System der Systeme verknüpft, damit jeder Einzelnen auf intelligente und zuverlässige Art eine auf sie und ihn abgestimmte Mobilität angeboten bekommt. Oder Ökosysteme sollen digital überwacht werden, um Wilderei und illegale Fischerei zu bekämpfen.
„Erst mit der Digitalisierung wurde es möglich, aus alten Kunststoffflaschen wieder neue Flaschen für Getränke herzustellen“, beschreibt die DBU einen anderen Anwendungsfall, das System des Unternehmens Unisensor. Alte Flaschen werden dabei in Schnipsel zerschlagen, jeder einzelne davon mit einem Laser bestrahlt und das reflektierte Licht vermessen. Pro Sekunde werden dabei bis zu eine Million Analysen ausgeführt.
Den Garten wässern per App
Gärtnern per App kann man in einem Projekt im Havelland. „Steuere deinen eigenen Gemüsegarten via PC oder Smartphone. Schalte deine Webcam ein und bewässere per Mausklick“, werben die Macher von IP-Garten. Reale Parzellen können eingeloggte Nutzer so von zu Hause aus pflegen. Auch die Landwirtschaft kann von der Digitalisierung profitieren. Microsoft etwa bietet das System Farmbeats an, das die Daten von Bodensensoren und Drohnenaufnahmen vernetzt, um etwa die Bewässerung zu optimieren. Mit Drohnen will die Stadt Singapur alle ihre Grünflächen in 3D vermessen, um sie besser pflegen zu können.
Für die Energiewende und die bessere Steuerung des Stromnetzes gilt die Digitalisierung sowieso als unabdingbar. Und sogar auf dem Bau wollen Architekten künftig mit Building Integrated Modelling effizienter planen und die Gebäude besser ausführen. Welche Auswirkungen das auf den Energieverbrauch oder die Nutzung von erneuerbaren Energien haben könnte, beschreibt eine Studie der Deutschen Energie-Agentur für das Wirtschaftsministerium.
Digitalisierung als Triebkraft von Nachhaltigkeit
Allerdings werde die ökologische Frage in der Diskussion über die Digitalisierung oft noch ausgeblendet, meint Alexander Bonde, Generalsekretär der DBU. Diese Lücke zumindest teilweise zu füllen, ist Ziel der Konferenz „Bits & Bäume“ am kommenden Wochenende in der TU Berlin. Dort sollen die zwei bisher getrennten gesellschaftlichen Bewegungen erstmals zusammenkommen, erklärte der Initiator des Meetings, Tilman Santarius.
Auf dem Programm steht ein weites Spektrum gesellschafspolitischer und nachhaltiger Digitalisierungsthemen. Neben Diskussionen über Smart City, Automatisierungs- und Blockchain-Technologie wird sogar ein Workshop zum Selbstbau eines Feinstaub-Sensors angeboten.
Die entscheidende Frage für Santarius ist: „Wie können wir die Digitalisierung zur Triebkraft von Nachhaltigkeit machen?“ Der Wissenschaftler leitet eine Nachwuchs-Forschungsgruppe zum Thema „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ an der TU Berlin und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und hat mit „Smarte Grüne Welt?“ ein Buch zum Thema veröffentlicht. Zuvor hatte er über den Rebound-Effekt geschrieben.
Wichtig ist ihm, dass verstärkt auch aus sozialer und ökologischer Perspektive über die Folgen und Gestaltung der Digitalisierung gesprochen wird. Die Rahmenbedingungen dafür sollte in Deutschland eine „transformative Digitalpolitik“ schaffen, wozu ein Umsteuern in Richtung „Techniksuffizienz“ gehöre. Das bedeutet, dass Verbraucher in freiwilliger Selbstverpflichtung umweltbewusst mit technischen Geräten und ihrem digitalen Fußabdruck umgehen.
Paul Dalg, Susanne Ehlerding