Kinderbraut in der Türkei: Kader Erten - mit elf verheiratet, mit 14 tot
Das Schicksal der Kinderbraut Kader Erten wühlt die türkische Öffentlichkeit auf. Ihre Hochzeit im Alter von elf Jahren, bei der ein Imam seinen Segen gegeben hatte, war illegal. Unklar ist, wer sie jetzt erschossen hat.
In ihrem kurzen Leben hat Kader Erten viel Leid erfahren. Als fünftes von acht Kindern einer Familie im armen Südosten der Türkei aufgewachsen, wurde das Mädchen, dessen Vorname „Schicksal“ bedeutet, im Alter von elf Jahren von ihrer Familie einem jungen Mann zur Frau gegeben. Es war eine Art Tauschgeschäft: Kaders Familie erhielt von der Sippe des Bräutigams eine Braut für einen älteren Bruder des Mädchens. Solche Vereinbarungen sind gang und gäbe in Südostanatolien. Der Wille der Brautleute oder die Gesetze, die Eheschließungen unter 16 Jahren verbieten, können solche Fälle nicht verhindern.
Ihr Mann sagt, es sei ein Unfall beim Waffenreinigen gewesen
Also heiratete Kader vor drei Jahren den damals 17-jährigen Mehmet Atak. Die Vermählung bestand in einer – offiziell illegalen – „Imam-Ehe“, einer religiösen Segnung durch einen islamischen Geistlichen. (Einen Bericht über die Lage der Frauen in islamischen Ländern lesen Sie hier)
Fünf Jahre Grundschule waren alles, was Kader an Bildung hatte, als sie ins Dorf ihres inoffiziellen Ehemannes zog. Die beiden jungen Leute hätten sich wirklich ineinander verliebt, beteuern die Verwandten heute. Da habe man nicht im Weg stehen wollen.
Niemand kann die kleine Kader fragen, ob das stimmt. Zwei Jahre nach ihrer Hochzeit war sie bereits zweifache Mutter, doch ihr jüngstes Kind starb. Jetzt wurde Kader tot aufgefunden – erschossen mit der Jagdflinte ihres Ehemannes, der derzeit seinen Wehrdienst ableistet. Sie wurde von 14 Schrotkugeln getroffen. Selbstmord aus Depression, sagen die Schwiegereltern. Kader habe den Tod ihres Kindes nicht verwunden. Ein Unfall beim Waffenreinigen, sagt ihr Mann. Oder war es Mord? Einigen Berichten zufolge kam Kader mit der Familie ihres Mannes nicht zurecht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Auf 180 000 schätzte eine wissenschaftliche Untersuchung die Zahl der minderjährigen „Kinderbräute“ im Land. Nach einer anderen Studie können drei von vier nicht lesen oder schreiben, jede dritte sieht ihren Bräutigam bei der „Hochzeit“ zum ersten Mal.
Von Kader Erten gibt es nur ein Foto
Oft genug leiden die Mädchen im Verborgenen: Von Kader gibt es nur ein einziges Foto. Es wurde aufgenommen, als das Mädchen wegen der Frühgeburt ihres zweiten Kindes ins Krankenhaus musste und die Ärzte misstrauisch wurden. Die Familie sagt, Kader sei 16 gewesen, nicht 14. Selbst in diesem Fall wäre Kaders Verheiratung illegal gewesen. Das gesetzliche Mindestalter für Eheschließungen in der Türkei liegt bei 17 Jahren. Nur in Ausnahmefällen darf ein Richter eine Hochzeit mit 16 erlauben. „Imam-Ehen“ mit Minderjährigen gelten als Kindesmissbrauch und Freiheitsberaubung. Doch die Androhung von Haftstrafen von bis zu 30 Jahren zeigt kaum Wirkung.
Das kurze Leben der „Kinderbraut“ Kader wühlt die Türkei auf und setzt die Regierung von Ministerpräsident Erdogan unter Druck. Die Opposition will in parlamentarischen Anfragen wissen, wie es sein kann, dass ein moderner Staat das Unwesen der Kinderhochzeiten nicht in den Griff bekommt. Auch das staatliche Religionsamt ist in der Defensive. Wenn es keine Imame gäbe, die „Imam-Ehen“ schlössen, hätte sich das Unwesen der Kinderhochzeiten bald erledigt, kommentierte die Zeitung „Hürriyet“.