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Update

71 Tote nach Fußballspiel in Ägypten: Militärrat ordnet Staatstrauer an - Fußballverband aufgelöst

Nach den schwersten Ausschreitungen in der Geschichte des ägyptischen Fußballs hat der regierende Militärrat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Demonstranten werfen den Sicherheitskräften Versagen vor.

Nach den Fan-Ausschreitungen mit 71 Toten und mehreren hundert Verletzten in Ägypten hat der regierende Militärrat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Während einer Krisensitzung des Parlaments in Kairo gab Ministerpräsident Kamal al-Gansuri zudem bekannt, dass er den ägyptischen Fußballverband aufgelöst habe.

Zahlreiche Menschen protestierten in der Nacht zum Donnerstag in Kairo gegen die mutmaßliche Nachlässigkeit der Sicherheitskräfte im Stadion. Vor dem Gelände des Fußballvereins Al-Ahly skandierten Aktivisten Parolen, in denen der regierende Militärrat kritisiert wurde. Hunderte versammelten sich zudem vor dem Hauptbahnhof, um aus der Mittelmeerstadt Port Said ankommende Verletzte zu empfangen. Auch in Port Said selbst kam es zu Protesten, in denen die Gewalt nach dem Ende des Erstligaspiels verurteilt wurde. Für Donnerstag wurde eine Demonstration vor dem Innenministerium in Kairo angekündigt.

Außerdem werden die Fragen nach einem politischen Hintergrund der Krawalle immer lauter. Das Parlament wollte am heutigen Donnerstag in Kairo zusammenkommen und über das „Massaker“ beraten. Die Muslimbruderschaft, die die stärkste Fraktion stellt, betonte in einem auf ihrer Website veröffentlichten Statement, dass Kräfte am Werk seien, die in enger Verbindung zu dem früheren Regime von Präsident Husni Mubarak stünden.

Sie riefen den regierenden Militärrat auf, alle Maßnahmen zum Schutz der Menschen in Ägypten zu ergreifen. Zudem müsse untersucht werden, welche Verantwortung die Polizei an der Eskalation trage. Ein für die öffentliche Sicherheit zuständiger Militärvertreter, Ahmed Gamal, wies in der Tageszeitung „Al-Tahrir“ jegliche Schuld zurück. Es habe einen guten Sicherheitsplan bei dem Fußballspiel gegeben, sagte er. Doch der Gewaltausbruch nach Abpfiff sei nicht mehr einzudämmen gewesen. (dpa/dapd)

Einen ausführlichen Bericht von unserem Nahost-Korrespondenten Martin Gehlen finden sie hier

Kaum hatte der Schiedsrichter die Erstliga-Partie zwischen dem Außenseiter Masry von Port Said und dem Favoriten Ahly aus Kairo abgepfiffen, verwandelten tausende Masry-Fans das Stadion binnen Minuten in eine Hölle. Trotz eines 3:1 Sieges ihrer Mannschaft stürmten sie das Spielfeld. Steine und Flaschen flogen, Feuerwerkskörper wurden gezündet. Fernsehbilder zeigten die rot gekleideten Ahly-Spieler in Panik in die Kabine fliehen, hunderte Menschen prügelten wild aufeinander ein. Die Live-Übertragung des ägyptischen Staatskanals zeigte, dass die schweren Krawalle zwischen den Fans beider Vereine in dem Stadion der Küstenstadt noch mindestens eine Stunde weitergingen. Die wenigen Trupps der schwarz gekleideten Sonderpolizei wirkten völlig überrascht und hilflos, später war von den Beamten nichts mehr zu sehen.

Am Abend gab der Staatssekretär im ägyptischen Gesundheitsministerium, Hesham Shiha, in einer ersten Bilanz bekannt, bei den Auseinandersetzungen seien mindestens 71 Menschen gestorben, darunter zahlreiche Ordnungskräfte. Über tausend Menschen wurden verletzt – die schwerste Fußball-Katastrophe in der Geschichte Ägyptens. Viele Opfer wurden nach ersten Angaben von Ärzten tot getrampelt oder erstickten, weil sie von der rasenden Menge zu Tode gequetscht worden waren. Andere starben an schweren Kopfverletzungen und Stichwunden. Auch im Kairoer Fußballstadion beim Spiel des zweiten Kairoer Erstligisten Zamalek gegen Ismailia randalierten die Fans in der Halbzeitpause und stecken Teile des Stadions in Brand. Das Spiel wurde daraufhin auf Verlangen der Spieler beim Stand von 2:2 abgebrochen. Das Feuer konnte gelöscht werden, ohne dass Menschen zu Schaden kamen. Noch am Abend setzte der Präsident des ägyptischen Fußballverbandes alle Spiele der ägyptischen Erstliga bis auf weiteres aus.

Die Spieler des Kairoer Clubs Ahly verbarrikadierten sich im Stadion von Port Said in ihrer Kabine und flehten in frenetischen Handyanrufen um Hilfe vor dem rasenden Mob. „Die Polizei ist weg, sie hat uns im Stich gelassen, niemand schützt uns mehr. Ein Fan ist im Umkleideraum gerade vor meinen Augen gestorben“, schrie Mannschaftskapitän Mohamed Abou-Treika in einem Anruf bei einem Sportradio-Sender. „Das hat mit Fußball nichts zu tun. Das ist Krieg und die Menschen sterben vor unseren Füßen.“ Mittelfeldspieler Mohamed Barakat, der selbst eine Schlagverletzung erlitt, berichtete „in den Gängen liegen überall Leichen, alle Sicherheitsleute und Soldaten sind verschwunden.“ Die Umkleidekabine habe sich in ein Leichenhaus verwandelt, sagte Ahly-Torwarttrainer Ahmed Nagy.

Am Abend kündigte der herrschende Militärrat an, zwei Militärflugzeuge nach Port Said zu schicken, um die Spieler von Ahly abzuholen. Ihre Mannschaft zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Vereinen Ägyptens und war in der Ersten Liga seit November 2010 ungeschlagen. Erst vor drei Wochen hatte das Team ein Freundschaftsspiel in Qatar gegen den vielfachen deutschen Meister Bayern München knapp mit 1:2 verloren.

Die schweren Krawalle am Mittwochabend sind Indikator für eine zunehmend gereizte Stimmung im post-revolutionären Ägypten. Hunderttausende Menschen haben ihre Arbeit verloren, die Wirtschaft kommt auch ein Jahr nach dem Sturz von Hosni Mubarak nicht auf die Beine. Die Frustration in der Bevölkerung wächst und entlädt sich immer häufiger in schweren Gewalttaten, bei politischen Demonstrationen sowie in den Fußballstadien des Landes. Am Donnerstag will sich das neu gewählte ägyptische Parlament in einer Sondersitzung mit den schweren Unruhen beschäftigen.

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