Antarktis: Kolosse am Ende der Welt
In der Antarktis bricht eine riesige Eismasse ab. Forscher der britischen Polarstation Halley VI müssen umziehen. Das sieht aus wie in einem Star-Wars-Film.
Es ist Hochsommer in der Antarktis, aber so wie die Sonne mit jedem Kalendertag etwas Richtung Horizont sinkt, kommt für die Besatzung der britischen Antarktisstation Halley VI der Tag, an dem sie das ewige Eis verlassen. Denn in sechs Wochen beginnt der Winter und es legt sich für ein halbes Jahr Nacht über das Brunt-Schelfeis.
Jedes Jahr verlassen die meisten Forscher und Techniker die Station. Eigentlich sollte auch dieses Jahr eine Rumpfbesatzung von 16 Leuten den Winter über dort bleiben. Doch diesen März räumt die britische Polarforschungsgesellschaft British Antarctic Survey (BAS) die Station komplett. Der Grund: Das ewige Eis hat sich an dieser Stelle als vergänglicher entpuppt als angenommen. Große Risse haben die Verantwortlichen in Cambridge zu diesem Schritt veranlasst.
Das Schelfeis ist der Ausläufer eines Gletschers auf dem Antarktis-Festland, der wie eine Zunge etwa 40 Kilometer auf die Wedell-See hinausragt und auf dem Meer schwimmt. Ziemlich mittig auf diesem 150 Meter dicken Eispanzer stehen sieben riesige blaue futuristisch anmutende Aggregate und ein rotes Exemplar in einer Reihe, wie plumpe blecherne Käfer auf vier bis sechs Beinen.
Beobachter wähnen sich fast in einem „Star Wars“-Film. Röhren verbinden die Riesenteile miteinander. In diesen Modulen sind Labors und Quartiere der Forscher untergebracht. Die Wissenschaftler beobachten die Atmosphäre, messen den Sonnenwind und Extremereignisse im Weltraumwetter, untersuchen den Klimawandel. Zum Teil erheben sie die Daten schon seit Jahrzehnten. Lücken in diesen Messreihen würden ihre Aussagekraft schmälern. Die Station ist wichtiger Bestandteil der Global Atmosphere Watch, eines weltweiten Beobachtungsnetzes zur Atmosphärenforschung.
Jedes Jahr wächst der Gletscher um etwa 400 Meter nach Westen. Immer wieder brechen vom äußersten Rand riesige Eis-Tafelberge ab. Auch Spalten und Risse sind nichts Ungewöhnliches. Die Gletscherforscher des BAS beobachten sie per Satellit. Auf diese Weise haben sie bemerkt, dass sich zwei Spalte im Eis, die zuvor 35 Jahre lang ruhig geblieben waren, im Jahr 2012 zu vergrößern begannen. Daraufhin beschlossen sie, die Station 23 Kilometer weit nach Osten zu versetzen. „Die Station ist so gebaut, dass sie in genau so einem Fall landeinwärts bewegt werden kann“, sagt Tim Stockings, der beim BAS für Halley VI verantwortlich ist. Bereits im Sommer 2015/16 hatte der Umzug begonnen und wird im kommenden März abgeschlossen sein. Für den Transport kuppeln die Forscher die Metallkäfer auseinander. Unter ihren Beinen sind riesige Ski montiert. Die Module werden abgesenkt, dann ziehen sie sie mit Traktoren, Pistenbullis und Bulldozer über das Eis.
Riss im Eis
Im Oktober aber entstand im Norden der Station ein inzwischen 44 Kilometer langer Riss im Brunt-Schelfeis. Wie ein blauer Blitz zieht er sich durch die unberührte Schneelandschaft. Die Glaziologen überwachen seine Bewegung mithilfe von GPS-Geräten, die auf Stativen entlang dem Riss aufgestellt sind. Außerdem haben sie den eisigen Untergrund mittels Bodenradar abgetastet und die Veränderungen mit Kameradrohnen gefilmt. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Riss sich völlig unvorhersehbar verhält.
Ob der Klimawandel dafür sorge, dass solche Risse häufiger entstehen oder schneller wachsen, sei bislang noch schwer zu sagen, erklärte das BAS. Dennoch: „Solche Veränderungen haben wir bislang noch nie gesehen“, schreiben die Verantwortlichen in ihrer Pressemitteilung. Professor Jane Francis, die Direktorin des BAS, hat deshalb entschieden, kein Risiko einzugehen: Alle 88 Forscher sollen die Station den antarktischen Winter über räumen.
Rückschlag für die Forschung
„Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagte man bei der BAS auf Nachfrage. Die Gletscherforscher betrachten den künftigen Standort der Station auch weiterhin als sicher. Und im Winter ist es eigentlich auch weniger wahrscheinlich, dass das Schelfeis abbricht und Probleme verursacht. Doch wenn es Schwierigkeiten gäbe, wären die Menschen in der Station kaum zu erreichen. Im Sommer ist eine Evakuierung im Notfall schnell und unproblematisch möglich. Jetzt können Flugzeuge von der BAS-Forschungsstation in Rothera auf der Adelaide-Insel aus zu Halley VI hinausfliegen oder Schiffe bis auf 40 Kilometer an die Station herankommen, um die Menschen in Sicherheit zu bringen. Im antarktischen Winter aber, wenn es rund um die Uhr dunkel ist, die Temperaturen extrem fallen und das Meer am Rand des Schelfeises zufriert, ist das fast unmöglich.
Die unfreiwillige Winterpause ist ein Rückschlag für die Forschung in der Antarktis. Um die Messreihen nicht zu unterbrechen, versucht das BAS, die Datenerhebung so weit wie möglich zu automatisieren oder auf benachbarte Stationen zu verlagern. Grundsätzlich gehen die Forscher aber davon aus, dass die Station den Winter unbeschadet übersteht. Ende Februar verlassen sie Halley VI. Dann geht die Sonne über dem Brunt-Schelfeis für ein halbes Jahr unter.
Joachim Budde
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