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Einschussloch. Er war stolz darauf, präzise knapp an den Köpfen der Fahrer vorbeischießen zu können.
© dpa

Selbstjustiz auf der Autobahn: LKW-Fahrer schoss 762 mal auf andere Fahrzeuge

Der gefasste Lkw-Schütze, der auf mehr als 700 Fahrzeuge das Feuer eröffnet hat, sah sich im Krieg mit Fahrerkollegen - angeblich auf Grund eines traumatischen Vorfalls vor mehreren Jahren. Die Polizei nennt ihre Suche nach ihm „beispiellos“.

Die Ermittler wussten lange nicht, wen sie suchen sollten. Und wo. Aber am Ende einer fast fünf Jahre dauernden Fahndung kamen sie dem Täter doch auf die Spur. Ein 57-jähriger Kraftfahrer soll über 700 Mal von der Autobahn aus auf Lastwagen und Autos geschossen haben, weil es nach seiner Auffassung im Straßenverkehr zugeht wie im Krieg. Nur mit einem aufwendigen Datenabgleich schaffte es die Polizei, den Mann ausfindig zu machen.

„Wir haben die berühmte Nadel im Heuhaufen gefunden.“ Jörg Ziercke bemühte ein hergebrachtes Sprachbild, um einen einzigartigen Fall der deutschen Kriminalgeschichte zu erklären. Vor einer „beispiellosen kriminalistischen Herausforderung“ hätten die Ermittler gestanden, um den Täter zu finden, der auf Autobahnen „am Tag und in der Nacht, irgendwann und irgendwo zur Waffe greift, um andere Fahrzeuge zu beschießen“, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) am Dienstag in Wiesbaden. Zwei Tage zuvor, gegen 6.15 Uhr am Sonntagmorgen, hatten die Ermittler zugeschlagen und den Schützen an seinem Wohnort in der Nordeifel festgenommen. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Die zuständige Würzburger Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag, gefährliche Körperverletzung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Waffengesetz vor. Nach bisherigem Erkenntnisstand insgesamt 762 Mal feuerte der Kraftfahrer demnach zwischen 2008 und 2013 auf der Autobahn auf sein Umfeld. Es könnte reiner Zufall sein, dass dabei keine Menschen zu Tode kamen. Am 10. November 2009 traf ein Projektil eine Skoda-Fahrerin auf der A 3 bei Würzburg und verletzte sie schwer. 2010 entgingen die Fahrer dreier Lastwagen nur knapp einem Unglück, als Kugeln in ihre Fahrerhäuser einschlugen. „In einem dieser Fälle verfehlte das Projektil den Kopf des Fahrers nur knapp“, sagte Ziercke.

Bisher habe der Verhaftete bestritten, dass er habe töten wollen, sagt der Würzburger Staatsanwalt Dietrich Geuder. „Er wollte nur Sachen beschädigen“, habe der Kraftfahrer ausgesagt. Und „dass er sich für einen guten Schützen halte, so dass Personen nicht zu Schaden kommen“. Als Auslöser für die Taten habe der gelernte Werkzeugmacher ein Erlebnis genannt, das ihm vor vielen Jahren widerfahren sei. Damals habe ihn ein Autotransporter abgedrängt und beinahe einen Unfall verursacht. Danach habe das mit der Schießerei begonnen – laut Geuder für den 57-Jährigen „eine Art Selbstjustiz“ auf dem Kriegsschauplatz Autobahn.

„Am ehesten wird man ihn als einen frustrierten Einzelgänger mit einem Hass auf Personen charakterisieren können“, beschrieb Geuder den Mann. Zwei Pistolen mit Schalldämpfern, einen Schießkugelschreiber und 1300 Schuss Munition hätten die Beamten bei ihm gefunden. Eine der Waffen sei bereits als Tatwaffe identifiziert.

Was sich so nun Stück für Stück zusammenfügt, war für die Ermittler eine Herkulesaufgabe. Erst ein Datenabgleich brachte den Erfolg. An sieben Stellen an den Autobahnen zwischen Kerpen und Nürnberg brachten die Beamten Kameras an. Nachdem im April wieder Schüsse gefallen waren, werteten die Fahnder die Wegstrecken der Opfer und die aufgezeichneten Kennzeichen aus – und stießen so schließlich auf den Laster des 57-Jährigen.

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