Lawinen-Experte: "Mit guten Ohren unterwegs sein"
Das extreme Wetter in den Alpen hält an. Der Leiter der Lawinenkommission Schliersee ist jeden Tag auf dem Berg - und merkt, wann es gefährlich wird.
Walter Alkofer (76) leitet ehrenamtlich die Lawinenkommission Schliersee in Oberbayern. Aufgabe dieser Gremien ist die Beratung der Gemeinden und Landratsämter. Sie bestehen aus ortskundigen und bergerfahrenen Fachleuten - bayernweit sind darin 350 Bürger tätig. Die Kommissionen beurteilen die aktuelle Schnee- und Lawinensituation und geben Empfehlungen ab, etwa über Sperrungen von Straßen und Skiabfahrten sowie kontrollierte Sprengungen von Lawinen. In diesen Tagen haben Alkofer und sein Team die Sperrung mehrerer Straßen im Raum Schliersee veranlasst. Vor acht Jahren erhielt Alkofer das Verdienstkreuz am Bande des Bundespräsidenten.
Herr Alkofer, seit Tagen schneit es stark, die Lawinengefahr ist hoch. Wie sah ihr Tag heute aus?
Gegen 9.30 Uhr bin ich raus auf den Berg gegangen, jetzt untersuchen wir die Schneedecke. Die haben wir hier im Spitzinggebiet in 1400 Metern Höhe aufgegraben, einen Meter tief. Es existiert eine kleine Eisschicht mit zwei, drei Millimetern unterhalb der Schneeoberfläche. Ich nehme an, dass es gestern viel Nebel gehabt hat, der gefroren ist. Wir belasten den Schnee stark, hauen also richtig rein.
Mit welchem Ergebnis?
Ein glatter Bruch würde bedeuten, dass an dieser Stelle jederzeit größere Lawinen abgehen können. Derzeit würde ich über 2000 Metern keine Touren gehen. Da kommt es zu Verfrachtungen, also zu Umlagerungen des Schnees durch den Wind. Der Wind bleibt ja nicht an der gleichen Stelle, sondern dreht sich teils um 360 Grad. Man kann nicht sagen, wo eine Verfrachtung ist.
Über Sie wird gesagt, Sie hätten „das Gespür für Schnee“. Was hat es denn damit auf sich?
Man muss mit guten Ohren unterwegs sein, da hört man das Windrauschen. Wenn man aber einen Hang fährt, könnte man dazwischen auch ein leichtes Zischen hören. Wird dieses Zischen lauter, wird mir himmelangst. Denn das ist ein Zeichen dafür, dass ein Schneebrett abgeht. Dann schaue ich auch, ob sich in dem Hang, der eigentlich sehr schön und weiß ist, ein kleiner, feiner Riss befindet. Ein Skifahrer kann dann mit einem eleganten Schwung eine Lawine auslösen. Wenn man das wie ich seit 47 Jahren beobachtet, bekommt man bessere Ohren und Augen dafür, wie gefährlich es ist und was passieren könnte. Aber: Man darf sich nie hundertprozentig sicher sein, die Lage kann sich sehr schnell ändern.
Was ist Ihre Erfahrung: Werden die Leute am Berg immer leichtsinniger?
Wer heute in Tirol, in der Schweiz oder in Frankreich auf Skitour geht, der weiß: Hoppla, da sind hohe Berge, da kann etwas passieren. Das haben die Menschen schon im Hinterkopf. Unser höchster Berg hier im Landkreis Miesbach ist aber die Rotwand mit 1884 Metern. Da sagen die Tourengeher: Na, das ist ein Grashügel, da kann ja überhaupt nichts passieren. Ich war bei der Polizei Sachbearbeiter für Alpinunfälle. Von 1970 bis 2003, als ich in den Ruhestand gegangen bin, gab es neun tödliche Lawinenunfälle mit 13 Toten und 22 Schwerverletzten. Das waren lauter Leute mit toller Erfahrung. Einer hatte die „Haute Route“ von Mont Blanc nach Zermatt ein paar Mal gemacht. Das zeigt: Auch bei uns kann etwas passieren.
Sind Sie selbst schon mal von einer Lawine überrascht worden?
Ja, das war hier in der Gegend, es herrschte starker Wind. Ich wollte von einer Seite auf die andere und dachte mir: Herrschaftszeiten, hat da oben einer die Wasserleitung aufgedreht? Kurz darauf sah ich, dass es kein Wasser war, sondern der Schnee, der auf mich zukam. Ich bin bis zum Bauch verschüttet worden und habe mich selbst freigeschaufelt. Das hätte aber auch blöder ausgehen können.
Sie beobachten die Lage am Berg seit fast 50 Jahren. Was hat sich geändert?
In den Tourengebieten – nicht auf den Pisten – nehmen die Unfälle zu, leider Gottes auch tödliche. Der eine oder andere denkt sich sicherlich, dass heutzutage die Rettung so gut verläuft. Passiert etwas, dann sind auch Menschen da, die helfen. Das ist eine gefährliche Ansicht. Man sollte Respekt vor der Natur, Respekt vor dem Schnee haben, denn man kann den Schnee nicht beurteilen.
Wie lange wollen Sie Ihre ehrenamtliche Arbeit noch weitermachen?
Ich bin jetzt 75 Jahre alt. Ich mache das, solange der Herrgott sagt: Geh nur zu, das geht schon. Mich ärgert halt, dass es langsamer geht, wenn da etwa junge Mädels oder Burschen an mir vorbeiziehen. Vor 40 Jahren war ich auch so schnell.
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