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Abschied von Nelson Mandela: Letzter Tanz um einen Toten

Nelson Mandela wurde am Sonntag beigesetzt – in Qunu, dem Ort seiner glücklichen Jugend. Nicht alles lief dabei glatt ab. Bischof Desmond Tutu, ein alter Mitstreiter, war zunächst nicht eingeladen, weil er den ANC kritisiert hatte.

Sanft fällt der Hang ins Tal hinab, sanft steigt er auf der anderen Seite wieder empor, bis er in der Ferne an den weiten Himmel stößt. Von der Anhöhe über Qunu fällt der Blick auf die vom Regen der letzten Tage getränkten Maisfelder und auf Dutzende von Rundhütten, die sich wie weiße Farbkleckse in die Landschaft schmiegen. Ganz unten in der Senke, direkt neben der Nationalstraße 2, liegt ein mächtiges sandfarbenes Haus, das bis vor einem Jahr der Alterssitz des Mannes war, um den die ganze Welt seit zehn Tagen trauert – und der gestern hier in einer Mischung aus Staatsakt und Stammeszeremonie zu Grabe getragen wurde. Bis in die ersten Dezembertage des vergangenen Jahres hat Nelson Mandela genau hier seinen Ruhestand verbracht. Wegen einer lebensgefährlichen Lungeninfektion musste er dann nach Johannesburg verlegt werden, wo er am 5. Dezember an den Folgen der Krankheit aber auch an Altersschwäche verstarb.

Gleich neben dem Haus, das sich Mandela hier 1999 bauen ließ und das eine fast exakte Kopie der Unterkunft ist, in dem er im Victor-Verster-Gefängnis von Paarl das letzte Haftjahr verbrachte, haben Arbeiter in der letzten Woche ein gigantisches Festzelt aus dem Boden gestampft. „Komm heim, Mandela, die Sonne ist untergegangen“, wehklagten Frauen, als die Entourage aus Motorrädern und Militärfahrzeugen am Sonnabendnachmittag seinen Alterssitz in Qunu erreichte, wo der Sarg mit seinem Leichnam die letzte Nacht verbrachte. Zu Tausenden hatten die Menschen, viele von ihnen in der traditionellen Kluft der hier ansässigen Xhosa, zuvor entlang der Route gestanden, auf der Mandelas Leichnam am Sonnabend vom Flughafen der heruntergekommenen Provinzhauptstadt Mthatha ins 30 Kilometer entfernte Qunu gebracht worden war.

In dem Festzelt selbst hatte am Sonntagvormittag der erste Teil der Beerdigungsfeier stattgefunden, zu der fast 4500 geladene Gäste aus aller Welt auf das Familienanwesen Mandelas gekommen waren, darunter der britische Thronfolger Prinz Charles und die US-Talkshow-Moderation Oprah Winfrey. Im Inneren des Zeltes war ein überlebensgroßes Porträt Mandelas aufgebaut, vor dem 95 Kerzen brannten – eine für jedes Lebensjahr Mandelas. Mitglieder der Familie hatten am Leichnam eine Nachtwache gehalten. Im Morgengrauen war der in eine südafrikanische Fahne gehüllte Sarg dann auf einer Lafette von seinem Wohnsitz in das nah gelegene Festzelt gezogen worden.

Dort wurden zunächst, wie schon auf der offiziellen Trauerfeier in Johannesburg, viele politische Reden gehalten, von denen kaum eine in Erinnerung bleiben wird. Erst Mandelas Enkelin Nandi brach den Bann, als sie liebevoll von einem höchst unterhaltsamen aber bisweilen auch recht strikten Großvater erzählte. „Wir werden dich und vor allem deine strenge Stimme vermissen, wenn du über unsere Kapriolen wenig entzückt warst“, sagte sie zur hörbaren Freude der Trauergemeinde. Für Erheiterung sorgte auch Sambias früherer Staatschef Kenneth Kaunda, der trotz seiner 89 Jahre unplanmäßig ans Mikrofon gelaufen war und in seiner Rede als Einziger kurz an die wichtige Rolle erinnerte, die Südafrikas letzter weißer Staatschef Frederik de Klerk beim friedlichen Wandel am Kap gespielt hatte.

Nicht alles lief glatt. Bischof Desmond Tutu, alter Kampfgefährte Mandelas, war zunächst nicht zu der Beerdigung eingeladen gewesen. Tutu hatte den Niedergang Südafrikas in Korruption und Vetternwirtschaft beklagt, der nach Mandelas Abtritt von der politischen Bühne einsetzte. Nach öffentlicher Empörung wurde Tutu schließlich doch geladen.

Nach einer wenig mitreißenden und wieder einmal strikt vom Papier abgelesenen Rede von Präsident Jacob Zuma und einer ebenso schwachen Predigt von Methodisten-Bischof Zipho Siwa wurde der Sarg schließlich vom südafrikanischen Militär zu der auf einer kleinen Anhöhe gelegenen Grabstelle gebracht und dort an Clanchefs und Stammesälteste der Tembu übergeben. Eigentlich sollte die Übergabe eine Stunde vorher um Punkt 12 Uhr erfolgen, weil einer Xhosa-Tradition zufolge dann die Schatten am kürzesten sind und die Strahlkraft des Toten besonders stark ist. Doch angesichts Nelson Mandelas Strahlkraft zu Lebzeiten brauchte man es wohl nicht so genau nehmen. Am Grab selbst wollten Familie und enge Freunde mit dem Sarg allein sein. Wie vereinbart wurden nach einem letzten Trompetensolo, einem 21-Schuss-Ehrensalut und dem Vorbeiflug von drei Hubschraubern und sieben Düsenjägern alle Kameras abgeschaltet. Selbst der südafrikanische Staatssender SABC und die britische BBC, die in den letzten Tagen fast rund um die Uhr berichtet hatten, schalteten nun ins Studio zurück.

In der nur 500 Meter neben Mandelas Wohnhaus gelegenen Familiengruft sind neben seiner 1968 verstorbenen Mutter auch eine kurz nach der Geburt verstorbene Tochter, sein 1969 bei einem Autounfall ums Leben gekommener Sohn Thembekile sowie der 2005 an Aids verstorbene zweite Sohn Makgatho beigesetzt, die alle aus seiner ersten Ehe stammen. Es ist kein herkömmlicher Friedhof, durch den ein Weg führt, sondern eigentlich nur eine frisch gemähte Wiese, aus der ein paar einfache schwarze Grabsteine ragen. Am Grab selbst wurden in Einklang mit alter Xhosa-Tradition Lieder gesungen und Gedichte verlesen, die Mandelas Leben priesen. Auch wurde ein Ochse geschlachtet. Während der ganzen Zeremonie blieb ein Stammesältester direkt neben dem mit einer Löwenhaut bedeckten Sarg stehen, um mit Mandelas Geist zu sprechen. In den Vortagen hatte sein Enkel Mandla, der älteste männliche Nachkomme, den Sarg konstant begleitet, um seinen toten Großvater über den jeweiligen Aufenthaltsort zu informieren. Nur so kann einer Xhosa-Tradition zufolge garantiert werden, dass der Geist des Verstorbenen auch seine letzte Ruhe findet.

Für das südafrikanische Militär, das die gesamte Trauerwoche organisiert hatte, war die Beerdigung in dem 2000-Seelen-Ort im Herzen der bitterarmen Provinz Ostkap ein logistischer Albtraum gewesen. Seit Mandela hier in den 1920er Jahren eine glückliche Kindheit verbrachte, hat sich hier nur wenig verändert, auch wenn viele Hütten inzwischen Strom haben. Ansonsten ist Qunu noch immer ein „richtiges Dorf im Busch“, wie Collins Chabane, Planungschef von Südafrikas Präsident Jacob Zuma, es am Wochenende etwas pietätlos ausdrückte. Die Regierung hatte deshalb auch vielen der Prominenten, die vergangene Woche zur offiziellen Trauerfeier nach Johannesburg gekommen waren, ausdrücklich abgeraten, am Sonntag hierhin weiterzureisen.

Hätte die Regierung dies nicht getan und Qunu auch nicht so hermetisch abgeriegelt, wären wohl Zehntausende gekommen, um Mandela die letzte Ehre zu erweisen. Vielleicht waren die Sicherheitsmaßnahmen aber auch deshalb so scharf, weil die Regierung die angereisten Journalisten davon abhalten wollte, sich die Gegend genauer anzuschauen. Zwar wurde auf dem Flughafen von Mthatha im Juli eine Startbahn eingeweiht und auch die Nationalstraße 2 mit ein paar Brücken und futuristisch anmutenden Ausfahrten modernisiert. Ansonsten haben die bitterarme Region und ihre Menschen jedoch bislang kaum von der ANC-Herrschaft profitiert: Wie so viele andere Plätze im Ostkap ist auch Mandelas Heimat eine Stätte der verpassten Gelegenheiten. Vieles wirkt heruntergekommen und marode. Immerhin wurden letzte Woche in großer Eile viele Schlaglöcher gefüllt.

Wie lang und wie unwahrscheinlich Mandelas Weg zur Freiheit war, kann man besonders gut bei einem Blick auf seine Kindheit und Herkunft ermessen; Während sein Vater zeitlebens den alten Bräuchen der lokalen Tembu folgte und mit vier Frauen 14 Kinder hatte, trat seine Mutter Noqaphi Nosekeni früh zum christlichen Glauben über. Mandela war neun, als sein Vater an einer Lungenkrankheit starb und Häuptling Jongintaba, sein Onkel, ihn von der Missionsschule in Qunu an den nahe gelegenen Königssitz der Tembu holte, der allerdings wenig mehr als eine Ansammlung von Lehmhütten war. Es folgten prägende Jahre für den jungen Mann: „Seine bedächtige Redeweise, seine tadellosen Manieren, vor allem sein stets gemessenes, würdevolles Auftreten haben ihren Ursprung in der adligen Herkunft – und sind Ausdruck einer angeborenen Autorität, um die Mandela wusste, und die ihm später über die langen, einsamen Jahre der Gefangenschaft hinweghalfen“, schreibt Biograf Tom Lodge.

Auch sein späterer Führungsstil hat seine Wurzeln am Königshof: Auf den Zusammenkünften der Tembu lernte Mandela, dass ein Führer Entscheidungen nicht einfach fällt, sondern formt: Häufig dauerten die Sitzungen den ganzen Tag und wurden erst beendet, wenn jeder gesprochen hatte. Am Ende schmiedet Jongintaba aus dem Gesagten einen Konsens, der dann aber wie in Stein gemeißelt ist.

Ein Held oder gar ein Heiliger, zu dem ihn so viele auch jetzt wieder erhoben haben, wollte Mandela nie sein. „Mandelas Größe lag in seiner Gabe, die Menschen zu überzeugen, dass sein Weg der Versöhnung der einzig gangbare ist, wenn Südafrika überleben will“, schreibt Tom Lodge. Schon deshalb wird sein Vorbild noch lange weiterleuchten.

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