„Wattolümpiade" in Brunsbüttel: Match im Matsch
Schlammschlacht für einen guten Zweck: Bei der „Wattolümpiade“ in Brunsbüttel treten 500 Freizeitsportler aus Deutschland, Tschechien, Belgien im Nordseeschlick gegeneinander an.
Ganz schön eklig, dieses Watt, wenn das Wasser sich zurückzieht und den Nordseeschlick freigibt. Dirk Passarge (38) steht am Elbdeich in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) und schaut auf den Matsch. Das Watt, das ist etwas für Touristen, sagt er, kräuselt angewidert die Nase und schüttelt seinen mächtigen Körper. „Wir Einheimischen, wir gehen da nicht hinein.“ Mit einer kleinen Ausnahme, fügt er hinzu und grinst breit: „Zur Wattolümpiade.“
Brunsbüttel ist ein ruhiges Städtchen, 13.000 Menschen leben dort. Bekannt ist es vor allem für das Kernkraftwerk, das mittlerweile stillliegt, die Industrie, den Hafen. Und die „Wattolümpiade“, bei der sich am Sonnabend zum elften Mal mehrere tausend Besucher am Deich tummeln werden, um 500 „Wattleten“ aus ganz Deutschland, Tschechien, Belgien zuzuschauen, die sich im knietiefen Schlamm suhlen. Beim Fußball, Volleyball, Schlickschlittenrennen und Aalstaffellauf. Am Ende sind alle so vollgematscht, dass man weder Leute noch Sportarten voneinander unterscheiden kann.
Als die Listenplätze am Neujahrstag freigeschaltet wurden, waren sie innerhalb weniger Sekunden ausgebucht. „Hat keine Minute gedauert, der totale Wattsinn“, sagt Dirk Passarge, der sich selbst vier Jahre in Folge beim Wattfußball in den Schlick gestürzt hat, bis das Organisationskomitee, der Wattikan, ihn 2012 abwarb. Seither hat er im Watt eine steile Karriere hingelegt. Erst kürzlich hat ihn der Wattikan zum Präsidenten gewählt. Nun steht er während des Wettkampfs am Rand und nicht mehr mittendrin.
So eklig er dieses Watt findet, er vermisst es auch. Um zu zeigen, warum, zieht er sich wenige Tage vor dem Großereignis die Neoprenschuhe über die Füße, umwickelt sie mit Klebeband, bis sie fest sitzen, und stürzt sich mit zwei Kumpels und einem Fußball das steinige Ufer hinab in den Dreck. Als er wieder auftaucht, sieht er aus wie die Comicfigur Hulk, nachdem er in ein Jauchefass gefallen ist. Seine Leute vom Wattikan, die am Deich Zeltstangen sortieren und Bänke für die Veranstaltung aufstellen, jubeln ihm zu. „Wenn man einmal drin ist“, ruft Passarge, „watt is dat geil.“
Wattfußball ist Passarges Lieblingsdisziplin. Er wischt sich den Schlamm aus den Augen, sieht den Ball und rennt los, die anderen hinterher. In Wattgeschwindigkeit, alles in Zeitlupe, als würden drei Schildkröten gegeneinander antreten. Passarge erreicht die Modderkugel als Erster und feuert sie ins Tor. Er reißt die Arme hoch und jubelt. Ein falscher Schritt, da liegt er wieder im Schlamm. Den wird er später kaum los. Der Schlick verklebt ihm die Haare, die Augen, er verstopft ihm die Ohren. „Es dauert Tage, bis man das aus der letzten Körperritze rausbekommt“, sagt einer, der es sich unter den Zuschauern gemütlich gemacht hat.
Einnahmen für die Krebshilfe
In der Stadt schütteln die Leute die Köpfe über das Spektakel, die Besucher im Café, der örtliche Pastor oder Anwohner hinter dem Deich. „Die Bekloppten aus dem Watt“, sagen sie und lachen, so dass deutlich wird, wie sehr sie sich im Grunde darauf freuen. Sie stören sich nicht am Lärm oder an den betrunkenen Wattleten. „Ist doch für einen guten Zweck“, sagt eine Frau. Sämtliche Einnahmen fließen in die Krebshilfe.
Wenn die Leute aus dem Wattikan vom Krebs reden, klingt es weniger nach Krankheit als nach einem Monster, das aus dem Meer kriecht und sich seine Beute schnappt. „Mich haben Ärzte immer gefragt, wie nahe ich am Kernkraftwerk lebe, man konnte aber nie einen Zusammenhang herstellen. Der Krebs, der schlägt einfach zu. Er kann sich über jeden hermachen, und er braucht keinen Grund dafür“, sagt Jens Rusch, ein Künstler aus dem Ort mit weißer Einstein-Frisur, der Initiator der Veranstaltung.
Jens Rusch erkrankte 2001 an Zungenkrebs. Obwohl er nicht daran glaubte, dass er die Krankheit überleben würde, besiegte er sie nach sechs Monaten. Ein Wunder, sagt er, für das er etwas zurückgeben wollte, und da dachte er an das Meer und das Watt und daran, dass man die Feste feiern sollte, solange man Zeit dazu hat. Etwas mehr als 250 000 Euro hat die Wattolümpiade seit 2004 eingebracht, die Einnahmen spendeten die Organisatoren an die Schleswig-Holsteinische Krebsgesellschaft. Ein Palliativzimmer haben sie damit finanziert, erst kürzlich haben sie ein Krebsberatungszentrum in ihrer Stadt eingeweiht.
Die Leute wissen das zu schätzen. Nur der Schäfer hatte früher ein Problem mit ihnen, aber das hat er mit dem Wattikan geklärt, erzählt Passarge. Die Schafe grasen auf dem Deich, sie haben sich einen Trampelpfad zurechtgestapft, um von rechts nach links, von links nach rechts zu wandern. Ein schmaler Pfad, kaum breiter als ein Fuß, der Wattikan hatte ihn bei einer Olümpiade übersehen und ein Zelt mittendrauf gestellt. „Das glaubt man nicht, aber die Tiere gingen nicht die paar Meter um das Zelt herum. Stattdessen standen da 200 Schafe und blökten wie verrückt“, erzählt einer von Passarges Wattikan-Kollegen. Viel mehr Zwischenfälle gab es in der Geschichte der Veranstaltung nicht, abgesehen von verdrehten Knien und ein paar Armbrüchen.
Marion Schulz
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