Sexueller Missbrauch: Neue Vorwürfe belasten die Domspatzen
Bei den Regensburger Domspatzen hat es offenbar noch in den neunziger Jahren sexuelle Gewalt gegeben. Derweil regt der Katholiken-Präsident die Lockerung des Zölibats an.
Die Missbrauchsvorwürfe gegen die Regensburger Domspatzen reißen nicht ab: Ein Ex-Schüler des zum berühmten Knabenchor zugehörigen Internats sagte dem Spiegel, er habe sexuelle und körperliche Gewalt bis zum Ende seiner Zeit bei den Domspatzen im Jahr 1992 als allgegenwärtig erlebt. Er selbst sei von älteren Mitschülern vergewaltigt worden. "Die haben den Druck eines totalitären Systems eben weitergegeben", sagte der Schüler. Das Bistum Regensburg wollte die Vorwürfe nicht kommentieren. Bislang waren bei den Domspatzen lediglich Fälle aus den fünfziger und sechziger Jahren bekannt geworden. Georg Ratzinger, Bruder von Papst Benedikt XVI., hatte den Knabenchor lange Zeit geleitet.
Unterdessen hat sich der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, angesichts der sexuellen Vergehen in kirchlichen Einrichtungen dafür ausgesprochen, das Thema Sexualität intensiv zu diskutieren. Die Vorfälle seien "die schwerste Belastung unserer Kirche, seit ich denken kann", sagte Glück der Süddeutschen Zeitung. Die Kirche müsse daher Konsequenzen struktureller Art ziehen und dabei auch überlegen, ob es kirchenspezifische Bedingungen für den Missbrauch gebe.
"Dazu gehört zweifellos eine Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema Sexualität, angefangen vom Umgang damit bis hin zur Auswahl des kirchlichen Personals", sagte der langjährige CSU-Politiker weiter. Die Lockerung des Pflichtzölibats für Priester im Sinne einer freiwilligen Entscheidung sei ein Weg. Allerdings sei das Problem damit allein nicht gelöst.
Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke verneinte im Deutschlandfunk, dass der Zölibat als solches die alleinige Ursache für sexuellen Missbrauch sei. Allerdings könne die zölibatäre Lebensform Menschen anziehen, die "eine krankhafte Sexualität haben – und dann mag da eine Gefahrensituation gegeben sein". Im Inforadio des NDR plädierte auch Jaschke für einen offeneren Umgang mit Sexualität in der katholischen Kirche. Zölibatäres Leben "kann nicht heißen, dass man Sexualität unterdrückt oder verdrängt – man muss offensiv an diese Fragen herangehen".
Der Zölibat für katholische Geistliche fordert die Ehelosigkeit und gilt seit dem zwölften Jahrhundert. Papst Benedikt XVI. will an dieser Tradition festhalten. Die verpflichtende Ehelosigkeit der Priester sei ein "kostbares Geschenk" und "Zeichen der vollständigen Hingabe" an Gott, sagte er während eines Treffens mit Teilnehmer einer Tagung der Kleruskongregation im Vatikan. Der Zölibat dürfe daher nicht dem Zeitgeist geopfert werden.
Der Papst steht im Missbrauchsskandal inzwischen allerdings selbst im Fokus: Am Freitag wurde bekannt, dass während der Amtszeit Joseph Ratzingers als Erzbischof von München und Freising ein vorbelasteter Priester in der Gemeindearbeit des Bistums eingesetzt wurde. Dieser verging sich später erneut an Jugendlichen und wurde dafür verurteilt. Der zuständige Ordinariatsrat, in dem Ratzinger damals Mitglied war, hatte dem Umzug des Geistlichen nach München zugestimmt. Der frühere Generalvikar Gerhard Gruber der Diözese sprach von einem "schweren Fehler" und übernahm die volle Verantwortung.
Der Vatikan deutete die Verlautbarungen der letzten Tage als direkte Angriffe auf den Papst. "In den letzten Tagen gab es einige, die mit einer gewissen Verbissenheit in Regensburg und in München nach Elementen gesucht haben, um den Heiligen Vater persönlich in die Missbrauchs-Fragen mit hineinzuziehen", sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi in Rom. Für jeden objektiven Beobachter sei aber klar, "dass diese Versuche gescheitert sind". In dem jüngsten Münchner Fall sei deutlich, dass Joseph Ratzinger mit Entscheidungen nichts zu tun gehabt habe, "nach denen es später dann zu den Missbräuchen kommen konnte", sagte der Papst-Sprecher.
Der ZdK-Präsident Glück riet der Kirche zu einer vorbehaltlosen Aufklärung der Missbrauchsfälle. Dies sei wichtig, "um Vertrauen zurückzugewinnen". Für die Zukunft mahnte er im Fall eines begründeten Verdachts die sofortige Zusammenarbeit mit dem Staat sowie ein einheitliches Vorgehen an. Zudem sollten Anlaufstellen für Missbrauchsopfer außerhalb kirchlicher Abhängigkeit stehen.