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Tenor gewordenes Heiligenbildchen. Klaus Florian Vogt im „Lohengrin“ an der Deutschen Oper in Berlin.
© picture alliance / dpa

Oper: Mein lieber Schwan - warum Klaus Florian Vogt überall als Lohengrin gefeiert wird

Bayreuth, Berlin - das Publikum ist überall aus dem Häuschen, wenn es den Tenor sieht und hört. Nur wenn er eine andere Rolle übernimmt, dann wird er auch schon mal ausgebuht.

In Bayreuth waren die Leute gerade wieder total aus dem Häuschen. Damen in langen Abendkleidern, Herren im Smoking klatschen, schreien, trampeln mit den Füßen auf den Holzboden des Festspielhauses. Gesetzte Herrschaften, feingeistige Bildungsbürger, die beim Schlussapplaus förmlich ausrasten, eine gefühlte halbe Stunde lang. Das Objekt ihrer Begeisterung: Klaus Florian Vogt. 42 Jahre alt, von Beruf Tenor – mit dem Spezialgebiet „Lohengrin“. Keiner singt Richard Wagners Schwanenritter derzeit besser, inniger als der hoch aufgeschossene Holsteiner. Bereits im vergangenen Sommer wurde er am Grünen Hügel von den Wagnerianern dieser Welt mit Jubel überschüttet, von New York bis Tokio reißen sich die Theater um ihn, in Berlin setzte er im November 2011 nicht nur der vorzüglichen konzertanten „Lohengrin“-Aufführung durch Marek Janowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester die Krone auf, sondern rettete auch jüngst noch die verunglückte Neuinszenierung des Werks an der Deutschen Oper.

Der Lohengrin ist eine der interessantesten, dankbarsten Rollen in Wagners Musiktheateruniversum. Kein Geringerer als Thomas Mann verfiel dem 1850 uraufgeführten Werk bereits als Schüler: „Stunden voll von Schauern und Wonnen“ waren das für den Knaben. In seinen „Buddenbrooks“ infiziert sich dann prompt auch sein Held Hanno Buddenbrook mit dem „Lohengrin“-Virus, verfällt der „süßen und verklärten Herrlichkeit“ dieser Oper. Romantischer lässt sich aber auch kein Held denken. Er betritt als Retter die Bühne, in silbriger Rüstung, als Elsa, die zu Unrecht des Brudermordes angeklagte Herzogin von Brabant, verzweifelt um Hilfe fleht. Sein Schiff wird von einem Schwan gezogen, seinen Namen will der Fremde nicht verraten – denn er gehört zum Geheimbund der Gralsritter, die ihre Wundertaten unerkannt vollbringen müssen.

Was Klaus Florian Vogt für die Interpretation dieser Rolle so prädestiniert, ist nicht nur sein Aussehen, sondern vor allem sein Timbre: Normalerweise wird der Lohengrin von Heldentenören gesungen, Männern mit wuchtigen Organen, den Muskelprotzen der Oper. Vogt hat dagegen eine leichte, lyrische Stimme, die man eher mit Mozart-Partien wie dem Tamino aus der „Zauberflöte“ in Verbindung bringen würde. Dennoch verfügt er über die Durchschlagskraft, um in den größten Sälen noch bis zur letzten Reihe durchzudringen, sowie über eine Kondition, die es ihm erlaubt, auch am Ende der vier „Lohengrin“-Stunden noch die berühmte „Gralserzählung“ mit zartesten Klangschattierungen zu veredeln. Wo anderen Tenören in der Höhe die Stimme eng wird, wo sie viel Druck einsetzen müssen, da formt Klaus Florian Vogt die Melodielinie mit berückender Natürlichkeit, schmettert seine goldenen Spitzentöne als eine Art Trompete Gottes.

So eine glückliche Fügung der Natur kommt nur alle Jubeljahre vor – bedenkt man zudem, dass Vogt ein Quereinsteiger in seinem Beruf ist, dann erscheint die Entdeckung dieser Begabung als doppeltes Glück. Eigentlich ist der 1970 in Heide/Holstein geborene Künstler nämlich ausgebildeter Hornist. Noch während des Studiums ergattert er, 20-jährig, bei der Hamburgischen Staatsoper seine erste Stelle. Allerdings desillusionierte ihn der Alltag im Orchestergraben bald. Er will nicht nur in der Masse mitspielen, sondern sich als Solohornist selber aktiv einbringen können. Nach Vorspielen bei diversen Orchestern, die alle negativ verlaufen, entschließt er sich, es auf einem ganz anderen Gebiet noch einmal ganz neu zu versuchen. Er besteht die Aufnahmeprüfung für Sänger an der Lübecker Musikhochschule, wird Mitglied im Ensemble des Flensburger Theaters, wechselt an die Dresdner Semperoper und debütiert 2002 in Erfurt als Lohengrin. Der Rest ist Geschichte, eine beglückende Erfolgsgeschichte.

Spricht man mit Menschen, die Klaus Florian Vogt live erlebt haben, geht es oft um die rätselhafte Erotik, die von seinem Tenor ausgeht. In einem Bereich, der von schweren Stimmen dominiert wird, bekommt Vogts Tenor geradezu den Nimbus von kindlicher Unschuld. Man denkt an die Knabensoprane der Kirchenmusik, an schwärmerische Jünglinge. Siegen, so sagt uns die Stimme, können nicht nur die Rücksichtslosen, Verschlagenen, sondern auch jene, die reinen Herzens sind. Hier wird uns Erlösung nicht durch einen Schwerter schwingenden Recken (wie in Wagners „Ring des Nibelungen“) zuteil, sondern durch einen wundermilden Mann. Einen Rätselritter mit sanftmütigen Gesichtszügen, der dennoch von hohem Wuchs ist und von edler Gestalt, den Jesus-Darstellungen des 19. Jahrhunderts nicht unähnlich. Ein Tenor gewordenes Heiligenbildchen, Lohengrin mit einem Hauch Heintje.

Der Mensch hinter dem Schwanenritter ist übrigens ein ganz anderer Kerl. Ein begeisterter Familienvater einerseits, der mit Frau und vier Söhnen auf dem Lande in Dithmarschen lebt und bei längeren Engagements lieber im eigenen Wohnmobil als im noblen Hotel wohnt. Andererseits aber auch ein Einzelgänger, der in seinen Hobbys nach dem Mit-Sich-Allein-Sein sich, die Sehnsucht nach grenzenloser Freiheit auslebt, sei es beim Cruisen mit seiner schweren Harley Davidson, sei es über den Wolken, als Pilot seines eigenen Kleinflugzeugs.

Eine Runde hoch oben über dem Wattenmeer bei Sonnenuntergang brauchte Klaus Florian Vogt sicher, nachdem er im Januar in Berlin als Cavaradossi in Puccinis „Tosca“ ausgebuht worden war. Das ging dann vielen Besuchern der Deutschen Oper doch zu weit: Diese helle, sehr deutsche Stimme in der Paraderolle für leidenschaftlich schluchzende, südländische Verführertenöre! Am 21. Oktober wird er dennoch an das Haus zurückkehren, allerdings für eine seiner sicheren Wagner-Partien. Im neu inszenierten „Parsifal“ übernimmt Klaus Florian Vogt die Titelrolle. Wird also Lohengrins Vater spielen, noch so einen mythisch-sagenhaften Knaben, der allerdings erst im Laufe der Oper vom Unschuldsbengel zum Mitleidsengel wird – nachdem er im 1. Akt einen Schwan mit Pfeil und Bogen erlegt hat.

Der CD-Mitschnitt des Janowski-„Lohengrin“ mit Klaus Florian Vogt ist gerade bei Pentatone Classics erschienen.

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