Großairport: Neuer Flughafen in London - abheben von Boris Island
Auch in London wird mit Leidenschaft über Flughäfen diskutiert. Auf der Themse könnte ein ganz großer entstehen, der auf dem Wasser schwimmt. Aber sicher ist das noch nicht.
Londons Politiker, Unternehmer, Reisende träumen von neuen Landebahnen. Es sind Albträume für die einen, visionäre Zukunftsträume für die anderen. Denn auch mit fünf Flughäfen reicht die Kapazität nicht aus für die Stadt, die so viel Wert auf ihre globalen Verbindungen legt. Über Lösungen wird seit Jahrzehnten gerätselt – ohne Erfolg. Planungsdebatten über Londons wichtigsten Flughafen, Heathrow, sind so alt wie der Flughafen selbst, der 1929, eher zufällig, als kleine Graslandebahn begann. Heute liegt einer der verkehrsreichsten Flughäfen der Welt im Vorortgürtel. „Heathrow ist ein gigantischer Planungsfehler“, sagt Bürgermeister Boris Johnson. Aber als 2008, nach jahrelangem Planungsstreit und heiligen Versprechen, dies sei das Ende der Expansion, Heathrows Terminal 5 eröffnet wurde, begannen am Einweihungstag die Debatten über eine dritte Landebahn und Terminal 6.
„Der Ausbau unserer Flughafenkapazitäten muss oberste Priorität für die Politik haben“, warnt die Londoner Handelskammer und stützt sich auf eine Analyse von Oxford Economics. Untätigkeit im Flughafenbau, warnen die Wirtschaftsforscher, wird die britische Wirtschaft ab 2021 jährlich 8,5 Milliarden Pfund und 100 000 Jobs kosten. Reisende, die im Billigflieger-Paradies, dem Flughafen Stansted, schon morgens um fünf keinen Sitzplatz für den Morgenkaffee mehr bekommen, träumen ebenso von neuen Flughäfen wie Unternehmer, die mit China und Asien Geschäfte machen wollen. 3500 Direktflüge nach China im Jahr gibt es von Paris aus, nur 2500 von London. Chinesen, die London besuchen wollen, Londoner, die in den chinesischen Millionenstädten Geschäfte machen wollen, müssen über europäische Drehscheiben fliegen. „Für eine Stadt wie London ist es eine Schande“, schimpfte der junge Londoner Luke, als er im August zu seinem neuen Job in China mit drei Stunden Aufenthalt über Berlin fliegen musste. Nun mischte sich das internationale Planungsbüro Gensler mit dem neuesten Konzept unter die Träumer: Sechs Landebahnen in der Themsemündung, mit dem Ufer durch Unterwassertunnel verbunden. Anders als ein Plan des Büros Foster & Partners würde dieser Themse-Flughafen nicht auf künstlich gewonnenem Land gebaut. „Wir lassen den Flughafen auf gigantischen Plattformen schwimmen“, entschied Gensler-Planungschef Ian Mulcahey. Das könne in Schiffswerften und Stahlkochereien im Königreich schnell gebaut und an Ort und Stelle geschleppt werden. Der Planer schwärmt von einem nationalen Infrastrukturprojekt, das der maroden britischen Wirtschaft „Drive und neue Dynamik“ geben würde. 44 Prozent der Londoner halten nach einer Umfrage einen solchen Flughafen in der Themse für die beste Lösung. Nur 24 Prozent unterstützen die dritte Landebahn für Heathrow, der Airport mit dem höchsten Passagieraufkommen in Europa, der aber, ein Kuriosum, mit nur zwei Landebahnen operiert.
Und das macht Menschen wie Maggie Thorburn Albträume. Sie lebt in der Anflugschneise in Isleworth und fürchtet, dass die Regierung, aus Angst vor den Risiken des Projekts in der Themse, eine Kehrtwende beim Ausbau-Stopp von Heathrow vorbereitet. Obwohl ausgerechnet die Konservativen vor der letzten Wahl hoch und heilig versprachen, keine weitere Landebahnen in Südengland zu genehmigen. „Man kann nicht reden, wenn Flugzeuge über das Haus fliegen“, klagt Maggie, Anhängerin der „Heathrow Association for the Control of Aircraft Noise“, die gegen die dritte Landebahn und neue Flugbewegungsregeln kämpft, bei denen Startbahnen gleichzeitig zum Starten und Landen benutzt werden, um 120 000 zusätzliche Flüge im Jahr zu ermöglichen. Maggie benutzt eine neue iPhone-App der Uni London, mit der eine Lärmkarte Westlondons erstellt wird. Aber sie weiß auch so, dass eine dritte Landebahn „die Hölle“ wäre. Sogar viele Tory-Unterhausabgeordnete geben ihr recht, wie Justine Greening, Abgeordnete von Putney, wo ein guter Teil der täglich rund 1300 An- und Abflüge über die Häuser donnert. Dass sie als Verkehrsministerin nun wegen ihrer Gegnerschaft gegen die dritte Landebahn ausgewechselt wurde, schürte die Furcht vor einem Schwenk der Tories. Jetzt ist sie Ministerin für Entwicklungshilfe, „da hat sie Zeit, auf ihren vielen Flügen in der Warteschleife über London über neue Landebahnen nachzudenken“, spotteten Zyniker der Tory-Partei.
Denn so vehement, wie einige Tories gegen die dritte Landebahn sind, fordern andere rasches Handeln in Heathrow. „Premier Cameron muss zeigen, ob er ein Mann oder eine Maus ist“, forderte der Abgeordnete Tim Yeo. Er glaubt, sparsamere und leisere Flugzeuge hätten das Umweltproblem Fliegen mehr oder weniger gelöst. Im Mittelpunkt des Kampfes steht als Widersacher des Premiers Bürgermeister Boris Johnson, der jeden Gedanken an eine dritte Landebahn für „Wahnsinn“ hält und glaubt, dass nur eine ganz neue Flugdrehscheibe Londons Probleme nachhaltig lösen kann. Von ihm stammt die Idee eines Flughafens in der Themsebucht: „Boris Island“.
Erst einmal gibt es zwei neue Kommissionen. Premier David Cameron hat eine Kommission einberufen, die bis 2015 einen Gesamtplan für den Luftverkehr in Südengland entwickeln soll. Damit will er die politisch heikle Entscheidung über die nächste Wahl hinausschieben. Johnson dagegen hat Meinungen, Expertisen und Anhörungen über das Themse-Projekt angefordert. Vogelschützer, europäische Luftverkehrsexperten, Verkehrsplaner, Investoren sollen Auskunft geben, ob und wie das Projekt zu realisieren wäre. Foster & Partners, die den ersten ausgereiften Plan für das Zukunftsprojekt entwickelten und gleich noch eine Themse-Flutsperre mit Gezeitenkraftwerk, neue Hochgeschwindigkeitsverbindungen und ein neues Vogelschutzgebiet mit einplanten, glauben, dass der neue Flughafen in sieben Jahren gebaut werden könnte, nur zwei Jahre mehr als eine neue Heathrow-Landebahn. Auch eine Finanzierung legten sie vor: Investitionsfreudige Staatsfonds aus China oder Katar sollen den 30-MilliardenPfund-Plan stemmen, abgesichert durch künftige Landegebühren und die Verwandlung von Heathrow in neue, blühende Wohn- und Geschäftsviertel. Foster hat in Peking und Hongkong schon erfolgreich solche Großflughäfen aus dem Boden gestampft und kann sich Optimismus leisten.
Von den Problemen um den Berliner Großflughafen redet in London niemand.
Matthias Thibaut