Orkan: "Kyrill" fegt über Deutschland
Einer der stärksten Stürme seit 20 Jahren tobt über Deutschland: Der Orkan "Kyrill" erreichte Geschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern. Der Bahnverkehr wurde bundesweit eingestellt.
Berlin - Das Orkantief "Kyrill" hat in Deutschland und Westeuropa schwere Schäden angerichtet und mehr als ein Dutzend Menschen getötet. In Baden-Württemberg und Bayern starben drei Menschen, zehn weitere Menschen kamen bis zum frühen Abend in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden ums Leben. Wegen Sturmschäden stellte die Deutsche Bahn am Abend den Zugverkehr landesweit weitgehend ein. Bundesweit kam es zu zahlreichen Flugausfällen, Ausfällen im Bahnverkehr sowie Straßensperrungen. Vor der englischen Küste schlug ein Containerschiff mit "teils gefährlicher Ladung" Leck; die Crew konnte gerettet werden.
"Kyrill" hatte Deutschland mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 180 Kilometern erreicht. Bei Kirrlach in Nordbaden prallte am Nachmittag ein Auto auf einen vom Sturm entwurzelten Baum, ein Mensch kam ums Leben, ein zweiter Insasse überlebte nach Angaben des Stuttgarter Innenministeriums schwer verletzt. Im bayerischen Milbertshofen wurde ein anderthalbjähriges Kind von einer aus den Angeln gerissenen Terrassentür erschlagen. In Gersthofen im Landkreis Augsburg wurde ein 73-jähriger durch ein vom Sturm erfasstes Scheunentor getötet.
Bahnverkehr weitgehend eingestellt
Nach Angaben der Deutschen Bahn AG spitzte sich die Situation am frühen Abend so stark zu, dass der überregionale Zugverkehr größtenteils habe eingestellt werden müssen. Zunächst hatte sich das Unternehmen nur für West- und Norddeutschland zu diesem Schritt entschlossen. Begründet wurde dieser Beschluss mit der Sicherheit der Fahrgäste, die an erster Stelle stehe. Vom S-Bahnverkehr hieß es dagegen, er solle soweit wie möglich aufrechterhalten werden.
Noch verkehrende Züge würden gezielt Bahnhöfe anfahren, so dass die Fahrgäste die Züge verlassen könnten. Weiter hieß es, nach "individueller Prüfung fahren einzelne Züge nach Möglichkeit weiter". Ansonsten verblieben die Züge an den jeweiligen Bahnhöfen.
Ausnahmezustand in Berlin ausgerufen
Auch der Straßenverkehr wurde merklich beeinträchtigt. Bundesweit kam es zahlreiche Straßensperrungen wegen umgestürzter Bäume und Überschwemmungen. In Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern mussten Polizei und Feuerwehr ab Mittag zu hunderten Einsätzen ausdrücken. In Berlin rief die Feuerwehr den Ausnahmezustand aus. Nach Angaben eines Sprechers können dadurch bis zu 3500 Feuerwehrleute, einschließlich der Freiwilligen, mobilisiert werden. Doch habe es dies noch nie gegeben, sagte er. Auf den Flughäfen mussten zahlreiche Starts und Landungen verschoben oder gestrichen werden. Allein 112 waren es am größten deutschen Airport in Frankfurt am Main bis zum späten Nachmittag.
Dramatische Bergungsaktion im Ärmelkanal
In Großbritannien kamen mindestens fünf Menschen ums Leben. Unter ihnen war auch der Leiter des Flughafens von Birmingham, dessen Wagen auf dem Weg zur Arbeit von einem herabstürzendem Ast getroffen wurde. In einer dramatischen Bergungsaktion wurden am Nachmittag 26 Besatzungsmitglieder eines im Ärmelkanal in Seenot geratenen Containerschiffes gerettet. Die in Rettungsbooten dahintreibenden Männer wurden mit Seilwinden in Hubschrauber gehievt, wie die Schifffahrtsbehörde im französischen Brest mitteilte. Die Besatzung hatte die 275 Meter lange "MS Napoli" Stunden zuvor aufgeben müssen, nachdem durch ein Leck der Maschinenraum überflutet worden war. Das Schiff trieb am Nachmittag mit schwerer Schlagseite steuerlos in der aufgewühlten See. An Bord waren 2394 Container, von denen einige "gefährliche Materialien" enthalten.
In den Niederlanden starben bis zum Abend drei Menschen. In Amsterdam musste der Bahnhof evakuiert werden, nachdem "Kyrill" einen Teil des Glasdaches abgerissen hatte. In Norden Frankreichs wurden zwei Menschen getötet. Eine heruntergerissene Oberleitung brachte dort den Verkehr mit dem Eurostar-Hochgeschwindigkeitszug nach Großbritannien zum Erliegen. Sturmwarnungen galten für Freitag auch für Polen, Russland, Österreich, Tschechien und Ungarn. (tso/AFP/ddp)