Obamas Amteinführung: In ihren Herzen ein Feuer
Millionen strömen nach Washington zur Inauguration des neuen US-Präsidenten – um Teil der Geschichte zu werden.
Der Schnee ist, Gott sei Dank, ausgeblieben. Auf 40 Prozent hatten die Meteorologen vor dem Wochenende die Wahrscheinlichkeit beziffert, dass widriges Wetter die traditionelle Parade zur Amtseinführung des neuen Präsidenten beeinträchtigt. Oder im schlimmsten Fall verhindert. 1985, bei Ronald Reagans zweiter Vereidigung, mussten alle Feierlichkeiten im Freien wegen eisigen Regens abgesagt werden. Vier Jahre zuvor hatte Reagan den bisher wärmsten Inaugurationstag erwischt: Sonne, plus zwölf Grad Celsius. 1841 war Präsident William Harrison nach vier Wochen im Amt an einer Lungenentzündung gestorben, die er sich vermutlich bei der zu langen und zu kühlen Inauguration unter freiem Himmel geholt hatte.
Handwärmer sind derzeit ein gesuchtes Produkt in Washington – aber inzwischen schwer zu bekommen. In den letzten Nächten erlebte die Stadt Frost um minus zwölf Grad Celsius, tagsüber steigt die Höchsttemperatur auch kaum über den Gefrierpunkt. Es weht ein scharfer Wind, der die gefühlte Kälte selbst zu den Mittagsstunden unter minus zehn Grad Celsius treibt.
Aber die Herzen der Menschen, die seit Tagen in die US-Hauptstadt strömen, sind warm. Sie freuen sich auf ein vier Tage währendes Wochenende in Volksfestlaune: Dieser Montag ist Martin-Luther-King-Feiertag; der schwarze Bürgerrechtler wäre jetzt 80 Jahre alt geworden. Den Dienstag haben viele frei, um den Amtsantritt Barack Obamas zu feiern. Sie lassen sich die gehobene Stimmung auch durch Pannen nicht vermiesen. Am Freitag fiel im Convention Center, wo die Mehrzahl der zehn offiziellen Bälle zu Barack Obamas Amtseinführung stattfindet, gleich zwei Mal der Ticket- Drucker aus. Tausende, die ihre Eintrittskarten wegen der Sicherheitsauflagen persönlich abholen mussten, standen stundenlang an. „Wir haben trotzdem Spaß“, sagt Kimberly Basset, Managerin einer Telefongesellschaft, und schließt ihren Nachbarn in der Schlange in die Arme, den sie gerade erst kennengelernt hat. „Alle sind so gut drauf.“
42 000 Gäste werden hier zu den Bällen erwartet, 120 Köche bereiten mit weiteren Helfern italienische Geflügelroulade, gefüllt mit gerösteten Artischocken, Paprika und Pinienkernen, für die Massen vor. Nur auf den zehn offiziellen Bällen werden Michelle und Barack Obama erscheinen, zum Auftakt auf dem „Nachbarschaftsball“, 3500 Gäste, zu dem das Inaugurationskomitee einige hundert Bürger aus der Umgebung des Weißen Hauses eingeladen hat. Beyoncé singt den Etta-James-Klassiker „At Last“ als Eröffnungstanz. Dann ziehen die Obamas zu einem Ball für Militärfamilien weiter. Aber es gibt hunderte weitere inoffizielle Feste am Dienstag in Washington. Auf den Campingplätzen der Umgebung, die zu dieser Jahreszeit sonst im tiefen Winterschlaf liegen, herrscht Hochbetrieb. Familie Robinson und Freunde aus Alabama haben sich ein großes Wohnmobil gemietet, weil sie gehört hatten, dass die Hotelbetten seit langem vergeben seien. Gary Doring ist mit ihrem Wohnmobil 5000 Kilometer aus Kalifornien hergefahren.
„To become part of history“, sagen sie in der für die USA so typischen pathetischen Tonlage: Sie wollen dabei sein, wenn der erste schwarze Präsident sein Amt antritt und „selbst zu einem Teil dieses historischen Moments werden“.
Hunderte wiegten sich am Sonnabend Nachmittag vor dem Lincoln Memorial im Takt, als Bruce Springsteen „The Rising“ sang, ein Lied voller Aufbruchstimmung. Auch andere Stars wie John Mellencamp und Mary Blige absolvierten trotz der Kälte ihre Mikrofonproben und Soundchecks für das große kostenlose Konzert am Sonntagabend. Eine halbe Million Menschen werden erwartet.
Obama war währenddessen noch mit dem Zug unterwegs. In einem historischen Salonwagen wie einst Abraham Lincoln näherte er sich der Hauptstadt und hielt unterwegs Reden in Philadelphia, Wilmington und Baltimore. Für den heutigen Martin-Luther-King-Tag hat er die ganze Nation zu einem Tag der Sozialarbeit aufgerufen. Auch er und sein Vize Joe Biden werden Dienst am Nächsten tun – wo genau, ist noch nicht bekannt.