Robben Island: Museum der Versöhnung
Ein Besuch auf der ehemaligen Gefängnis-Insel Robben Island
„Willkommen in der Hölle von Südafrika", sagt der ehemalige Gefangene 60 / 63, als er uns in die große Gemeinschaftszelle für 60 Gefangene führt. An die Hölle erinnert heute nichts mehr, der Boden ist spiegelblank gewienert. Vier Kübel stehen an einem Ende. Mehr nicht. Aber wenn man sich in die sechziger Jahre zurück versetzt und sich diese Zelle mit 60 Gefangenen belegt vorstellt, und wenn man weiß, dass davon vielleicht über 50 Kriminelle und der Rest Politische waren, dann kommt man der Idee von der Hölle schon ein Stückchen näher.
Sideeq Levy, wie der ehemalige Gefangene 60 /63 auf Robben Island im wahren Leben heißt, wirkt schon ein wenig angespannt, als er uns seine Stätte des Leidens zeigt. Er hat sie sich für das Ende der Besichtigungstour durch den Gefängniskomplex von Robben Island, der Gefängnisinsel vor der Küste Kapstadts, aufgehoben. „Die Kriminellen schliefen auf Matten, wir mussten bei den vier Toilettenkübeln auf dem Fußboden schlafen. Das hatten sich die Wächter so ausgedacht. Wir hatten kaum eine ruhige Nacht. Die Kriminellen sollten uns demoralisieren.“ Die „normalen“ Gefangenen waren für ihre Brutalität berüchtigt. „Die hatten sich öfter verstümmelt, um ins Hospital zu kommen. Wenn sie das schon sich selber antun, was stellen sie dann erst mit uns an, fragten wir uns damals“, erzählt Levy.
Einst wurde Sideeq Levy hier von Weißen gefesselt, geschlagen und gefoltert. Heute führt er weiße Besucher, beispielsweise aus dem Freistaat, durch das Museum. „Die Leute haben geweint und mich gefragt: Könnt Ihr uns vergeben? Ich habe gesagt: Das kommt nie wieder.“ Das Einzigartige an Robben Island ist die Tatsache, dass dieses nationale Museum heute von ehemaligen Gefangenen und ehemaligen Wärtern gemeinsam betrieben wird. Robben Island ist ein einzigartiges Symbol der Versöhnung, das in die Zukunft weist.
Sideeq Levy kam 1962 als Gefangener nach Robben Island, weil er Graffiti gesprüht hatte: „one man, one vote“. Das kostete ihn 18 Monate. Levy war Mitglied im Pan African Congress (PAC), einer radikalen Abspaltung des African National Congress (ANC). „Wir werden nicht vergessen, was geschehen ist“, sagt Levy, „aber wir werden die Vergangenheit für die Zukunft nutzen.“
Der prominenteste Gefangene der Insel war Nelson Mandela, der hier 18 Jahre lang eingesperrt war. Seine zwei mal zweieinhalb Meter große Zelle in der „Seksie B“, wie der Trakt der „Politischen“ hieß, ist heute ein Muss auf dem Rundgang durch die düsteren, aber blank polierten Gänge des Gefängnisses. Es schaudert einen, wenn man auf dem ummauerten Hof steht, auf dem die politischen Gefangenen in zwei Reihen sitzend völlig sinnlos tagein tagaus, Jahr für Jahr Steine mit einem Hammer zertrümmern mussten. Ähnlich war es in dem berüchtigten Kalksteinbruch, dem heißesten und grellsten Ort der Insel, an dem die Gefangenen Steine klopfen mussten. Wenn die Sonne auf die gelbweißen Felswände scheint, muss man schon die Augen zusammen kneifen. Nur mit einer Sonnenbrille hält man das aus, die die Gefangenen natürlich nicht hatten. Der feine Staub zerstörte ihre Netzhäute und fraß sich in die Lungen.
So sehr dieser Steinbruch an die unmenschliche Seite des Apartheid-Regimes in Südafrika erinnert, ist er doch gleichzeitig – wie die ganze Insel – ein Symbol für die Unerschütterlichkeit des Strebens nach Freiheit. „Dieser Steinbruch war der einzige Ort, an dem die Gefangenen frei miteinander reden konnten“, erzählt Sideeq Levy. Viele politische Gefangene, vor allem die jungen Aktivisten, die nach Steve Biko in den 70er Jahren hierher geschickt wurden, hatten keine Bildung bekommen. Aber dafür gab es den Steinbruch. „Willkommen auf dem Campus“, sagt Levy, als wir das grellgelbe Loch in der Insel erreichen. Hier hatte Mandela beschlossen, den ungebildeten Aktivisten Unterricht zu erteilen. „Each one teaches one“ – „Jeder unterrichtet jemanden“ – war das Motto. „Wenn Sie so wollen“, sagt Levy, „war das unsere Universität, eine open air Universität. Mandela bespielsweise war Jurist und gab seine Kenntnisse weiter. Eddy Daniels war hier 15 Jahre lang gefangen und hat mit dem, was er hier gelernt hat, zwei akademische Grade geschafft.“
Der Steinbruch als Universität – auch das macht den Mythos Robben Island aus. 1990 / 91 öffneten sich die Gefängnistore. Aber zur Überraschung des europäischen Besuchers ist Robben Island nicht nur eine finstere Gefängnisinsel, die ihre Besucher nach rauer Überfahrt gleich am Hafen mit der makabren Inschrift „We serve with pride – Ons diens met trots. Welkom Robbeneiland“ empfängt, sondern sie ist auch ein einmaliges Naturreservat mit einem reichen Wildbestand. Wer über Kapstadt nach Südafrika reist, wird hier seine ersten Straußen und Antilopen sehen. Das stimmt versöhnlich und zuversichtlich, eine Zuversicht, die viele im Land teilen. „Wir können nur in der Zukunft leben, was immer auch geschieht“, sagt Sideeq Levy. Und plötzlich taucht an der Kante eines alten Steinbruches ein Hirsch mit einem mächtigen Geweih auf, bleibt einen Moment stehen und verschwindet im Gebüsch.
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