Alice Schwarzer und ihr "Appell gegen Prostitution": Kann Sexarbeit freiwillig sein?
"Sexarbeit", die Arbeit als Hure, ist nie freiwillig, meint Alice Schwarzer. Sie will Prostitution einfach verbieten, die Freier könnten dann sogar bestraft werden. Hurenvereinigungen wehren sich dagegen, die Frauen zu kriminalisieren helfe ihnen nicht. Auffällig ist bei der Debatte aber vor allem, dass sie genau jetzt geführt wird.
Der „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer, der von zahlreichen Prominenten unterstützt wird, ist auf entschiedene Ablehnung von Betroffenenverbänden gestoßen. „Eine Kriminalisierung der Prostitution führt nicht zu weniger Sexarbeit, sondern zu mehr Kriminalität“, sagt Undine de Rivière, die Sprecherin des „Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen“. Wenn Prostitution kriminalisiert werde, würde das den Zuhältern in die Hände spielen, auf die die Frauen dann angewiesen wären.
Den Berufsverband gibt es erst seit einem Jahr. „Er ist eine Antwort auf die reaktionäre Welle, die seit geraumer Zeit bei diesem Thema über Deutschland schwappt“, sagt Undine de Rivière. Sie arbeitet in Hamburg als Prostituierte. Die Behauptung von Alice Schwarzer, dass keine Frau freiwillig Prostituierte sei, empört sie. Sie selber habe sich selbstbewusst dafür entschieden, weil sie das wollte, sagte sie. Das gelte für alle Frauen in ihrem Beruf, die sie kenne.
Ihre Kollegin ist noch erboster. „Alice Schwarzer spricht uns das geistige Vermögen ab, dass wir selbst entscheiden, was wir tun“, sagt Johanna Weber, die zwei Tage in der Woche in Berlin und zwei Tage in Hamburg als Prostituierte arbeitet. „In meinem alten Marketingjob habe ich mich mehr als Sklavin gefühlt als heute als Sexarbeiterin.“
Der "Appell gegen Prostitution" kommt zeitlich vor Alice Schwarzers Buch über Prostitution, das nächste Woche erscheint
Chantal Louis, Redakteurin von „Emma“, sagt, dass es auch freiwillige Prostituierte gebe. Sie sieht allerdings die Freiwilligkeit als problematisch an, weil er in der Konsequenz zur Selbstzerstörung führe. Bei dem „Appell gegen Prostitution“ gehe es einerseits darum, eine grundsätzliche Debatte über Prostitution zu führen, und andererseits, die Gesetze dahingehend zu ändern, dass die Nachfrage ausgetrocknet werde. Das bedeute eine Bestrafung der Freier nach schwedischem Vorbild. Diesen drohten Geldstrafen, in schweren Fällen Haft.
Entscheidend sei, dass nicht die Frauen kriminalisiert würden. Das bedeute, dass Frauen ohne Aufenthaltsrecht ein Bleiberecht bekommen. Das Argument der Prostituiertenvereinigungen, wonach eine Kriminalisierung die Lage der Frauen verschlechtere, sei falsch, weil viele Frauen auch jetzt in kriminellen Strukturen arbeiteten.
Hydra: Eingriff in die persönliche Freiheit von Frauen und Männern
Eine Sprecherin der Hurenvereinigung Hydra sagt dagegen, dass hier Dinge vermengt würden. Alles, was nicht freiwillig sei, sei auch jetzt verboten. Ein generelles Verbot der Prostitution sei insofern ausschließlich ein Verbot der freiwilligen Prostitution. Das sei ein Eingriff in die persönliche Freiheit der Frauen wie der Männer.
Einen großen Unterschied zwischen den Autorinnen des Appells und den Prostituiertenvereinigungen gibt es in der Frage, wie viele Frauen freiwillig arbeiten. Es sei die Mehrheit, sagen Hydra und Berufsverband, es sei eine Minderheit, sagt dagegen „Emma“-Redakteurin Chantal Louis.
Wissenschaftlerin warnt vor einfachen Antworten
„Wenn man genauer hinschaut, ist alles viel differenzierter, es gibt viele Motive“, sagt die Berliner Sozialwissenschaftlerin Elfriede Steffan, die sich seit 20 Jahren mit dem Thema befasst und im letzten Jahr eine Studie zum Straßenstrich in Köln veröffentlichte, für die sie zusammen mit einer bulgarischen Kollegin 60 Prostituierte interviewt hat. Die Motive, für eine Phase des Lebens als Prostituierte zu arbeiten, seien sehr unterschiedlich. „Selbst wenn eine wirtschaftliche Notsituation das Motiv ist, ist das eine eigene Entscheidung.“ Steffan warnt vor einfachen Antworten, die die Handlungsfähigkeit von Menschen missachten.
Ein schwieriger Spagat für die „Appell“-Verfasserinnen sind die Forderungen nach Gesetzesänderungen. Einerseits fordern sie eine Erlaubnispflicht für Bordelle, um kriminelle Betreiber zu verhindern, andererseits setzen diese und andere konkrete Forderungen ein falsches Signal, weil sie Prostitution grundsätzlich abschaffen wollen. Sie wollen einerseits pragmatische Verbesserungen und andererseits eine grundsätzliche Veränderung.
Das Gesetz von 2002 sollte Sexarbeit sicher gestalten
Möglichkeiten zur Professionalisierung der „Sexarbeit“, Transparenz und soziale Sicherung möglichst vieler der rund 400 000 Personen, die in diesem Bereich arbeiten, das ist ein anderer Weg, wie er im Gesetz von 2002 beschritten wurde. Eine Arbeitsgruppe der Evangelischen Fachhochschule Freiburg, die vor einigen Jahren schon im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren und Frauen eine Studie zu den Auswirkungen dieses unter Rot-Grün verabschiedeten Gesetzes machte, widmet sich nun den Erfolgsaussichten einer weiteren wichtigen Strategie: „Unterstützung des Ausstieges aus der Prostitution“ heißt das Modellprojekt, das in Berlin, Freiburg und Nürnberg läuft und das die Sozialwissenschaftlerin Cornelia Helfferich und ihre Mitarbeiter noch bis 2015 wissenschaftlich begleiten wollen. Ein Angebot statt eines Verbots.
In Frankreich, wo nach schwedischem Vorbild Geldstrafen für Freier geplant sind, wehren sich jetzt die Männer. Prominente um den französischen Erfolgsautor Frédéric Beigbeder machen mit einer Petition mobil. Die Unterzeichner erklären, einige von ihnen seien „zu Huren gegangen, gehen oder werden zu ihnen gehen“. „Das heißt nicht, dass wir Frustrierte, Perverse oder Psychopathen sind, wie es die Anhänger einer als feministischer Kampf verkleideten Unterdrückung behaupten.“ Sie würden niemals mit einer Frau gegen deren Willen Sex haben. Die Petition fordert unter anderem: „Fass’ meine Hure nicht an“.
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