Energiewende: Künstliche Insel soll Windenergie für Nordsee-Anrainer liefern
Die seichte Doggerbank inmitten der Nordsse wäre ein idealer Standort für eine Insel zur Windenergie-Erzeugung. Doch Naturschützer schlagen Alarm.
Wo heute die Nordsee wogt, konnten eiszeitliche Jäger und Sammler noch trockenen Fußes von England nach Dänemark laufen. Doggerland nannte man das Gebiet später. Als vor rund 12000 Jahren die letzte Eiszeit endete, stieg der Meeresspiegel. Das machte auch die unterseeischen Hänge der norwegische Küste instabil. Riesige Landmassen rauschten ins Meer. Der darauf folgende Tsunami war das Ende von Doggerland.
Noch immer ist die Nordsee hier ziemlich seicht. Stellenweise nur 15 Meter unter dem Meeresspiegel liegt die vom Doggerland übrig gebliebene Doggerbank – ein idealer Standort für Windräder. Denn ihre Fundamente können hier theoretisch mit vergleichsweise wenig Aufwand gesetzt werden und der gleichmäßig wehende Wind garantiert einen sehr guten Ertrag.
So weit draußen vor der Küste wäre der Betrieb allerdings teuer. Windräder erzeugen beim Drehen der Flügel – na klar – Drehstrom. Der muss in Gleichstrom umgewandelt werden, damit beim Transport nicht zu viel Energie verloren geht. Dafür braucht es Konverter, die so groß wie Bohrinseln sind. Auch sie müssen aufwendig gegründet werden.
Geplante Leitung entspräche etwa 75 Atomkraftwerken
Praktisch wäre deshalb eine künstliche Insel, auf der die Konverter und die Unterkünfte der Wartungsmannschaften für die Windräder und gleich noch ein Hafen und eine Flugzeuglandebahn Platz hätten. So eine Insel wollen der niederländisch-deutsche Stromnetzbetreiber Tennet und die dänischen Firma Energienet auf der Doggerbank bauen. Nachdem sie kürzlich eine Vereinbarung dafür unterzeichnet haben, prüfen sie nun die Machbarkeit.
Bis 2050 könnten über das Windenergie-Verteilkreuz bis zu 100 Millionen Menschen in den Anrainerstaaten der Nordsee mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Wie in einem Spinnennetz mit der Insel in der Mitte würden die Kabel nach Großbritannien, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Dänemark und Norwegen verlaufen. Windparks mit einer Leistung von 100 Gigawatt könnten an die Insel angebunden werden. Das entspricht in etwa 75 Atomkraftwerken. Baubeginn wäre in der 2030er Jahren.
„Das Projekt zeigt das Potenzial von Offshore-Windenergie“, sagt Andreas Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie. Zuletzt seien die Kosten für Windenergie auf See stark gesunken. „Dadurch ist die Technologie wettbewerbsfähig geworden.“
Zu den Kosten will sich Tennet nicht äußern
Noch ist die künstliche Insel aber nur eine Zukunftsvision, stellt Tennet-Sprecher Mathias Fischer klar. Zu den Kosten will er sich nicht äußern. Er deutet aber an, dass Anreize auch durch eine öffentliche Förderung geschaffen werden könnten. Weitere Partner in dem Projekt seien jedenfalls willkommen. Alle, die Kritik äußern wollen, lädt Fischer ein, zu dem Projekt Stellung zu nehmen.
„Die Idee ist charmant“, gibt der Energieexperte Tobias Austrup von Greenpeace zu. Offshore-Windenergie sei grundsätzlich eine gute Möglichkeit, die Stromversorgung zu sichern. Die Doggerbank sei aber schon seit zwölf Jahren ein Fauna-Flora-Habitat-Gebiet nach EU-Recht mit hohem Schutzstatus. „Die Umsetzung der Pläne ist deshalb aus unserer Sicht ausgeschlossen“, sagt Austrup.
"Ökologisch ist das blanker Irsinn"
„Ökologisch ist so eine Vision blanker Irrsinn“, nennt es der Meeresbiologie Kim Detloff von der Naturschutzorganisation Nabu. „Die Doggerbank ist einer der wertvollsten Lebensräume der Nordsee“, sagt er. Geschützte Arten wie der Schweinswal, aber auch der ganze Lebensraum mit seinen wichtigen ökologischen Funktion würden durch das Projekt massiv geschädigt.
Gerade ist Deutschland dabei, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie endlich in deutsches Recht umzusetzen. Noch vor der Bundestagswahl soll das Gesetz beschlossen werden. Dann wäre der kleine Zipfel der Doggerbank, der zum deutschen Meeresgebiet gehört, für Projekte wie die künstliche Insel tabu. Weitere Teile gehören zu den Niederlanden und Dänemark, das größte und flachste Stück zu Großbritannien.
Briten haben Schweinswal nicht unter Schutz gestellt
Die Briten haben sich eine Hintertür bei der Umsetzung der Richtlinie offengelassen und den Schweinswal nicht mit unter Schutz gestellt, berichtet Nabu-Biologe Detloff. Das sei schon mit Blick auf die Nutzung der Doggerbank für Windparks geschehen. Er findet, dass der Naturschutz nicht der Energiepolitik geopfert werden sollte: „Das ist falsch und nicht im Sinne grüner Energien.“
Ähnlich sieht es Marcel Keiffenheim vom Ökostromanbieter Greenpeace Energy: „Wir machen die Energiewende ja, um die Ökosysteme zu schützen. Wenn das Projekt bedeutende Nachteile hat, kann man es auch nicht machen.“ Beim Ausbau der erneuerbaren Energien wird die Abwägung des Für und Wider zum Naturschutz schwierig bleiben.