Ciao Boss: James Gandolfini, der Darsteller von Tony Soprano, ist tot
James Gandolfini starb am Mittwoch in Rom an einem Herzinfarkt. Die TV-Welt hat damit ihren Paten verloren, den Star der "Sopranos", der ersten famosen HBO-Serie über einen Mafiaboss und seine Familie.
Er war der Mann fürs Grobe. James Gandolfini brachte geschätzte 110 Kilo auf die Waage, besaß ein energisches Kinn, eine kantige Stirn und eine explosive Rechte. Wenn er sie seinem Gegenüber entgegenschmetterte, konnte er sein Gesicht zu einer Maske aus purem Jähzorn zerknautschen. Die Rolle des Bösewichtes war ihm quasi auf den Leib geschrieben. Er gab sie mit der Anmut eines Metzgermeisters in all ihren Varianten: als Drogenhändler, Mädchenschänder, Pornoproduzent. Wenn in Hollywood eine Nebenrolle als Bösewicht zu besetzen war, dann klingelte bei Gandolfinis Agent das Telefon. Vermutlich wäre Gandolfini der Schmalspur-Bösewicht vom Dienst geblieben, wäre nicht eines Tages David Chase unter den Anrufern gewesen.
Sechs Staffeln, 86 Episoden
Der Fernsehproduzent offerierte James Gandolfini die Titelrolle der Mafia-Serie „The Sopranos“, die zum Wendepunkt in der Schauspielkarriere des 1961 in New Jersey geborenen Sohns italo-amerikanischer Eltern wurde: die Rolle des Clan-Oberhaupts Tony Soprano, der mit Frau und zwei Kindern - wo sonst - in New Jersey lebt . Es war Gandolfinis schauspielerischen Talent geschuldet, dass die Serie es nicht nur auf epische 6 Staffeln mit insgesamt 86 Episoden brachte, sondern Maßstäbe des Genres setzte. Erstmals musste Gandolfini nicht nur den Italo-Brutalo mimen. Er zeigte andere Seiten: Familiensinn, Begabung zur Freundschaft, bisweilen sogar Zivilcourage und Gemeinsinn.
Gandolfini konnte beide Extreme, mit derselben Glaubwürdigkeit. Einen Ausflug mit der Tochter nutzte er nebenbei, um einen Verräter eigenhändig zu erdrosseln. Wenn es sein musste, mordet er auch engste Vertraut aus dem Mafia-Clan, um nicht weniger leidenschaftlich um den verlorenen Freund zu weinen. Und wenn - die berühmte Eröffnungssequenz - in in seinem Garten die Entenfamilie ihren Unterschlupf am Pool verlässt, bricht er ebenfalls weinend zusammen. Ein Pate mit regelmäßigen Angst-, Schuld- und Gefühlsattacken, noch dazu einer mit einer dominanten Mutter, gegenüber der sich Tony wehrlos zeigte: Das gab es in der Geschichte des Mafiagenres noch nie, auch nicht bei den Klassikern von Coppola oder Martin Scorsese: Deshalb schickte ihn das Drehbuch denn auch auf die Couch einer Therapeutin.
Diese Grundkonstellation verlieh der Serie Spannung, mehr als die gelegentlichen genretypischen brutalen Mordszenen. Durch die kühle Brille der von Lorraine Bracco gespielten Analytikerin blickte auch das gebildete Publikum auf die Vorstadtgangster, wie Diedrich Diederichsen in seinem jüngst erschienenen Essay über die vielfach preisgekrönte Serie schreibt. Zehn Millionen Zuschauer des privaten Bezahl-Fernsehsenders Home Box Office (HBO) erreichten "Die Sopranos" von 1997 bis 2007. In Deutschland wurde sie vom ZDF und mehreren Privatsendern ausgestrahlt, wenngleich mit weniger Erfolg. Erst wurde die Serie vom besten Sendeplatz am Samstagabend auf den Sonntag verschoben, dann wechselte sie ins Privatfernsehen. Große Erfolge feierten die „Sopranos“ hierzulande allerdings mit den originalsprachlichen DVD-Boxen sowie als Download und Stream im Internet.
Meistererzählung vom Niedergang des Mittelstandes
Gewalt und Gefühl, die dunklen Seiten des amerikanischen Traums, die Untrennbarkeit von Gier und traditionellen family values: Wie andere Qualitätsserien spiegeln die "Sopranos" die amerikanische Gesellschaft. Und wie kaum eine andere hebt die Serie an zur großen Meistererzählung vom Niedergang des Mittelstandes, der Gesichtslosigkeit der Vorstädte und der Brutalisierung der Einwanderergesellschaft. Mit ihrem Sozialrealismus und ihrer Komplexität steht sie dabei in einer Reihe mit den großen amerikanischen und europäischen Gesellschaftsepen, mit Romanen wie den "Buddenbrooks" oder den Werken von Dostojewski. Es sind die "Sopranos", die die These von der Fortsetzung des Romans in der TV-Serie eindrücklich belegen.
James Gandolfini kämpfte als Tony Soprano jedenfalls nicht nur mit konkurrierenden Mafia-Familien oder den Ermittlern von Drogenfahndung und Mordkommission, sondern auch mit allzu menschlichen Problemen wie Depression, Ehekrise und Impotenz infolge seines Prozac-Konsums. Die Glaubwürdigkeit, mit der er seine Rolle verkörperte, hatte er von der Pike auf gelernt, seine Karriere begann auf den Bühnen des Broadway.
James Gandolfini starb wohl an einem Herzinfarkt, war sofort tot
Während erfolgreiche Serien-Darsteller oft für andere Rollen verbraucht sind, weil man in ihnen nur noch den Colt Seavers oder die Alexis Carrington sieht, konnte Gandolfini von der Aura des Tony Soprano zehren. Seinem Bösewicht-Image blieb er in etlichen Kinofilmen treu, als schwuler Killer in „The Mexican“ oder zuletzt als ausgebrannter, alkoholkranker Auftragsmörder im Noir-Film „Killing Them Softly“, beide Male an der Seite von Brad Pitt. In „Zero Dark Thirty“, der kontrovers diskutierten Verfilmung der Jagd auf Osama Bin Laden, wechselte Gandolfini die Seiten und spielte einen CIA-Direktor. Bleibende Verdienste hat er sich um das Genre der Serie selbst erworben. Neben dem exzellenten Drehbuch von David Chase war es vor allem seine Schauspielkunst, die dem lange Zeit an abziehbildhafter Verflachung leidenden Popgenre TV-Serie Tiefe verlieh. Mit den "Sopranos" schaffte sie den Sprung von der U- in die E-Kultur.
James Gandolfini ist nur 51 Jahre alt geworden. Er starb überraschend am Mittwoch auf einer Urlaubsreise in Rom. Nach Auskunft seiner Agenten erlitt er einen Herzinfarkt und war bereits tot, als er in die Notaufnahme der Umberto-I-Klinik von Rom eingeliefert wurde. Trotz Wiederbelebungsversuchen habe es für ihn keine Hoffnung gegeben. Gandolfini war unterwegs zu einem Filmfestival in Sizilien.
Er hinterlässt eine einjährige Tochter, seine Ehefrau, das ehemalige Model Deborah Lin, und einen älteren Sohn aus einer früheren Ehe. Gandolfinis letzte Premiere wird nun ohne ihn stattfinden: Der bereits abgedrehte Krimi „Animal Rescue“ des belgischen Regisseurs Michaël R. Roskam soll 2014 in die Kinos kommen. Das Genre aber wird künftig ohne einen seiner gewichtigsten Protagonisten auskommen müssen: Am Mittwoch hat die TV-Serienwelt ihren Paten verloren.
Bodo Mrozek
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