US-Bier: Kultgebräu aus dem "Terroir"
Auf dem amerikanischen Biermarkt entwickeln sich schmackhafte Nischenprodukte jenseits von Bud und Coors. Clay Risen findet deshalb, die Deutschen sollten dem amerikanischen Bier eine zweite Chance geben. Der Autor arbeitet für „Democracy: A Journal of Ideas“ und ist derzeit Arthur-F.-Burns-Stipendiat beim Tagesspiegel.
Spülwasser. Pisse. Ein Witz. Es gibt in Deutschland viele Vorurteile gegenüber amerikanischem Bier. Und diese Stereotype sind nicht unberechtigt: Budweiser, Miller, Coors – die USA stellen viele berühmte, schreckliche Biere her.
Aber der Markt wandelt sich: Seit den späten achtziger Jahren findet man immer mehr kleine, fantastische amerikanische Brauereien. Die aus Delaware kommende Dogfish Head Brauerei ist bekannt für ihre so genannten „Extrembiere“, mit Rosinen gebrautes Bier oder über Winter in Eichenfässern gelagertes Bier. Und der Schneider-Weisse-Meisterbrauer Hans-Peter Drexler braut ein eigenes Bier in einer kleinen Brauerei in Brooklyn.
Diese „Mikro-Brauereien“ oder „Brauerei-Manufakturen“ haben nur einen Marktanteil von ungefähr fünf Prozent, aber trotzdem einen großen Einfluss. Als Antwort auf die Herausforderer machen die großen Firmen immer besseres Bier—Coors stellt nun Blue Moon her, ein Weißbier, und Anheuser-Busch hat Stone Mill auf den Markt gebracht, ein Bio Pale Ale. Andererseits ist aus deutscher Perspektive Amerikas Biermarkt immer noch langweilig. Es ist schon wahr, Deutschland produziert Schneider, Weihenstephaner, Andechs, und Schlenkerla. Aber wie häufig werden diese Biere hierzulande getrunken? Becks, Sternburg, Flensburg und andere sind die meistkonsumierten Biermarken in Deutschland, und die sind kaum besser als Coors oder Miller.
Es ist nicht verwunderlich, dass deutsche Brauereien laut Destatis im ersten Halbjahr 2009 2,3 Millionen Hektoliter (4,5 Prozent) weniger als im Vergleichshalbjahr 2008 verkauften. Das ist der größte Konsumrückgang in der Geschichte der Statistik. Langweilt die Deutschen ihr eigenes Bier? Jedenfalls ist es an der Zeit, dass Deutschland amerikanischen Bieren noch eine Chance gibt. Dafür gibt es fünf Gründe:
1. Qualität. Seit vielen Jahren war der Preis allein der wichtigste Faktor am amerikanischen Biermarkt. Heute aber gibt es eigentlich zwei Biermärkte: einen, auf dem der Preis die Kaufentscheidung bestimmt und einen anderen, auf dem die Qualität zählt. Dieser zweite Markt ist kleiner, aber vielfältiger und abenteuerlicher; die Leute trinken Dogfish Head und andere Biere als Luxus-Symbol. Auf diesem Markt konkurrieren die besten Brauereien um Qualität statt um Preise. Es ist normal, einen 10-Dollar-Bier, das mit den feinsten Zutaten gemacht ist, in einem Lebensmittelgeschäft zu finden. Wie viele deutsche Biere kosten mehr als 1,50 Euro?
2. Auswahl. Dieser Markt verspricht nicht nur Qualität, sondern auch Auswahl. Vor 20 Jahren gab es nichts als wässeriges Pilsener. Heute führt jeder kleine Nachbarschaftsladen ein Bieruniversum: Gerstenwein, indisches helles Ale, Cremeporter, belgisches Tripelbier, Fruchtbier, kaiserliches Stout und viele andere. Die Bierwelt kennt inzwischen mehr als nur Hell und Dunkel.
3. Innovation. Deutsches Bier wird für seine Tradition geschätzt. Die Brauereien haben das Lager, das Hefeweiße, und das Helle ausgereift. Aber wie oft findet man neue Sorten? Im Gegensatz dazu entwickeln sich in Amerika jedes Jahr neue Trends, Experimente, und Modemaschen. Der aktuelle Trend heißt immer mehr Hopfen, aber auch belgische Biere – Tripel, Saison, usw. – werden geschätzt. Diese allerdings haben einen sehr hohen Alkoholgehalt und als Antwort darauf gibt es immer mehr nuancenreiche Sorten, besonders aus Pennsylvania. Da findet man die Stoudts-Brauerei, die sich auf deutsche Biersorten spezialisiert – sie braut Kölsch, Maibock, Helles, Pils, Doppelbock, und Hefeweizen. Solche Innovationen machen die amerikanische Bierszene spannend, lustig und überraschend. Dabei ist es auch wichtig, den Einfluss des hausgemachten Biers festzuhalten. Selbstgebrautes Bier ist beliebt in Amerika, und viele Mikro-Brauereien waren einmal Hobbys. Die Hausbrauereien sind die riesige Werkstatt der amerikanischen Bierwelt.
4. Geographie/Landschaft. Amerika ist ein großes Land, mit vielen Klimazonen und „Terroirs.“ Bier aus dem amerikanischen Mittleren Westen enthält mehr Malz, weil dort mehr Gerste produziert wird. Das Bier aus Kalifornien, Oregon, und Washington State wiederum enthält mehr Hopfen. Das Wasser in Oregon schmeckt anders als das Wasser in Florida, demnach schmecken auch die Biere unterschiedlich. Des Weiteren wird in den verschiedenen Regionen das Bier mit verschiedenen Zusatzstoffen versetzt: Vermont produziert Ahornsirup, und es ist nicht überraschend, dass die Three Needs Brauerei in Burlington ein Bier mit Sirup macht.
5. Offenheit/Neugier. Im Unterschied zu England oder Deutschland hat Amerika keine eigene Biertradition. Was ist amerikanisches Bier? Es ist alles und nichts. Englisches Ale und tschechisches Pils sind gleichermaßen akzeptiert. Amerikaner importieren ihren Style, demnach ist Bier kein nationales Symbol, kein Teil des kulinarischen Patriotismus. Nie würde man in Deutschland eine Brauerei finden, die belgisches Bier macht: Die deutsche Bierkultur ist zu stolz auf sich selbst. Im Gegensatz dazu ist Internationalismus in Amerika das Ideal.
Die amerikanische Bierkultur ist nicht besser als die deutsche, sie ist einfach unterschiedlich. Aber auch, dass die deutsche Bierkultur besser ist, kann man nicht mehr sagen. Amerikaner schätzen echtes deutsches Bier. Es ist höchste Zeit, dass Deutschen das Gleiche tun.