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„Den Prozess gewonnen“: Die japanische Journalistin Shiori Ito nach ihrem Sieg vor Gericht
© AFP/Charly Triballeau

#MeToo in Japan: Journalistin Ito bekommt Entschädigung für Vergewaltigung

Shiori Ito verklagt ihren Vergewaltiger und bricht damit ein Tabu in Japan. Jetzt gelingt der Journalistin ein bemerkenswerter Erfolg vor Gericht.

Das Urteil hat in Japan noch Seltenheitswert: Weil sie von einem älteren Kollegen vergewaltigt wurde, hat ein Gericht in Tokio der Journalistin Shiori Ito in einem Zivilprozess eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet etwa 27.000 Euro (3,3 Millionen Yen) zugesprochen. Dies ist allerdings nur ein Bruchteil der Summe, die sie eingeklagt hatte. Ursprünglich hatte sie elf Millionen Yen von dem bekannten Reporter Noriyuki Yamaguchi gefordert, den sie beschuldigt, sich an ihr vergangen zu haben.

Ito ist die erste Frau in Japan, die eine Vergewaltigung öffentlich gemacht hat

Der Fall war der erste in Japan, in dem eine Frau ihren Angreifer derart öffentlich angeklagt hatte. Wie mehrere Medien berichten, werden einer Untersuchung der japanischen Regierung aus dem Jahr 2017 zufolge geschätzt nur vier Prozent der Vergewaltigungsfälle im Land überhaupt angezeigt. Dies liegt auch daran, dass die Hürden für Strafprozesse sehr hoch sind.

Der Hintergrund des Falles: Im Jahr 2015 hatte sich die heute 30-jährige Ito mit dem 23 Jahre älteren bekannten Fernsehreporter zu einem Abendessen getroffen, um über ihre Jobaussichten zu sprechen. Ito sagte aus, ihr sei dann schlecht geworden und sie habe das Bewusstsein verloren. Überwachungsvideos belegen, dass Yamaguchi die junge Frau in ein Hotel brachte. Daraufhin sei sie vergewaltigt worden, sagte Ito aus. Sie habe unter Drogeneinfluss gestanden.

Ito zeigt ihren Vergewaltiger an, doch ein Jahr später, im Juli 2016, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Die Beweislage sei zu dünn, um Yamaguchi vor Gericht zu bringen, lautete die Begründung. Yamaguchi hat in Japan viele hochrangige Politiker interviewt und eine Biografie über Premier Shinzo Abe verfasst. Die Regierung dementierte einen Zusammenhang dieser Verbindungen mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft.

Im Zivilprozess folgte das Gericht Itos Darstellung nun vollumfänglich. Yamaguchi bestreitet die Vorwürfe nach wie vor und hat angekündigt, das Urteil anfechten zu wollen. Allerdings schmetterte das Gericht seine Gegenklage ab: Er hatte 130 Millionen Yen (rund 1,1 Millionen Euro) für angebliche Verleumdung gefordert.

Gericht hält Aussagen des Angeklagten Yamaguchi für nicht glaubwürdig

In der Urteilsbegründung heißt es nach Angaben der Agentur Reuters, dass das Gericht die Glaubwürdigkeit von Itos Aussagen als relativ hoch einschätzte. Das Opfer leide bis heute unter Panikattacken. Gleichzeitig gibt es demnach ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Yamaguchis Aussagen, der angab, der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich gewesen. Das Gericht befand zudem, dass die Entscheidung Itos, an die Öffentlichkeit zu gehen, im öffentlichen Interesse liege und die Privatsphäre von Yamaguchi damit nicht verletzt worden sei.

Der bekannte Reporter Noriyuki Yamaguchi bestreitet die Vorwürfe.
Der bekannte Reporter Noriyuki Yamaguchi bestreitet die Vorwürfe.
© Charly Triballeau/AFP

"Ich bin so glücklich", sagte Ito nach der Urteilsverkündung Reuters zufolge, wobei ihre Stimme mehrfach brach. "Es ist noch nicht vorbei. Jetzt muss ich damit umgehen, wie ich mit meinen Narben lebe." Sie hielt ein Plakat auf dem "Prozess gewonnen" stand in die Kameras.

Als sie auf einer Pressekonferenz gefragt wurde, welche Botschaft sie den Opfern sexueller Gewalt vermitteln möchte, sagte Ito: "Du kannst jederzeit handeln. Das Überleben sollte in erster Linie sein."

Ito prangert auch die Medien in Japan an

Ito hatte auch schwere Vorwürfe gegen die japanische Polizei erhoben. Sie sagte aus, die Polizei habe sie gezwungen, die angebliche Vergewaltigung mit einer lebensgroßen Puppe nachzustellen, während männliche Offiziere zusahen und Fotos machten.

Ito kritisierte nach Angaben der "Neuen Zürcher Zeitung" zudem, dass die japanischen Medien Vergewaltigungen herunterspielten. Wenn sie überhaupt über entsprechende Fälle berichteten, sei häufig die Rede davon, dass die Opfer "hereingelegt" oder "verletzt" worden seien. Ito prangerte an, dass die Medien ihren Teil dazu beitrügen, dass die Gesetze über Vergewaltigung teilweise veraltet seien oder dass es kaum Anlaufstellen für hilfesuchende Opfer gebe.

#MeToo-Bewegung tut sich im konservativen Japan schwer

Als Ito ihren Fall 2017 in Japan öffentlich machte, wurde sie beschimpft und bekam Todesdrohungen. Auch viele Frauen distanzierten sich von ihr: Es gehöre sich nicht, öffentlich über solch beschämende Vorfälle zu sprechen. Der Druck wurde so groß, dass Ito das Land verließ. International bekannt geworden war ihr Fall durch die BBC-Dokumentation "Japan's Secret Shame".

Die #MeToo-Bewegung in Japan entfaltet im konservativen Japan allerdings nicht die Wucht wie andernorts. Immerhin wurde 2017 das japanische Sexualstrafrecht von 1907 reformiert. Die Mindeststrafe für Vergewaltigung wurde von drei auf fünf Jahre erhöht, außerdem werden seit der Reform auch männliche Opfer sexueller Gewalt berücksichtigt. Die Strafverfolgung von Sexualstraftätern wurde angesichts der geringen Zahl von Verurteilungen vereinfacht.

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